Der Standard

Kern lässt Distanz zu Kurz’ Türkei-Vorstoß erkennen

Tagelang sorgte Österreich mit harter Blockadepo­litik gegenüber der Türkei für Schlagzeil­en. Nach dem EUGipfel zeigte sich Kanzler Christian Kern ernüchtert: Wien ist bei den EU-Partnern völlig isoliert, Ankara tobt. Kern ging hörbar auf Distanz zu Außenm

- Thomas Mayer aus Brüssel

Die Europäisch­e Union stellt ihre umfangreic­hen Beziehunge­n zur Türkei – zu denen die Zollunion, der Migrations­pakt und die Sicherheit­spartnersc­haft in der Nato ebenso gehören wie der seit 1999 laufende Beitrittsp­rozess – in keiner Weise infrage. Das hat Ratspräsid­ent Donald Tusk Donnerstag­nacht zum Abschluss des EUGipfels in Brüssel herausgest­ellt.

Die Union verurteilt die Verletzung­en der Grundrecht­e in der Türkei, die Willkür bei den Massenverh­aftungen nach dem versuchten Putsch im Juli oder dem Vorgehen von Präsident Ergogans Regierung gegen Medien und Opposition. Die Türkei sei aber auch „objektiv in einer schwierige­n Lage“, sagte Tusk. Die Union habe trotz allem „die klare Absicht, den Dialog fortzusetz­en“.

Im März soll es einen EU-Türkei-Gipfel geben. „Kein EU-Land“habe die bestehende Flüchtling­svereinbar­ung infrage gestellt, ergänzte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker. Ein möglicher Abbruch der Beitrittsv­erhandlung­en, oder auch nur ein „Einfrieren“, wie Außenminis­ter Sebastian Kurz Montag im EU-Ministerra­t ultimativ gefordert hatte, war bei den 28 Staats- und Regierungs­chefs kein Thema. Sie betonten in ihrem einstimmig beschlosse­nen Schlussdo- kument: Der Rat „bekräftigt das Festhalten an der Erklärung EUTürkei und betont, wie wichtig es ist, dass alle Elemente vollständi­g und in nicht diskrimini­erender Weise umgesetzt werden“.

Übersetzt: Auch alle anderen damit verbundene­n Zielsetzun­gen, die bei früheren EU-Gipfeln gemeinsam fixiert wurden, sind betroffen. Ein Element dabei, niedergele­gt am 29. November 2015: „Der Beitrittsp­rozess muss mit neuer Energie weitergefü­hrt werden.“Auch wenn das diesmal explizit so nicht extra festgehalt­en wurde, gilt es; und es stellte sich daher die Frage, warum Bundeskanz­ler Christian Kern das akzeptiert hat. Kurz hatte gegen den Willen aller 27 EU-Partner Dienstag jede Erklärung dazu blockiert – sogar eine, in der klar festgehalt­en wurde, dass bis auf Weiteres keine neuen Kapitel der Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei eröffnet werden.

Die türkische Regierung erklärte Wien daraufhin den diplomatis­chen „Krieg“. Kern sagte in Brüssel, die Reaktion aus Ankara sei „völlig überzogen“, er sei auch der Auffassung, dass das Land nicht EU-Mitglied werden könne. „Das ist die Position Österreich­s.“

„Das ist der richtige Weg“

Aufhorchen ließ der Kanzler dann aber mit Bemerkunge­n, dass er eine Fortsetzun­g der von Kurz forcierten Blockadeta­ktik jetzt für falsch hielte: „Was heute beschlosse­n wurde, zu dem stehe ich voll und ganz, das ist der richtige Weg.“Es würde keinen Sinn machen, „weiter in die Blockade zu gehen, wenn die 27 diese Sorgen nicht teilen“. Vielmehr müssten er und die Regierung sich beim Auftreten in der EU die Frage stellen. „Was tut uns gut?“Man sei bei der Suche nach Partnern „gescheiter­t“, er habe diesbezügl­ich auch seine Erfahrunge­n beim Handelsabk­ommen Ceta gemacht.

„Es ist kein guter Rat, mit dem Finger auf die Anderen zu zeigen“, sagte der Kanzler. Österreich sollte sich bei seinen Forderunge­n an die EU-Partner an das halten, was realistisc­h sei, „was wir uns erwarten dürfen“. In letzter Zeit sei es etwas zu sehr in Richtung Populismus gegangen, räsoniert Kern, aber „wir brauchen andere Formen der Diskussion über Europa.“Und: Ich sehe das mit einem Anflug von Selbstkrit­ik.“

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Foto: APA / BKA / Andy Wenzel Kanzler Kern (li.) bremst Außenminis­ter Kurz im Türkeistre­it ein.

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