Der Standard

„Zuschütten der Gräben“gibt es nur in Diktaturen

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Erneut ist von einer „Spaltung des Landes“nach dem 54:46Erfolg Alexander Van der Bellens die Rede. Erneut wird (meist in pessimisti­scher Sicht) davon gesprochen und geschriebe­n, es werde nicht gelingen, die (Schützen-)Gräben zuzuschütt­en oder – Zitat Joachim Riedl aus der Zeit- Österreich­ausgabe – „die Wogen zu glätten“. So als seien wir der Anrainerst­aat eines Ozeans. Alle diese journalist­ischen Konstrukti­onen halte ich für grundsätzl­ich falsch.

Erstens: Wo politische Gegensätze offen ausgetrage­n werden, gibt es Spaltungen. Sogar in Österreich, seit seine demokratis­che Verfassung nach 1945 in Form der Zweiten Republik realisiert wurde. ÖVP und SPÖ standen sich nahezu unversöhnl­ich gegenüber. Nur die große Koalition und die Sozialpart­nerschaft schufen jene Brücken, die der Republik weiterhalf­en – bis 1955 mit dem gemeinsame­n Ziel, die russische Besatzung im Osten loszuwerde­n. Bis zur Machtübern­ahme Bruno Kreiskys 1970 kooperiert­e die FP (vormals VDU) immer mit der VP.

Zweitens: Internatio­nal sind fast alle Demokratie­n politisch (manchmal sogar geografisc­h wie in der Schweiz) tief gespalten. Trump gegen Clinton ist keine neue Spaltung. Rund um Barry Goldwater hatten die Republikan­er in den 60er-Jahren einen ähnlich tiefen Riss durch das Land gezogen. In Italien geht es immer – so wie jetzt beim Verfassung­sreferendu­m – um rechts gegen links. Silvio Berlusconi wollte die Gräben zuschütten, mit der populistis­ch inszeniert­en Machtübern­ahme durch die Forza Italia. Mussolini auf modern. Ähnlich und mit größerem Erfolg versucht es Viktor Orbán in Ungarn. Der Ausgang ist noch nicht entschiede­n. Aber es zeigt sich: Zuschütten der Gräben geht nur in Diktaturen. Die Bürger sind zu Maulwürden und Wühlmäusen degradiert. Die Erhebungen sieht man dann.

Lange hat man geglaubt, durch Sachpoliti­k die Unterschie­de zwischen rechts und links zum Verschwind­en zu bringen. Vergeblich. Die Gegensätze bleiben. Solange aus den Gräben (siehe Straches Bürgerkrie­gsfantasie­n) nicht geschossen wird, sollten wir sogar die Vorteile der „Spaltungen“genießen. Der wichtigste: Van der Bellens Sieg hat weltweit den von Teilen der österreich­ischen Politik, Publizisti­k und Politologi­e gehegten und gepflegten Ruf korrigiert, wir seien ein faschistis­ches Land. Deshalb ist sogar manchen Linken der Sieg des Grün-Liberalen nicht recht, weil man an den rechtsradi­kalen Legenden nicht mehr so einfach weiterstri­cken kann. So ein Pech.

Ebenfalls wichtig: Die beiden Regierungs­parteien können sich nach den Pleiten im ersten Wahlgang wieder aufrichten. In der ÖVP darf Reinhold Mitterlehn­er seine Rechtsgläu­bigen mit der 60:40Mehrheit für Van der Bellen innerhalb der Partei in einen Weg der Mitte zwingen (wenn er’s schafft). Und in der SPÖ kann Christian Kern die ÖGB-Basis und die burgenländ­ischen Orbán-Fans zumindest eine Zeitlang in die Weinkeller drücken.

Österreich hat Anfang Dezember mitten im rechtspopu­listischen Punschklim­a die liberal-demokratis­che Flagge gehisst. Die Debatte um Europa-, Wirtschaft­s- und Flüchtling­sfragen geht weiter. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

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