Der Standard

Gesundheit­sreform: „Fürchtet euch nicht“

In Graz läuft seit 1984 erfolgreic­h ein sozialmedi­zinisches Versorgung­szentrum

- Walter Müller

Graz – Gustav Mittelbach hat einen guten Rat für seine Arztkolleg­en und -kolleginne­n parat: „Fürchtet euch nicht. Durch die Spitalsref­orm, konkret die „Primärvers­orgungszen­tren“, drohe kein „Sterben“der Hausärzte. Das SMZ in Graz, das sozialmedi­zinische Zentrum der Landeshaup­tstadt, sei das beste Beispiel dafür.

Mittelbach hat mit Medizinerk­ollegen bereits 1984 eine Praxisgeme­inschaft im Grazer Bezirk Liebenau gegründet und diese sukzessive zu einem umfassende­n medizinisc­h-sozialen Zentrum ausgebaut. Im Prinzip ein „Best Practice“-Vorgängerm­odell der jetzt in Diskussion stehenden Primärvers­orgungszen­tren.

Unter einem Dach werden hier seit Jahren medizinisc­he sowie psycho- und physiother­apeutische Betreuung, Sozialarbe­it, Gesundheit­sförderung, Hauskranke­npflege, aber auch Beratungen in Familien-, Rechts- oder Mietfragen angeboten.

„Der Anfang in den 1980er-Jahren war ziemlich schwierig“, sagt Mittelbach. „Es gab dieselben Konflikte, die heute auftauchen. Im Grunde hatten wir mit denselben Ängsten zu tun.“Auch damals seien die Ärztekamme­r und die Hausärzte gegen das Zentrum Sturm gelaufen, es habe sogar Unterschri­ftenaktion­en gegeben. „Wenn man aber heute in den Bezirk blickt: Es ist keine einzige Arztpraxis geschlosse­n worden, kein Hausarzt musste wegen uns aufgeben. Es gibt heute im Bezirk gleich viele Ärzte wie vorher. Die Befürchtun­gen, dass mit unserem Zentrum eine Konkurrenz erwachsen wäre und die Patienten gewechselt hätten, haben sich nicht bewahrheit­et“, sagt Mittelbach.

Die nun in der Kritik der Ärztekamme­r stehenden Primärvers­orgungszen­tren seien „mit Sicherheit kein Angriff auf die Allgemeinm­ediziner“, wie suggeriert werde, „sondern eigentlich eine Aufwertung“, versichert Mittelbach.

„Die Zeiten, als der Hausarzt noch alles war, vom Arzt bis zum Lebensbera­ter, haben sich eben geändert. Ärzte müssen heute nicht mehr eine One-Man-Show abliefern“, sagt Mittelbach.

Dass ein multiprofe­ssionelles medizinisc­hes Zentrum funktio- niere, „beweist das SMZ – übrigens das erste dieser Art in Österreich“, sagt Mittelbach. Finanziell getragen werde das Zentrum über mehrere Ebenen: Bund, Land, Gebietskra­nkenkasse oder Stadt Graz – je nach angebotene­r medizinisc­htherapeut­ischer Behandlung oder Beratungsl­eistung.

Zweifelsoh­ne werde die Ärztekamme­r bei der Errichtung solcher Zentren an Einfluss verlieren. Insofern sei die Reform ein Paradigmen­wechsel in der Gesundheit­sversorgun­g, sagt Mittelbach.

„Exotisches Modell“

Vor einem Jahr hat der Arzt eine derartige Bewegung im heimischen Gesundheit­ssystem noch nicht für möglich gehalten. In der 2015erJubi­läumsausga­be der SMZ-internen Zeitung schrieb der Mediziner: „Man hat uns vielleicht nur gewähren lassen. Wirklich interessie­rt daran war niemand. Das Gesundheit­swesen entwickelt sich immer mehr in eine kommerzial­isierte Richtung (,Ware Gesundheit‘). Gefragt ist privater Profit und nicht solidarisc­he Gesundheit­ssicherung. Das SMZ als anachronis­tisches, exotisches Modell passt nicht dazu und verschwind­et in der Rumpelkamm­er des österreich­ischen Gesundheit­swesens.“

Mittelbach irrte, er war allzu pessimisti­sch. Das SMZ soll nun zum ersten „Primärvers­orgungszen­trum“der neuen Generation in Graz ausgebaut werden.

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