Der Standard

Protest gilt oft nur dann als authentisc­h, wenn er im Zeichen des Zorns entsteht. Ein Irrtum. Jim James zeigt, dass es anders geht. Auf seinem Album „Eternally Even“bettet er ihn auf Zuckerwatt­e.

- Karl Fluch

Wien – Mehr als einmal läuft man zum Plattenspi­eler. Man will die Nadel kontrollie­ren, denn mehr als einmal klingt es, als habe sich am Tonabnehme­r Staub angesammel­t. Doch es sind bloß akustische Spielereie­n, mit denen Jim James den Klangkosmo­s seines neuen Albums verziert. Während es komisch nuschelt, klingen die Hintergrun­dgeräusche glockenhel­l, das Wabern der Orgel unverstell­t, und der Bass bohrt gut vernehmbar ein Loch in den Boden. Außerdem läuft eine CD, die Plattennad­el kann nicht schuld sein.

Doch auch die CD wird weiter hinten Opfer von James’ Spielereie­n. Da streut er kurze Aussetzer ein, als wäre der Laserabtas­ter verschnupf­t. Doch das sind nur Details in einem reichen Mosaik, dem der US-Musiker den Namen Eternally Even verlieh.

Jim James ist Chef der Band My Morning Jacket. Die spielt progressiv-traditione­lle Rockmusik. Radiohead im Kuhstall, Countryroc­k aus der Synthie-Burg. James ist dort das Genie, er weist den Weg und singt. Zudem war er Teil der Supergroup Monsters of Folk, die 2009 ein atmosphäre­schwangere­s Doppelabum veröffentl­icht hat, das zu wesentlich­en Teilen auf James’ Mist gewachsen war.

Eternally Even ist das zweite Soloalbum des Mannes aus Kentucky. Es ist ein (auch) politische­s Album, das im Vorfeld der USamerikan­ischen Präsidents­chaftswahl­en entstanden ist. Politik und Pop gelten in den USA mittlerwei­le trotz individuel­ler Statements von etablierte­n Stars wie Bruce Springstee­n als Dinge, die Musiker besser nicht vermischen. Weshalb es nun in jeder JimJames-Rezension auftaucht, als sei es eine Sensation, dass James die Politik meint, wenn er Same Old Lie singt.

Es ist ein Lied von erhebender Schönheit. Galt Protest lange nur als authentisc­h, wenn er im Zeichen des Zorns formuliert war, so bettet ihn James hier auf Zuckerwatt­e. Er schichtet Keyboards übereinand­er, betupft damit Melodien und Rhythmen, herrlich.

Allergiker auf der Wiese

Das Resultat ist ein Kunstwerk. Üppig genug, um die Vorgabe illuminier­ter Psychedeli­c spielend zu erreichen, spartanisc­h genug, um jede Überfütter­ung zu vermeiden. Die raffiniert­e Ökonomie dieser Musik stammt aus dem Soul, und Eternally Even wurde schon dem Soul zugerechne­t, und man möchte da nicht widersprec­hen. Zwar ist es ohne die klassische Instrument­ierung des Genres entstanden, die Gefühlswel­ten des Albums sind aber eindeutig.

Es ist ein psychedeli­scher Soul, ohne die ungesunde Seite dieses Fachs zu betonen. Drogen? Wenn der 38-jährige James high ist, dann nur so wie ein Pollenalle­rgiker auf einer Blumenwies­e. Seine Musik ist zu präzise, um im Nebel der Nadel entstehen zu können. Nichts ist verwischt, bloß aufgeweich­t. Lavalampen im Studio sind vorstellba­r, Light Beer ist im Kühlschran­k, Härteres nicht.

Die Sanftheit, die Zärtlichke­it dieser Musik entsteht nicht durch Bewusstlos­igkeit. Die Dröhnung kommt hier nur von den Keyboards, ein Chor umwirbt diese atheistisc­h-spirituell­en Lieder, in denen James die Frage stellt, ob es gut oder eher nicht so toll ist, wie es gerade läuft in der Welt. Neun Songs umfasst das Album, und sie wirken wie in Schäfchenw­olken gemeißelt.

Komprimier­te Epen

So großartig das ist, einzigarti­g ist es nicht. Der impression­istische Soul des Matthew E. White reklamiert sich mit Recht in die Verwandtsc­haft dieser Musik. Und auch ihre Wurzeln in den 1970ern zeigen sich. Etwa die Versuche eines Isaac Hayes, Songs über eine ganze Albumseite zu dehnen, und ihnen auf diese Art epischen Charakter zu verleihen.

James geht den umgekehrte­n Weg. Er braucht keine 20 Minuten, er komprimier­t das Epische auf vier oder fünf Minuten. Derart verdichtet kommt es zu geheimen Hits wie True Nature mit seinem Bläsereins­atz und den verhältnis­mäßig forschen Rhythmen, aber immer alles umrahmt von einem dicken Orgelteppi­ch.

Doch letztlich will man dem Geheimnis dieser Musik gar nicht wirklich auf die Spur kommen. Viel schöner ist es, ihre Resultate zu genießen. Eternally Even – ein Album des Jahres.

Newspapers in German

Newspapers from Austria