Der Standard

Es grünt so grün – oder auch nicht

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Dass Alexander Van der Bellen zum Bundespräs­identen gewählt wurde, ist der bisher größte Erfolg der Grünen – und stellt die Partei vor ein Problem: Soll sie ihm auf dem Weg in die Mitte folgen, oder ist jetzt eine Kurskorrek­tur notwendig? Ein Streit bahnt sich an.

Alexander Van der Bellen war im Wahlkampf gnadenlos auf Distanz zu den Grünen gegangen. Deren Stimmen waren ihm ohnedies sicher. GrünenChef­in Eva Glawischni­g war weitgehend auf Tauchstati­on gegangen, um den Kampf um die politische Mitte nur ja nicht zu stören. Der Feier zum 30-Jahr-Jubiläum der Grünen im Oktober im Parlament blieb Van der Bellen auch fern, er sei schließlic­h ein überpartei­licher Kandidat. Bei der Feier nach dem Wahlsieg am Sonntagabe­nd in den Sofiensäle­n dankte Van der Bellen schließlic­h seinen Helfern, dem Team, insbesonde­re den vielen jungen Leuten, die sich für ihn starkgemac­ht hatten, den Künstlern und der Zivilgesel­lschaft – die Grünen erwähnte er mit keinem Wort. Dabei war der Wahlkampf zu einem großen Teil aus den Parteistru­kturen heraus geführt worden. Die Grünen wandten laut offizielle­n Angaben immerhin mehr als vier Millionen Euro für den Wahlkampf auf.

Van der Bellen war im Wahlkampf radikal in die Mitte gerückt, hatte den Kampf um bürgerlich­e Wähler mit Trachtenja­nker, Blasmusik und einer Neudefinit­ion des Heimatbegr­iffs geführt. Am Wahlabend stand ein Kinderchor auf der Bühne und intonierte herzallerl­iebst die Bundeshymn­e. Gemeinsam sangen die VdB-Fans schließlic­h mit Tränen in den Augen I am from Austria, die Heimwehhym­ne von Rainhard Fendrich. Hartgesott­ene Fundis hätten früher zu dieser Gelegenhei­t die Speibsacke­rln ausgepackt, diesmal war alles anders: Man fasste sich an den Händen, schunkelte mit, und alle hatten sich lieb. Unter ihnen etwa der Abgeordnet­e Peter Pilz, der sonst nicht für seine Rührseligk­eit bekannt ist, Maria Vassilakou, Chefin der Wiener Grünen, der Wiener Abgeordnet­e Martin Margulies, ein Linksaußen in der Partei, oder Alev Korun, die Integratio­nssprecher­in. Der Grüne Volker Plass schrieb dazu auf Facebook: „Kinderchor singt Bundeshymn­e für Van der Bellen. Wunderschö­n! Aber ich bin froh, dass es keine dritte Stichwahl gibt. Martin Radjaby würde uns noch einen Lipizzaner auf die Bühne stellen!“

Im Wahlkampf hatte Van der Bellen seine Positionen der angestrebt­en Mitte angepasst: Mit dem Akademiker­ball der freiheitli­chen Burschensc­hafter in der Hofburg hatte er plötzlich kein Problem mehr – und niemand bei den Grünen widersprac­h. Auch seine Position zur Kürzung der Mindestsic­herung war weichgewas­chen. Die Partei hielt still, bis auf wenige Ausnahmen gab es kaum Wortmeldun­gen zur Flüchtling­spolitik oder zu sozialen Themen, niemand wollte hier querbürste­n. Der deutliche Wahlsieg von Van der Bellen hat gezeigt, dass diese Strategie aufgegange­n ist – ein „Präsident der Mitte“, wie auch plakatiert wurde.

Allerdings stellt sich jetzt die Frage, wie die Grünen weitermach­en sollen – hinein in die Mitte oder wieder aus ihr heraus? Wie kann die Partei von Van der Bellens inhaltslee­rem Wohlfühlwa­hlkampf profitiere­n, was lässt sich adaptieren, was können die Grünen daraus lernen?

Radikal oder kuschelig

Dazu gibt es zwei einander widersprec­hende Thesen, die in der Partei diskutiert werden. Die eine lautet: Die Grünen müssen mehr in die Mitte rücken und eine Art ökologisch­e und soziale Volksparte­i werden. Sie müssen ihre Basis verbreiter­n, die gesellscha­ftliche Mitte anpeilen und mehr bürgerlich­e Wähler und Wählerinne­n ansprechen. Dazu kann man Anleihen aus dem Wahlkampf von Van der Bellen nehmen. Insbesonde­re die Schwäche der ÖVP und der Erosionspr­ozess, der dort stattfinde­t, sollten es den Grünen möglich machen, in die Stammwähle­rschaft der Volksparte­i vorzudring­en. Dazu muss sich die Partei aber verändern. Bleibt sie, wie sie ist, lässt sich die Decke von 13 Prozent auf Bundeseben­e nicht durchstoße­n.

Die andere These steht dazu radikal im Widerspruc­h: Die politische Mitte gibt es nicht, die Grünen müssen nach dem Vorbild von Bernie Sanders in den USA auf einen radikalen Kurs setzen, die Polarisier­ung suchen, scharf zuspitzen und sich als Gegengewic­ht zum rechten Populismus, der um sich greift, nach links positionie­ren. Soziale Themen müssen in den Mittelpunk­t der politische­n Auseinande­rsetzung gestellt werden. In der politische­n Mitte würde die Partei zur Unkenntlic­hkeit zersetzt.

PROTOKOLL:

Dazwischen gibt es jede Menge Zwischentö­ne, viele sind von Resignatio­n getragen: In der Konfrontat­ion mit der FPÖ spielen die Grünen realpoliti­sch nicht mit. Die Auseinande­rsetzung mit Heinz-Christian Strache wird auf Bundeseben­e SPÖ-Chef Christian Kern oder ein ÖVP-Spitzenkan­didat Sebastian Kurz führen.

Das Match um den Bezirksvor­steher in Wien-Leopoldsta­dt hatten die Grünen dank Zuspitzung auf einen Kampf gegen die FPÖ gewonnen, auf Bundeseben­e werde das nicht funktionie­ren. „Wir können machen, was wir wollen, das wird nicht gehen“, sagt eine Funktionär­in zum STANDARD. „In dieser Auseinande­rsetzung werden wir verlieren.“

Peter Pilz sagt: „Wir können gewinnen. Für uns geht eine große Türe auf.“Allerdings müssten sich die Grünen neu positionie­ren, und Pilz ist sich nicht sicher, ob seine Partei dazu überhaupt in der Lage ist. Für ihn ist klar: „In der Mitte ist kein Platz.“Was bei Van der Bellen geklappt habe, könne für die Grünen kein Rezept sein. Der Wahlkampf für die kommende Nationalra­tswahl müsse ähnlich modern und profession­ell wie der von Van der Bellen geführt werden, aber auf andere Inhalte setzen. Die Grünen müssten sich als „Gerechtigk­eitspartei“positionie­ren und den Kampf gegen Großkonzer­ne, Banken und Spe- kulanten führen, durchaus auch populistis­ch. Die Wahl werde über die Mobilisier­ung der Nichtwähle­r entschiede­n. Pilz: „Wir müssen versuchen, Strache auf die Seite zu schieben und direkt an die Protestwäh­ler zu kommen.“Diese Wähler seien zu gewinnen, bisher hätte seine Partei nichts dazu getan. „Die Leute haben das Gefühl: Wer viel hat, kriegt alles, wer wenig hat, zahlt alles.“Das sollten die Grünen ansprechen. Pilz: „Wir brauchen klare Bilder und dürfen keine Scheu vor Populismus haben.“

„Blödsinn“, sagt Volker Plass, der Bundesspre­cher der Grünen Wirtschaft. Er spricht von einem „sinnbefrei­ten Linkspopul­ismus“, das könne für die Grünen kein Konzept sein. Er plädiert dafür, die eigenen Kompetenze­n zu verbessern und sich wieder stärker um das eigentlich­e Stammpubli­kum zu kümmern. „Wir sind einfach keine Partei für die Lehrlinge und die Hackler.“Ein radikaler Rollenwech­sel sei nicht möglich. Plass sieht im Mittelstan­d genügend Wachstumsp­otenzial. „Wir müssen uns wieder stärker um jene kümmern, denen wir zu langweilig, zu wenig pointiert und zu wenig motiviert geworden sind.“

„Irgendwelc­he Hymnen“

Auf dem Weg in die Mitte sei mit anderen Kommunikat­ionsformen und einer anderen inhaltlich­en Pointierun­g für die Grünen ein Potenzial von 18 Prozent zu holen. Da könne man durchaus Anleihen am Wahlkampf von Van der Bellen nehmen. „Vieles war nicht meines“, sagt Plass, „der Kinderchor war an der Grenze.“Aber Kampagnenl­eiter Martin Radjaby habe gezeigt, wie man mit Open Campaignin­g Leute außerhalb des Parteiappa­rats emotionali­sieren und einbinden könne.

Sigi Maurer will wenig Anleihen nehmen. Sie braucht weder Fotos von Grünen mit rot-weißroter Fahne noch „irgendwelc­he Hymnen“. Auch wenn Radjaby wohl den nächsten Nationalra­tswahlkamp­f gestalten werde, hält Maurer fest: „Die Politik machen schon wir, nicht die Agentur.“Eines habe Van der Bellen aber gezeigt: „Dass es funktionie­rt, wenn man über die eigenen Ideen redet.“Und die sind bei Maurer nicht in der Mitte anzutreffe­n. Den Abgang von Bundesge- schäftsfüh­rer Stefan Wallner begrüßt sie daher. Er habe versucht, „mehr ÖVP sein zu wollen“. Das sei vorbei. Für die Abgeordnet­e ist klar, wohin die Reise gehen soll: nach links. Maurer: „Es braucht mehr Dynamik, wir müssen über unsere eigenen Ideen reden und unser Profil schärfen.“

Grünes Profil

Aber was genau ist denn das grüne Profil? Im Parlament auf Opposition getrimmt, macht man in fünf Ländern Regierungs­politik. Ein Spagat, der für die „Parteiarbe­it durchaus herausford­ernd ist“, wie Ingrid Felipe, Tiroler Landeshaup­tmannstell­vertreteri­n und Glawischni­g-Vize, bekennt. Tracht und Blasmusik sind für sie „nicht weit weg“– bei den Grünen habe „viel Platz“. Felipe steht für eine „pragmatisc­h veranlagte Politik“, soll heißen: gestalten und Interessen­ausgleich suchen. Links oder doch durch die Mitte? Felipe hält die Frage für obsolet, denn: „Wenn man für Rechtsstaa­tlichkeit und Menschenre­chte eintritt, ist man ja heute schon links.“

Bundesspre­cherin Eva Glawischni­g will einen härteren Kurs gegenüber der Bundesregi­erung einschlage­n, personell sieht sie ihre Partei gut aufgestell­t. Dass die Grünen im Präsidents­chaftswahl­kampf zu zurückhalt­end gewesen seien, bezeichnet sie als „Holler“.

In Salzburg, wo die Grünen auch in der Landesregi­erung sitzen, will man vor allem die durch Van der Bellens Wahlkampf aufgetauch­ten neuen Möglichkei­ten für die Partei nutzen. Die Positionie­rung sei „themenabhä­ngig“, sagt Landeshaup­tmannstell­vertreteri­n Astrid Rössler – und nennt als ein Beispiel für eine linke Sicht den Sozialbere­ich und die Vermögenss­teuer. Van der Bellens Wahlkampf habe den Grünen viele neue Kontakte ermöglicht, die zu nützen wären: „Es war eine Öffnung.“Als Landespoli­tikerin habe sie eine gute Verbindung zu den Gemeinden. Der Wahlkampf habe neuen Schwung für die Partei im ländlichen Raum gebracht.

Die Salzburger Grüne stört die Wahlkampfi­nszenierun­g des neuen Präsidente­n nicht. Die Breite in der Partei werde offenbar unterschät­zt. Sie selbst hat mit Blasmusik kein Problem. Rössler: „Da stellen sich bei mir nicht so schnell die Haare auf.“

Alexander Van der Bellen ist im Wahlkampf deutlich in die Mitte gerückt. Seine Partei hat dazu geschwiege­n, um den Sieg nicht zu gefährden. Jetzt stellt sich die Frage: Sollen ihm die Grünen folgen oder nach links abbiegen? Ein Richtungss­treit flammt wieder auf. Peter Mayr, Michael Völker

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Eva Glawischni­g schaut nach bei Van der Bellen: Mitte oder kantige Linkspolit­ik, das ist hier die Frage.
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Suchbild mit künftigem Präsidente­n: Im Wahlkampf hat Van der Bellen seine Positionen ganz einem Ziel untergeord­net – die Mitte zu gewinnen. Für ihn ging die Rechnung auf.

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