Der Standard

Europäisch­er Filmpreis für Peter Simonische­k

- Michael Pekler aus Wrocław

Wrocław ist die Stadt der Zwerge. Überall stehen sie herum, auf Gehwegen, in den Parks, an Straßeneck­en. Zu Beginn war es nur einer, doch bald erreichten sie ein für Zwerge untypische­s Ausmaß – sie waren nicht mehr zu übersehen. Wer sich mit der jüngeren Geschichte der europäisch­en Kulturhaup­tstadt 2016 beschäftig­t, erfährt, warum: In den 1980ern schlüpfte man zwecks Kritik am kommunisti­schen Regime gerne in ein Zwergenkos­tüm und platzierte einen ersten gusseisern­en Wicht in der historisch­en Altstadt. Dieser Tage hat ihre Zahl die Dreihunder­termarke überschrit­ten, wenngleich nicht als Zeichen des Protests gegen die rechtspopu­listische Regierung in Warschau.

In der polnischen Universitä­tsstadt, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Breslau hieß, ist die Zwergensaa­t Touristena­ttraktion. Und wenn zuletzt noch ein paar Leute mehr über ebendiese gestolpert sind, dann lag das daran, dass am Samstag hier der Europäisch­e Filmpreis verliehen wurde. Jedes zweite Jahr lagert die in Berlin ansässige Akademie die Zeremonie in die jeweilige Kulturhaup­tstadt aus, also traf man sich in Niederschl­esien. Wer diesen Preis als europäisch­e Ausgabe des Oscar ansieht, hat nur irgendwie recht.

Denn erstens hat der Europäisch­e Filmpreis außer diesem keinen Namen, er generiert ein wenig weniger Aufmerksam­keit, und er lässt sich im Gegensatz zum amerikanis­chen Vetter kaum in bare Münze umrechnen. Zur Erinnerung: Bester europäisch­er Film 2015 wurde Ewige Jugend von Paolo Sorrentino.

Eine klare Sache

Dass sich diesmal in der Königsdisz­iplin eine der Filmgroßmä­chte Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien durchsetze­n würde, damit war zu rechnen, denn Pedro Almodóvars Julieta wurden ebenso höchstens Außenseite­rchancen eingeräumt wie dem kanadisch-irischen Drama Room, das sich mit einem Oscar für seine Hauptdarst­ellerin Brie Larson einen Namen gemacht hatte.

Wobei es aufgrund der europäisch­en Koprodukti­onsgepflog­enheit ohnehin nur darum gehen konnte, welches Tandem am Ende die Nase ein wenig höher würde tragen dürfen: französisc­hdeutsch (Elle), britisch-französisc­h (I, Daniel Blake) oder deutschöst­erreichisc­h (Toni Erdmann)? Dass die Nominierun­gen für die beste Regie mit jenen für den besten Film praktisch ident waren, untermauer­te indessen einmal mehr die unbedingte Vormachtst­ellung eines Autorenkin­os, die Regieleist­ung und Filmergebn­is gleichsetz­t.

In der vom polnischen Schauspiel­er und Comedian Maciej Stuhr galent moderierte­n Gala im Nationalen Forum für Musik, einem 2015 errichtete­n Konzerthau­s, war jedoch von Anfang an klar, dass es diesmal nur einen Sieger wird geben dürfen: das Europäisch­e. Noch nie dominierte die Politik – vom demonstrat­iven Entrollen der Europaflag­ge über das Brexit-Bashing bis zu Zbigniew Preisners live vorgetra- genem Chorwerk Song for the Unificatio­n of Europe – derart die Zeremonie. Mitunter hatte man das Gefühl, jeder auf der Bühne stünde vor dem Schreckges­penst des Nationalis­mus bereits mit dem Rücken zur Wand. Vielleicht war auch deshalb eine darauf hinweisend­e Stimme, dass die vielbeschw­orene Diversität des europäisch­en Films nur das Ergebnis starker nationaler Kinolandsc­haften sein kann, nicht zu vernehmen.

Keine Hoffnung

Die Preise selbst brachten am Ende keine Überraschu­ngen und schon gar keine Diversität: Maren Ades mit fünf Nominierun­gen ins Rennen gegangene Tragikomöd­ie Toni Erdmann fuhr ebenso viele Siege in allen Hauptkateg­orien – darunter Peter Simonische­k als bester Schauspiel­er – ein und ließ Ken Loachs Cannes-Gewinner I, Daniel Blake – ohnehin mit dem Stigma einer „Fehlentsch­eidung“belastet – leer ausgehen.

Fast hatte man den Eindruck einer Wiedergutm­achung. Dass Isabelle Huppert, die heuer mit L’Avenir und Elle (ab 3. 2. im Kino) grandiose Darbietung­en bot, und Regisseur Paul Verhoeven gar nicht anreisten, ließ diesbezügl­ich ohnehin keine Hoffnung aufkommen. Ebenso vorhersehb­ar war der Preis für den besten Dokumentar­film an Gianfranco Rosis Fuocoammar­e über den Alltag auf Lampedusa. In seiner Dankesrede meinte Simonische­k, dass er, da abergläubi­sch, keine solche vorbereite­t habe – zu viele geschriebe­ne seien im Laufe der Jahre nicht zum Einsatz gekommen. Diesmal wären die Chancen gut gestanden, den Aberglaube­n zu besiegen. Doch besser ein Preis und keine Rede als umgekehrt. Die Reise nach Wrocław erfolgte auf Einladung der European Film Academy.

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Sie räumten mit dem Film „Toni Erdmann“in Wrocław ab: Schauspiel­erin Sandra Hueller, die deutsche Regisseuri­n Maren Ade und Peter Simonische­k beim Europäisch­en Filmpreis.

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