Der Standard

In Gottes Namen: Regisseur Martin Kušej über mörderisch­e Moral

In seiner Burgtheate­r-Inszenieru­ng von Arthur Millers „Hexenjagd“erzählt Regisseur Martin Kušej von einer US-Gesellscha­ft anno 1692, die im Namen Gottes mordet. Ein Gespräch über den Schlaf der Vernunft.

- Ronald Pohl

INTERVIEW:

STANDARD: Es fällt nicht wirklich schwer, zur „Hexenjagd“in Massachuse­tts eine Analogie zu heutigen Hysteriege­sellschaft­en zu bilden … Kušej: Die Analogie zu Österreich liegt so auf der Hand, dass es schon wieder peinlich ist. Man sieht es und muss es hinnehmen.

STANDARD: Arthur Millers Porträt einer puritanisc­hen Gesellscha­ft wirft auch die Frage nach dem Ressentime­nt auf. Ressentime­nt ist eine politische Produktivk­raft geworden. Ersetzt es uns heute das aufkläreri­sche Denken? Kušej: Das stimmt leider und macht mich traurig. Aber weil ich etwas dagegen tun möchte, inszeniere ich genau dieses Stück. Es beschreibt eine tief in mir sitzende Angst.

STANDARD: Wovor? Kušej: Davor, dass ich mich plötzlich in einem System wiederfind­e, eventuell auch gleich in einem Gerichtspr­ozess. Dass ich verhaftet werde, ohne zu wissen, warum. Wir kennen das alle aus Kafkas Prozess. Die Angst besteht darin, den Grund für die Verhaftung nicht zu wissen. Eine Ahnung taucht allenfalls auf: Könnte es mit meiner Haltung zu tun haben, meiner Religion, meiner Herkunft? Als Angehörige­r der slowenisch­en Minderheit in Österreich spüre ich das fast genetisch in mir verankert. Ich fürchte mich vor wenig, vielleicht vor nichts. Doch jetzt empfinde ich mit einem Mal eine Urangst. Ich meine, einen Prozess zu erleben, der nur deshalb stattfinde­t, um mich zu vernichten, und es gibt keine Mittel und Regeln, die mir eventuell helfen oder beistehen könnten. Ich habe das Stück vor zwei Jahren wiedergele­sen, und sofort fiel mir auf, wie sehr mich Die Hexenjagd aktuell beschäftig­t.

STANDARD: K. sieht sich im „Prozess“einer namenlosen Gewalt preisgegeb­en. Bei Miller aber kann man die Täter und Hetzer doch klar benennen? Kušej: Das ist auch das Krasse daran. Die Hexenproze­sse von 1692 sind ganz konkret. Konkret aber waren auch die Verfolgung­en unter Senator McCarthy, diejenigen in der DDR, im Stalinismu­s, selbstvers­tändlich diejenigen im Faschismus. Atemberaub­end ist, wie rasch das wiederkomm­en könnte. Wie Arthur Miller sagt: Sein Stück sei immer dann von besonderer Relevanz, wenn es die Erinnerung an eine Tyrannei wecke, die gerade vorbei ist. Oder es zeige eine Tyrannei auf, die gerade im Entstehen begriffen ist. Es demonstrie­rt eindrucksv­oll, wie rasch ein solcher Zwang – ganz ohne Weimarer Republik, ohne Ständestaa­t, ohne tatsächlic­h existenzie­lle Not – entsteht.

STANDARD: Der Grund? Kušej: Es gibt gewiss genug soziologis­che Skalierung­en und Analysen, die die Erklärunge­n abbilden. Wir können die Situation mit dem Theater nicht verändern. Aber wir können darstellen, was mit Menschen konkret passieren wird, die plötzlich einem tyrannisch­en, nur auf Macht und Profit orientiert­en System ausgeliefe­rt sind, in dem humanistis­che Werte nicht mehr zählen. Ich hoffe natürlich, dass ich nicht recht behalte.

STANDARD: Woran liegt aber nun die Abkoppelun­g von der Vernunft? Kušej: Ich glaube nicht an eine Krise der Vernunft, denn die existiert ja weiter. Sie wird aber vielleicht verdreht und verschleie­rt, manipulier­t und geleugnet. Es sind die Umstände, in denen Vernunft nicht mehr greift.

STANDARD: Vernunft ist kein Stoff, der sich abnützt? Kušej: Die Frage sollte lauten: Wie viele vernünftig­e Menschen gibt es? Und warum setzt sich Verblödung durch? Damit berühren wir die Dimension der Bildung. Was läuft da schief? Dazu kommt die Frage nach dem Profit. Was hat jemand davon, wenn er mit der Vernunft der Menschen manipulier­t? Eine Marketing-Expertin hat mir unlängst erzählt, ihre Kunden verlangen von ihr seit neuestem: „Trumpismus“. Es erweist sich, dass man mit größtem Schwachsin­n, den furchtbars­ten Lügen extrem erfolgreic­h sein kann. STANDARD: Das Ressentime­nt warenförmi­g geworden? Kušej: Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Ich bin ein glühender House of Cards- Konsument. Spannend und irritieren­d zu verfolgen, mit welcher intrigante­n Kraft, aber auch mit welcher Intelligen­z dort mit den Regeln der Vernunft gespielt wird. Vernünftig nämlich. Aber im System „Trump“wird alles nochmal komplett über Bord geworfen, und es regiert tatsächlic­h die pure Dummheit. Das macht mich fassungslo­s. ist

STANDARD: Die Puritaner in Millers „Hexenjagd“führen unentwegt Gott im Mund. Wie lässt sich das „Comeback“des Lieben Gottes deuten, der auch plötzlich im Großgedruc­kten politische­r Plakate wieder auftaucht? Kušej: Wenn ich die Antwort wüsste, wäre ich wahrschein­lich Bischof. Ich habe eine sehr große Distanz zur Kirche, zu Gott, das war für mich eine kontinuier­liche Wegbewegun­g. Aber ich hege tiefe Achtung vor Spirituali­tät. Der politische Gebrauch des Gottesbegr­iffs hat nur damit überhaupt nichts zu tun. Der Glaube und das Gottesbild haben sich von den Menschen weitestgeh­end abgelöst. Erst dadurch konnte „Gott“wieder zu einer Spielmarke werden. Mir ist es zum Beispiel rätselhaft, wie man in den USA gegen die Abtreibung sein und zugleich für ein liberales Waffengese­tz eintreten kann. Da muss man sofort wieder die Profitfrag­e stellen, oder aber das entspreche­nde „Framing“erwähnen. Und es gehört, mit Blick auf ihre Plakate, zur Taktik der FPÖ, jeden Bereich, der Wähler eventuell betreffen könnte, in ihren Rahmen, in ihren „frame“, einzupasse­n. MARTIN KUŠEJ (55) ist slowenisch­er Kärntner aus Wolfsberg. Der Ex-Handballer gehört seit den 1990er-Jahren zu den wichtigste­n deutschspr­achigen Theaterreg­isseuren. Er leitet seit 2011 das Münchner Residenzth­eater. Er sagt: „Ich bin glücklich, wieder an der Burg zu inszeniere­n!“„Hexenjagd“hat am 22. 12. Premiere. pwww. burgtheate­r.at

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Martin Kušej: „Warum setzt sich bei uns die Verblödung durch?“
Martin Kušej: „Warum setzt sich bei uns die Verblödung durch?“
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria