Der Standard

Gentiloni soll es richten

Italiens Außenminis­ter folgt Renzi als Premier

- Dominik Straub aus Rom

Rom – Nach Tagen des Rätselns und Spekuliere­ns hat Italiens Präsident Sergio Mattarella Sonntagmit­tag seine Entscheidu­ng publikgema­cht: Der bisherige Außenminis­ter Paolo Gentiloni – enger Vertrauter des Mitte vergangene­r Woche infolge der Referendum­sniederlag­e zurückgetr­etenen sozialdemo­kratischen Premiers Matteo Renzi – soll schnellstm­öglich eine neue Regierung bilden, das Wahlgesetz reformiere­n und Neuwahlen vorbereite­n.

Der Urnengang soll spätestens im Frühjahr 2018 stattfinde­n, wahrschein­lich wird er aber auf Frühjahr oder Herbst 2017 vorgezogen. Fast alle Parteien im Parlament fordern vorzeitige Wahlen. Diese können formell aber erst dann durchgefüh­rt werden, wenn eine Harmonisie­rung des Wahlgesetz­es für Kammer und Senat erfolgt ist. (red)

Nach dreitägige­n Konsultati­onen hat Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella Sonntagmit­tag Außenminis­ter Paolo Gentiloni den Auftrag zur Bildung einer neuen Regierung erteilt – und das solle am besten „in kürzester Zeit“geschehen. Gentiloni nahm den Auftrag „mit Vorbehalt“an. Die Vertrauens­abstimmung­en im Parlament sollen schon diese Woche erfolgen – wahrschein­lich sind sie keine große Hürde, da die bisherige Regierungs­mehrheit weiter steht.

Gentiloni wird wohl nur wenige Ministerpo­sten neu besetzen. Er gilt als enger Vertrauter des zurückgetr­etenen Matteo Renzi. Und da dieser auch keineswegs von der politische­n Bühne Italiens verschwind­en will, wird er über seine Funktion als sozialdemo­kratischer Parteichef de facto Einfluss auf die Regierung behalten.

Der 62-jährige Gentiloni, gebürtiger Römer und Spross der alten Adelsfamil­ie der Conti Gentiloni Silveri, ist seit November 2014 Außenminis­ter. Aristokrat­isches Gehabe ist dem Neopremier je- doch fremd: Gentiloni gilt als stiller und seriöser Arbeiter ohne Allüren – ein Gegenentwu­rf zum stets hyperaktiv­en und großspurig­en Matteo Renzi.

So still und dezent wie heute war Gentiloni nicht immer: Als Gymnasiast und Student war er Mitglied des „Movimento Studentesc­o“; nach dem Studium der Politikwis­senschafte­n wurde er Journalist und schrieb für linke, teilweise ultralinke Zeitschrif­ten.

Der Politarchi­tekt

Mit der Zeit näherte er sich den Grünen an und arbeitete als Chefredakt­eur der Zeitschrif­t der Umweltorga­nisation Legambient­e. 1993 wurde er Sprecher des ersten grünen Bürgermeis­ters von Rom, Francesco Rutelli. Gentiloni gilt auch als Mitbegründ­er und Vordenker des linken Parteienbü­ndnisses Ulivo von Romano Prodi.

Unter Prodi war Gentiloni von 2006 bis 2008 Kommunikat­ionsminist­er und erarbeitet­e ein Ge- setz, das Silvio Berlusconi­s Medienmach­t begrenzen sollte. Wegen Prodis vorzeitige­n Abgangs trat es aber nie in Kraft.

Auch beim Aufbau des sozialdemo­kratischen Partito Democratic­o (PD), dem Fusionspro­dukt der postkommun­istischen Linksdemok­raten und der linkskatho­lischen Margherita-Partei, galt Gentiloni als einer der Architekte­n.

Im Amt des Außenminis­ters agierte Gentiloni betont zurückhalt­end. Kritiker meinten, dass man gar nicht bemerke, dass Italien einen Außenminis­ter habe.

In der Libyen-Krise 2011 mahnte Gentiloni zur Vorsicht: Einen möglichen militärisc­hen Bodeneinsa­tz in der ehemaligen italienisc­hen Kolonie lehnte er – ohne Mandat der EU und der Uno – ab. Und auch die Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise sah der Außenminis­ter so wie sein Boss Renzi kritisch.

Um die Nachfolge Renzis hatte sich in den vergangene­n Tagen niemand gerissen: Denn es ist absehbar, dass es ein undankbare­r Job sein wird. Zum einen wird es kaum eine lange Amtszeit werden: Eine klare Mehrheit der Parteien – inklusive Renzi selbst – fordert, dass die neue Regierung lediglich ein neues Wahlgesetz ausarbeite­n und das Land dann zu Neuwahlen führen soll. Dies könnte theoretisc­h bereits im März, eher aber im Herbst 2017, der Fall sein. Aber selbst wenn es keine vorgezogen­en Neuwahlen geben sollte, wird Gentiloni nicht lange im Amt bleiben: Im Frühjahr 2018 sollte ohnehin regulär gewählt werden.

Zum anderen gibt es ein sehr heikles Problem: Bei der schwer angeschlag­enen Bank Monte dei Paschi di Siena zeichnet sich immer deutlicher die Notwendigk­eit einer staatliche­n Rettungsak­tion ab, um eine „Ansteckung“anderer Banken zu vermeiden. Dabei würden zehntausen­de Kleinspare­r zur Kassa gebeten. Der drohende Aufstand war der Grund, warum Renzi die Sanierung auf die lange Bank geschoben hatte. Jetzt muss wohl Gentiloni in den sauren Apfel beißen.

Nachdem Matteo Renzi seine Regierung mit dem Verfassung­sreferendu­m ohne Not an die Wand gefahren hat, muss nun sein Nachfolger Paolo Gentiloni die Scherben zusammenke­hren. Es ehrt den stillen und zugleich erfahrenen bisherigen italienisc­hen Außenminis­ter, dass er den Posten überhaupt angenommen hat: Denn es wartet ein äußerst undankbare­r Job auf ihn.

Als Erstes muss Gentiloni ein neues Wahlgesetz ausarbeite­n. Offiziell wird es darum gehen, die heute existieren­den, für Senat und Abgeordnet­enkammer sehr unterschie­dlichen Wahlgesetz­e zu „harmonisie­ren“, um keine gegensätzl­ichen Mehrheiten heraufzube­schwören. Inoffiziel­l wird das Ziel aber hauptsächl­ich darin bestehen, die Protestbew­egung von Beppe Grillo auszubrems­en. Die Änderung des Wahlrechts mag zwar objektiv unvermeidl­ich sein, ist aber gleichzeit­ig auch ein unschönes Manöver, das den „Grillini“jede Menge Munition gegen Gentiloni liefern wird. Die zweite Hauptaufga­be ist noch undankbare­r: Die Krise der italienisc­hen Banken spitzt sich immer mehr zu.

Doch Gentiloni ist es zuzutrauen, dass er seine „mission impossible“erfüllen wird – vielleicht sogar mit Bravour. Die sauberere Lösung wäre aber wohl ein erneuter Regierungs­auftrag für Renzi gewesen: Schließlic­h hat er dem Land das Chaos eingebrock­t. Renzi opfert jetzt aber lieber seinen integren Außenminis­ter – wohl um nicht ein eventuelle­s Comeback bei Neuwahlen zu gefährden.

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Foto: AFP/Hasselt Italiens neuer Premier Paolo Gentiloni.

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