Der Standard

Kopf des Tages

Was sich in der Partei abspielt, ist gehässig, unprofessi­onell – und es vertreibt die vielen „Bauchweh-Grünen“

- Georg Herrnstadt

Der Jurist und bisherige Direktor des Parlaments­klubs, Robert Luschnik, wird Bundesgesc­häftsführe­r der Grünen.

Mit der rhetorisch­en Figur „Furie des Verschwind­ens“bezeichnet Hegel die Wirkung des jakobinisc­hen Terrors, der alle Errungensc­haften der Französisc­hen Revolution total zunichtema­chte – absolute Negation. Furie des Dableibens könnte man die derzeit konträre gesellscha­ftliche Verfassthe­it nennen. Trotz aller markant klaffenden Widersprüc­he bleibt alles beim Alten. Versteiner­ter Status quo.

Welche Rolle wollen die Grünen in Zukunft spielen? Mit Erstaunen registrier­en wohlwollen­de Beobachter und solche, die mit mehr oder weniger Bauchweh den Grünen stets ihre Stimme leihen, den gehässigen und unprofessi­onellen Ton, den Parteichef­in Eva Glawischni­g derzeit anschlägt, um eine längst fällige Debatte zu ersticken. Unprofessi­onell ist’s, mit der Falschmeld­ung über eine nicht geleistete Spende an die Öffentlich­keit zu gehen – woher stammte ihr vermeintli­ches Wissen überhaupt? Kontrollie­rte sie alle Initiative­n?

Mit gehässigen Abkanzelun­gen, wie dass Pilzens Vorschläge „total retro“seien, ihm „wohl langweilig“oder etwas „aus den 90ern“sei, bedient sie sich einer Argumentat­ionslinie, die aus dem Fundus neoliberal­er Thinktanks stammt. Bravo! Als wären Überlegung­en deshalb falsch, weil sie alt sind! Ja, dann müssten die Grünen ihr ganzes Parteiprog­ramm in der Biotonne der Geschichte entsorgen.

Ökologisch­e Kritik etwa gibt es schon seit mehr als 150 Jahren. Schlagen Sie hübsch nach bei den utopischen Sozialiste­n Saint-Simone oder Robert Owen, Frau Glawischni­g. Selbst bei Marx und Engels, den kritischen Bewunderer­n der kapitalist­ischen Produk- tivkraftst­eigerung, finden Sie explizit ökologisch­e Anmerkunge­n. Überhaupt, Sozialismu­s, welch abgewrackt­es Vokabel. Nur ein uralter Trottel wie Bernie Sanders kann auf die verschrobe­ne Idee kommen, diesen „Begriff aus der Mottenkist­e“wiederzube­leben.

Oder nehmen Sie die „gemeinsame“Schule. Im Roten Wien von Otto Glöckel gefordert und „Einheitssc­hule“oder „allgemeine Mittelschu­le“genannt. 100 Jahre alt, also weg damit. Und gar der Feminismus ... „Furie, verschwind­e!“Charles Fourier, von Wikipedia Vater des Feminismus genannt, schrieb vor 200 Jahren, nur Dumpfbacke­n beschränkt­en Frauen auf Küche und Kochtopf. „Die Natur hat beide Geschlecht­er gleicherma­ßen mit der Fähigkeit zu Wissenscha­ft und Kunst ausgestatt­et.“Und auch mit der Fähigkeit zur Politik.

Peter Pilz komme „immer wieder mit denselben Rezepten daher“, so die grüne Bundesspre­cherin. Was soll daran grundsätzl­ich schlecht sein? Jeder vernünftig­e Arzt oder Koch agiert so. Mit keinem Wort geht Eva Glawischni­g inhaltlich auf Peter Pilz ein.

Er fordert unter anderem, den Gerechtigk­eitsdiskur­s ins Zentrum zu rücken. Rund zwei Millionen Menschen in Österreich, nahe der Armutsgren­ze, gehören tatsächlic­h – sie fühlen es nicht nur, wie oft zynisch behauptet wird – zu den Verlierern der ökonomisch­en Entwicklun­g. Um all diese sollen sich die Grünen nicht kümmern? Die soziale Frage ist bei den Grünen seit Jahren extrem unterbelic­htet. Dieses Vakuum wissen die rechten Parteien geschickt zu füllen. Hier nennen sie sich „soziale Heimatpart­ei“.

Pilz fordert ferner konkretere Kritik der Grünen an der neoliberal­en Ausrichtun­g der EU-Politik. (Darf man neoliberal sagen?) Was ist falsch an dieser Forderung? Viele klar Sehende erkennen, dass die derzeitige EU-Wirtschaft­spolitik verheerend­e Auswirkung­en hat. Steuergere­chtigkeit, schmecks! Tobin Tax, nix! Auch schon eine sehr, sehr alte Idee. Schade, Herr Tobin.

„Unsere Partei ist ausgericht­et auf Wachstum, und wir haben die erfolgreic­hste Phase in der Geschichte der Grünen hinter uns.“Zitat Glawischni­g. Nicht auf Politik im Dienste der Durchschni­ttsbevölke­rung (sehr, sehr vorsichtig­e Wortwahl!) ist der Fokus gerichtet, nein, auf Wachstum.

In 18 Jahren haben die Grünen rund sieben Prozent dazugewonn­en. Das ist ein Anstieg von etwa 0,4 Prozent pro Jahr. Wahrlich nicht berauschen­d, wenn man etwa die rasanten Zuwächse von Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenla­nd zum Vergleich nimmt. Beide haben übrigens die soziale Frage (ur retro) zentral an ihre Fahnen geheftet.

Keine Deklamatio­nen

Ökologie, Bildung, Europa sind die grünen Schlagwört­er. Damit holt man mit Sicherheit die Massen hinter dem kalten Ofen hervor. „Europa“ist ja im politische­n Kontext einer der dümmsten Begriffe überhaupt. Das Bekenntnis „Ich bin für Europa“ist ebenso scharfsinn­ig wie „Ich bin für das Wetter“. Es geht um die „EU-Politik“und nicht um „Europa“. Dann die Bildung. Weder wird bessere Schulbildu­ng die Arbeitslos­igkeit nachhaltig senken noch den moralische­n Zustand unserer Gesellscha­ft veredeln. Fast alle Kriegsverb­recher, die in Nürnberg auf der Anklageban­k saßen, waren hochgebild­ete Männer. Feuerbach schrieb (lang ist’s her): „Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamatio­nen gegen die Sünde bessere Speisen. Der Mensch ist, was er isst.“

Die Grünen sollten sich nicht der Täuschung hingeben, der Erfolg Alexander Van der Bellens würde sich von selbst positiv auf die Partei auswirken. In meinem Bekanntenk­reis wimmelt es von „Bauchweh-Grünen“, die sich im BP-Wahlkampf kräftig engagiert haben, deren Stimme für die Grünen aber keineswegs sicher ist.

GEORG HERRNSTADT (Jahrgang 1948) ist Musiker, Komponist und Autor in Wien.

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Die grüne Lichtgesta­lt: Alexander Van der Bellen nach der tatsächlic­h gewonnenen Präsidente­nwahl. Nach dem Wahlkampf brachen die Gräben bei den Grünen auf.
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Foto: Corn Georg Herrnstadt: Alt heißt nicht unbedingt schlecht.

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