Spitzentanz mit schwedischem Botschafter
Ein „Nussknacker“des Chinesischen Nationalballetts im Festspielhaus St. Pölten
St. Pölten – Es wäre falsch, in einem Nussknacker- Ballett aus der Volksrepublik China nur die simple Reverenz an diese westliche Tanzikone russischer Provenienz zu sehen. Den Nachweis dafür hat das Chinesische Nationalballett als europäische Erstaufführung im Festspielhaus St. Pölten erbracht. Der Weihnachtsklassiker von Lew Iwanow nach einem Libretto von Petipa und zur Musik von Tschaikowski wurde nach seiner Uraufführung 1892 in St. Petersburg unzählige Male wiederbelebt. Klassisch, modern und neu interpretiert von unter anderen Rudolf Nurejew, George Balanchine oder Mark Morris.
Die chinesische Version des Balletts wurde von Ying Feng zusammen mit Yuanyuan Wang choreografiert. Wang hat bereits im Februar mit dem Beijing Dance Theater in St. Pölten gastiert und gezeigt, dass wir das Vergnügen haben, mit chinesischem Tanz ernsthaft rechnen zu dürfen. Der Nussknacker des Nationalballetts verstärkt diesen Eindruck.
Schon zu Maos Zeiten hat der Spitzentanz als „Revolutionsballett“im geröteten Reich der Mitte seine Propagandadienste geleis- tet. Seitdem ist Ballett offiziell auch proletarisch, wie dem USPräsidenten Nixon 1972 beim Besuch in Beijing vorgeführt wurde. Jetzt hat China den Neoliberalismus mit dem Kommunismus zu einem neuen System vermischt, auf das der Westen misstrauisch, oft auch bewundernd schaut.
China und die Märkte
Turbo-China blickt selbstbewusst zurück. Europa und die USA waren und sind noch Meister im Plündern und Kopieren von technischen wie kulturellen Errungenschaften aus dem Osten. Das wird dem Westen jetzt mit ähnlicher Münze zurückgezahlt. China erobert allerdings nicht Länder, sondern Märkte, und es adaptiert auch kulturelle Materialien aus dem Westen. Diese Übernahme nennt man Appropriation – eine in der postmodernen Kunst bekannte Strategie.
So ist der Nussknacker aus Beijing richtig zu verstehen. Aus Weihnachten wird darin das chinesische Neujahrsfest (Pinyin chnjié). Das dafür übliche Shopping wird nicht verborgen, die Kinderfreude beibehalten. Die Erzählung enthält auch eine Satire auf den Westen. Als einziger europäischer Hauptdarsteller tritt der schwedische Botschafter von China und der Mongolei Lars Peter Fredén (65) auf.
In der Rolle des Besuchers bei einer chinesischen Familie bringt er der kleinen Tochter Yuanyuan einen Nussknacker mit, für den Sohn Tuantuan hat er nichts. Also tröstet sein Großvater ihn mit einem Paar bunter WushuSchnurstäbe. Das ist eine Waffe, bei uns (Bruce Lee!) als Würgeholz oder japanisch Nunchaku bekannt. Tuantuan gefällt der exotische Nussknacker besser, und so hat der Europäer durch seine Unhöflichkeit den Frieden gestört.
Schüchterne Tonanlage
In diesem Nussknacker sind viele weitere Details, Symbole und Zeichen versteckt, die mit Klischees und Kitsch verbunden sind und nicht den Narzissmus des Westlers bedienen, sondern chinesische Traditionen zitieren. Tänzerisch wurde dieser Nussknacker in seiner Neufassung von 2010 passend verspielt umgesetzt. Die Tonanlage des Festspielhauses scheint sich mit der Aufnahme der Tschaikowski-Musik jedoch schwergetan zu haben – sie war viel zu leise eingestellt.
Alles in allem also: ein sagendes Gastspiel. viel-