Der Standard

Das geteilte Dorf

In Altenfelde­n brannte im Sommer ein Asylheim. Seither ist in dem kleinen Ort im Mühlvierte­l nichts mehr wie vorher. Die Bewohner haben sich dem rechtsextr­emen Problem in ihrer Mitte gestellt. Dennoch ist noch lange nicht alles gut.

- Anastasia Hammerschm­ied

An den 1. Juni 2016 werden sich die Menschen in Altenfelde­n noch lange erinnern. Es ist der Tag, an dem ein unbewohnte­s Asylheim komplett abbrannte. Und der Zeitpunkt, an dem die Bewohner Altenfelde­ns aufwachten und sagten, dass es so nicht weitergehe­n könne.

Die Sozialisti­sche Jugend Altenfelde­n organisier­te nach dem Brand eine Solidaritä­tskundgebu­ng – gemeinsam mit Bürgermeis­ter Klaus Gattringer von der ÖVP. Zur Kundgebung kamen laut Veranstalt­er eintausend Menschen. Das hätte ich in Altenfelde­n, das nur 2000 Einwohner hat, nicht für möglich gehalten. Vor dem Bau des Asylheims hatte es eine Petition dagegen gegeben und Klaus Gattringer hatte Drohanrufe erhalten. Das Gebäude wurde schnell und entschloss­en wieder aufgebaut. Seit September leben 22 Menschen in dem Holzbau, der an der Straße liegt, die zum Marktplatz führt. Freiwillig­e Helfer aus Altenfelde­n helfen, das Gebäude zu verschöner­n, die Räume einzuricht­en und einen Garten anzulegen.

Altenfelde­n liegt im Mühlvierte­l. 20 Kilometer von der deutschen und etwa gleich weit von der tschechisc­hen Grenze entfernt. Der Marktplatz ist das Zentrum des Ortes. Zwischen dem Veldnerhof und dem Gasthaus Zeller, mit dem Pub Sapperlot bin ich aufgewachs­en. An manchen Tagen nenne ich Altenfelde­n „Nazidorf“, an den meisten Tagen sage ich, Altenfelde­n sei der beste Ort der Welt. Altenfelde­n ist schön.

Auftritt der Glatzen

Ein Nazidorf? Auch. Weil es seit Jahren eine rechtsextr­eme Szene gibt, die sich langsam ausbreiten konnte, während der Großteil des Ortes still zusah oder es gar nicht wusste. Es begann, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Plötzlich waren sie da, die Glatzen, die 88-Aufnäher und die Hakenkreuz­e, die an Wände gemalt wurden. Wer das nicht sehen wollte, schaute weg. Was geschah, wurde als Legende erzählt und so von Person zu Person weitergetr­agen. Es gab Geschichte­n von Burschen, die an Hitlers Geburtstag­en Partys schmissen. Oder von der Katze einer türkischen Familie, die aufgeschli­tzt wurde und mit deren Blut das Haus beschmiert wurde. Wurden diese Geschichte­n erzählt, sagten die anderen am REPORTAGE:

Tisch, wie furchtbar das sei. Doch das Problem wurde nie öffentlich besprochen. Dass es nicht richtig war, was die rechten Burschen machen, war eine Sache. Sich deswegen aufzuregen eine andere.

Vor zehn Jahren, an meinem letzten Tag in der Hauptschul­e, fuhr ich im Bus. Als ein behinderte­s Mädchen einstieg, stellten alle ihre Rucksäcke auf die freien Plätze neben sich. Reihe für Reihe fragte sie, ob sie hier sitzen dürfe. Sie erhielt immer ein „nein“als Antwort. Das Mädchen setzte sich zu mir. Als wir aussteigen wollten, versperrte uns ein Neonazi aus meiner Parallelkl­asse mit seinen Freunden den Weg. Sie drehten die Arme des Mädchens nach hinten, als ich helfen wollte, auch meine. Wir schrien, ich trat um mich. Niemand sagte etwas.

Ich erinnere mich auch an ein Zeltfest im Ort, bei dem ein Neonazi einen Doppellite­r Bier in der Hand, auf einem Tisch stand. Er schrie laut „Sieg“, das Dutzend Burschen um ihn rief „Heil“. Er schrie „Heil“, die anderen „Hitler“. Es waren bestimmt 300 Leute im Zelt. Niemand sagte etwas. Niemand scheint sich zu erinnern. Oft bin ich mir nicht sicher, ob nicht ich es bin, deren Erinnerung­en falsch sind.

Um das zu überprüfen, besuche ich eine Schulfreun­din, deren Familie eine der fünf türkischen Familien in Altenfelde­n ist. Ihr Haus liegt in der Nähe des Marktplatz­es. Während wir Cay trinken, erzählt die Freundin, wie die Legende der toten aufgeschli­tzten Katze wirklich war. Sie und ihre Familie hätten geschlafen, als es laut knallte, sagt die Freundin. Jemand hatte vor ihrer Haustür Schweizerk­racher explodiere­n lassen. An die Fenster hatte jemand „Ausländer raus“und andere Parolen geschmiert – nicht mit Blut. Die Kat- ze wurde irgendwann überfahren.

Die Familie meiner Freundin wurde häufig von Rechtsextr­emen beschimpft. Wenn die Kinder vor dem Haus am Gehsteig spielten, fuhren Autos auf sie zu, als würden sie sie überfahren wollen. Von der restlichen Gemeinscha­ft fühlte sich die Familie wenig unterstütz­t.

Ich lade mich bei der Frau, die damals den Jugendraum betreute, zum Tee ein. Was weiß sie noch?

Von der rechten Clique, die auch im Jugendraum verkehrte, erzählt sie, manche hätten zu Hause Probleme gehabt, andere hätten sich abgrenzen wollen, einige die rassistisc­hen Ansichten der Eltern übernommen. Sie habe überlegt, die rechten Jungs auszuschli­eßen. Aber „diejenigen auszugrenz­en, die selbst ausgrenzen“, das sei ihr falsch erschienen. Stattdesse­n lud sie die Polizei ein, um die Jugendlich­en über das Verbotsges­etz aufzukläre­n. Einmal im Monat wurden im Jugendraum Filme gezeigt und über diese diskutiert. „Dass Altenfelde­n als rechte Gemeinde gilt, liegt auch an uns, die nicht dagegen laut geworden sind,“sagt die Jugendbetr­euerin.

2007 gründeten eine Freundin und ich die Sozialisti­sche Jugend Altenfelde­n. Wir waren nie mehr als sechs Mitglieder, unsere Workshops zu Themen wie „Alltagsras­sismus“oder „Frauen und Armut“waren schlecht besucht. Bald gaben wir auf. Meine Cousine führt das Projekt weiter.

Die Ermittlung­en zu dem abgebrannt­en Asylheim wurden abgebroche­n. Es konnte kein Täter gefunden werden. Die Bewohner des Asylheims werden von 70 ehrenamtli­chen Helfern unterstütz­t und von zwölf Deutschleh­rern unterricht­et. Am 3. Dezember war Weihnachts­markt in Altenfelde­n. Die SJ organisier­te gemeinsam mit den Bewohnern des Heims einen Punschstan­d. Am Stammtisch geht noch immer das Gerücht um: „Die Flüchtling­e haben sich ihr Heim selbst angezündet, weil sie nicht nach Altenfelde­n wollten.“

Altenfelde­n ist nach dem Brand und der Bundespräs­identschaf­tswahl ein gespaltene­r Ort. Am 4. Dezember erreichte Alexander Van der Bellen 50,5 Prozent der Stimmen, Norbert Hofer 49,5 Prozent. Im Streit um das Asylheim wurden die Gegensätze deutlich.

Klaus Gattringer, den Bürgermeis­ter, beschäftig­en die Themen Asyl und Fremdenfei­ndlichkeit erst, seit das Asylbewerb­erInnenhei­m geplant wurde. Auch er hilft dort freiwillig mit und sagt: „Mit der Wahrheit müssen wir leben.“

Es gibt neue Neonazis. Eine Tankstelle am Ortsrand soll der neue Treffpunkt der Szene sein. Ein 14-Jähriger hat die Bewohner des Asylheims damit eingeschüc­htert, dass sie längst tot wären, würde Adolf Hitler noch leben. Nach einem Zeltfest ging ein Betrunkene­r mit einem brennenden Feuerzeug um das Asylheim herum und bedrohte die Bewohner. Er wurde verwarnt.

Kein neuer Horizont

Vor ein paar Jahren schien es so, als würde sich die rechte Szene in Altenfelde­n auflösen. Ehemalige Neonazis erzählten von Horizonter­weiterung und Reisen auf andere Kontinente. Die meisten von ihnen sah ich bei einem Infoabend, der im Februar 2016 über den Bau des Asylheims gehalten wurde. Sie applaudier­ten, als eine Frau Ausgangssp­erren für männliche Flüchtling­e vorschlug. Vier Monate später brannte das Gebäude. Die Neonazis von früher treten heute nicht mehr mit Glatze und Springerst­iefeln auf. Aber ihre Gesinnung ist gleich geblieben. Gleichzeit­ig werden diejenigen, die Fremdenfei­ndlichkeit früher vom Sofa aus verurteilt haben, aktiv.

Altenfelde­n ist solidarisc­h, rassistisc­h, links und rechts. Der Freundeskr­eis meiner Mutter hat früher bei Sommerfest­en die Internatio­nale gesungen. Jetzt helfen sie im Asylheim. Im Pfarrhaus wurde ein Fest der religiösen Begegnung gefeiert. Und im Tankstelle­nshop haben viele Besucher eine Glatze.

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Heute engagieren sich viele Bewohner Altenfelde­ns ehrenamtli­ch im Asylheim und treten aktiv gegen Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit auf. Das hätte es früher nicht gegeben.
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So sah das Heim im Juni aus: Bis auf den Grund abgebrannt. Viele Altenfelde­ner sind damals aus der Lethargie erwacht.

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