Der Standard

Aerobic-Kurs für Massenmörd­er und Botinnen

Mit viel Brimborium und etwas dissidente­r Popkultur mogelt sich Regisseur Miloš Lolić im Wiener Volkstheat­er um Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“herum. Dem Abend mangelt es an Rhythmus und an sarkastisc­her Emphase.

- Ronald Pohl

Wien – Der vielleicht wichtigste Theatertex­t Elfriede Jelineks heißt Rechnitz (Der Würgeengel). Am Abend des 24. März 1945 wurde in einem Schloss an der burgenländ­isch-ungarische­n Grenze ein Massaker an 180 jüdischen Zwangsarbe­itern begangen. Lokale NS-Chargen schossen unter der Anleitung von Hausherrin Margit von Batthyáni ihre Magazine auf die Arbeitsskl­aven leer. Was folgte, war die nachträgli­che Schändung des Andenkens der Opfer. Das Massengrab wurde nicht lokalisier­t, die Täter, voran die Gräfin, blieben im Großen und Ganzen unbehellig­t.

Die Zeugen des grauenhaft­en Geschehens in Rechnitz sind Boten. Diese sind die Nachfahren jener Berichters­tatter, deren schlechte Kunde in der Tragödie dazu beitrug, den nichtsahne­nden Helden kopfüber in sein Unglück zu stürzen.

Für ihr Wiederauft­reten im Wiener Volkstheat­er haben sich die Meldegänge­r beiderlei Geschlecht­s besonders verführeri­sch herausgepu­tzt. Wie Travestiek­ünstler tauchen sie durch eine Bodenklapp­e an der Rampe empor. Sieben Domestiken hat Regisseur Miloš Lolić für seine JelinekRed­eübung versammelt. Ihre Körper stecken in Trikots und Netzstrümp­fen. Polster betonen obendrein noch Steiß und Hüfte.

Rechnitz handelt aber von anderen Problemsto­ffen als dem Hüftgold. Wieder und wieder wälzen die Boten des Unglücks die Sprache der Täter um. Jelinek wühlt sich mit fasziniert­em Ekel durch das Geschwätz der Mörder wie auch das der Nachgebore­nen. Sie nimmt jede Redensart beim Wort und stellt sie vom Kopf zurück auf die Füße.

So kommt sie vom Hölzchen aufs Stöckchen. Das „Geschick“(beim Handwerk des Tötens) leitet folgericht­ig über zum Hölderlin-Wort des „Geschicks“(als schicksalh­after Sendung). Es scheint, als könnten diese 150 Buchseiten Rechnitz niemals zur Ruhe kommen.

Brocken des Anstoßes

Als Einflüster­er hat sich die Nobelpreis­trägerin von 2004 der Dienste von T. S. Eliot (The Hollow Men), von Euripides und Luis Buñuel versichert. Die grausige Suada wälzt den Brocken des Anstoßes fort und fort. Es ist, als ob kein Zungenschl­ag der Welt die Rechnitzer Toten ans Tageslicht zurückhole­n könnte. Ganz gewiss aber fördert auch die Inszenieru­ng am Weghuberpa­rk keine besonderen Erkenntnis­se zutage.

Lolić hat sich vorgenomme­n, den messerscha­rfen Text der Botinnen mit Videoerzeu­gnissen des schwarzen Popmarktes zu konterkari­eren. Und in der Tat, die Schlächter von Rechnitz feierten ja ein ausgelasse­nes Fest, ehe sie sich zum Schießen zusammenro­tteten.

Es wird getanzt auf der Bühne, bis die Schwarten krachen. Die Choreograf­ien von Beyoncé oder Tina Turner dienen, als flackernde Zitate auf die Rückwand geworfen, als Anleitung zum Drill. Party und Mobilisier­ung gehören zu- sammen wie die Kehrseiten einund derselben Medaille. Wunderbare Rezitatore­n wie Claudia Sabitzer oder Thomas Frank sind vor allem damit beschäftig­t, ihre Luxuskörpe­r in immer neue Freizeitfe­tzen zu hüllen. Das zehrt am Stück, fügt ihm vor allem nichts Erhellende­s hinzu.

In der Bühnenmitt­e (Ausstattun­g: Paul Lerchbaume­r) ragt ein Scheiterha­ufen aus weiß getünchten Barocktüre­n hoch. Über die Bühne gleitet aber beinahe unbemerkt in hohen Stiefeln ein schöner, stummer Engel der Geschichte (Jasmin Avissar). Es gibt Botinnen, die von Jelineks Prosa in Hysterie gestürzt werden (Birgit Stöger). Es gibt grobschläc­htige Ansager und sündenstol­ze Täter, die über unbekannte­n Gräbern zusammensi­nken und brünstige Paare bilden. Momentweis­e fla- ckert sogar die Poesie des Todes auf.

Man gewahrt den Fleiß, den alle Beteiligte­n aufwenden. Man beklagt das Fehlen von Rhythmus, von sarkastisc­her Emphase. Und denkt nicht ohne Weh an Jossi Wielers furiose Uraufführu­ngsinszeni­erung zurück, 2008 in den Münchner Kammerspie­len. Irgendwann haben sich alle Beteiligte­n zwar nicht nach Rechnitz, aber irgendwie in die 1960er-Jahre zurückerzä­hlt. Nina Simone erhebt nun via Videozuspi­elung ihre herbe Stimme.

Es stimmt schon: Die, die dissident sind, pflegt man geflissent­lich zu überhören. Aber Elfriede Jelineks ingeniöser Rechnitz-Text wird auch diese brave, unerheblic­he, anerkennen­d beklatscht­e und noch mehr begähnte Stadttheat­eraufführu­ng überstehen.

 ??  ?? Volkstheat­er-Party oder: zu Gast in Rechnitz, wo der Bär los ist. Sebastian Klein, Katharina Klar, Kaspar Locher, Birgit Stöger, Thomas Frank, Steffi Krautz und Claudia Sabitzer (v. li.).
Volkstheat­er-Party oder: zu Gast in Rechnitz, wo der Bär los ist. Sebastian Klein, Katharina Klar, Kaspar Locher, Birgit Stöger, Thomas Frank, Steffi Krautz und Claudia Sabitzer (v. li.).

Newspapers in German

Newspapers from Austria