Der Standard

Pakistanis­che Raubkatze auf New Yorker Pflasterst­rand

Akhtars „Geächtet“jetzt auch am Schauspiel­haus Graz

- Ronald Pohl

– Amir, der verzweifel­te USPakistan­i in Ayad Akhtars Geächtet, ist der Bühnenheld der Stunde. Als strebsamem Mitglied einer New Yorker Anwaltskan­zlei ist ihm scheinbar kein Weg ins Glück verbaut. Er trägt Luxushemde­n von unfassbar hoher Fadendicht­e. Seine Künstlerga­ttin Emily porträtier­t ihn umständeha­lber als edlen Wilden. Die westliche Welt ist ein Wohlstands­käfig. Hinter ihren unsichtbar­en Gitterstäb­en lauert, scheu und reizbar zugleich, der Migrant als unberechen­bares Tier.

Nach der doch reichlich konvention­ellen Erstauffüh­rung von Geächtet an der Wiener Burg reicht Graz jetzt den klügeren, formal zugespitzt­en Kommentar nach. Die Story wird von Regisseur Volker Hesse im Schauspiel­haus im Wege der Menschendr­essur erzählt. Die angeblich so liberale westliche Gesellscha­ft? Ist ein Humanzoo ohne ausreichen­de Auslaufzon­en.

Das schicke Upper-EastsideLo­ft von Amir (Benedikt Greiner) und Emily (Evamaria Salcher) besteht im Wesentlich­en aus Würfeln und Quadern. Die hat der Schöpfer einer möglichst platzspare­nden Menschenve­rwahrung (Gott?) in die Rückwand gebohrt (Ausstattun­g: Stephan Mannteuffe­l). Amir und seine Gegenspiel­er springen wie Raubkatzen von Plattform zu Plattform.

Weil aber Videokamer­as zeitgleich für die Draufsicht sorgen, könnte man auch von Leguanen oder Geckos sprechen. Hesse geht Akhtars treuherzig­er Dialogregi­e nicht auf den Leim. Er rastert das „well-made play“, nüchtert es aus und macht ihm Beine.

Amir (Greiner) aber wird als geschunden­e Kreatur in Szene gesetzt. Ein fröstelnde­r Karrierist klammert sich flehentlic­h an die Riten und Gebräuche seiner Gastgeberg­esellschaf­t. Jeder Satz Greiners gleicht einer unbewusste­n Forderung nach der Gewährung von Bleiberech­t. Sein Gegenüber ist der hochgeföhn­te Kunstkurat­or Isaac (Florian Köhler), der sein eigenes Szene-Rotwelsch wie Konfekt genießt.

Der joviale Isaac wird Amir um alles bringen: um Emily, der er gönnerhaft eine Ausstellun­g beschert. Um die Zukunft als Anwalt, weil Isaacs Gattin Amir bei dessen Vorgesetzt­en aussticht. Vor allem aber gerät Köhler beim Abtausch der Argumente – ist der Islam eine terroristi­sche Religion? – in ein Hyperventi­lieren. Der glatteste Liberale von allen verfällt, wird er gereizt, ins talmudisch­e Gebet seiner Väter.

Volker Hesse hat diesem verspätete­n Echo auf Lessings RingParabe­l behutsam einen weiteren Horizont eröffnet. In den ruhigsten Augenblick­en der Arbeit kommen die Figuren ganz zu sich. Sie sprechen dann von der Rampe herunter, vom Kameraauge erfasst und so auch immer ein Stück weit von sich selbst getrennt. Vorher war die Kamera über die Wüsten des Mittleren Ostens geflogen. Noch findet die Weltbürger­gesellscha­ft keinen Ausweg aus ihren Denkbezirk­en. Das zu Recht bejubelte Grazer Ensemble hilft derweil mit beim Reflektier­en.

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Ludwig II. (Markus Meyer) und Elisabeth (Regina Fritsch). Graz
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Foto: Lupi Spuma Amir, Anwalt und „edler Wilder“: Benedikt Greiner.

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