Der Standard

Faktor-V-Leiden: Wenn Blut dicker ist

Blut muss gerinnen, um Verbluten zu verhindern. Zirka fünf Prozent der westlichen Bevölkerun­g haben das Faktor-V-Leiden, eine genetische Besonderhe­it, die das Thromboser­isiko erhöht.

- Karin Pollack

Wien – Die Erkenntnis­se aus genetische­n Untersuchu­ngen bringen mitunter Erstaunlic­hes ans Licht. Zum Beispiel: Zirka fünf Prozent der westlichen Bevölkerun­g haben ein etwas dickeres Blut, es klumpt leichter, und insofern besteht ein erhöhtes Risiko für Blutgerinn­sel, also Thrombosen. Faktor-V-Leiden heißt diese genetische Mutation, die dazu führt, dass ein bestimmtes Eiweiß anders gebildet wird. Konkret führt ein veränderte­s Basentripl­ett im Genom dazu, dass statt der Aminosäure Arginin an Position 506 des Proteins Glutamin eingebaut wird. Durch die veränderte Struktur wird die Gerinnungs­kaskade im Blut durch die sogenannte aktivierte Protein-C-Resistenz (APC) gestört und die gerinnungs­hemmende Wirkung reduziert. Das führt zu einer Disbalance an gerinnungs­hemmenden und gerinnungs­fördernden Einflüssen, wodurch die Neigung, Thrombosen zu entwickeln, steigt.

Gen-Shift und die Folgen

„Wir wissen, dass diese Mutation von einem einzigen Individuum ausging und ungefähr vor 30.000 Jahren passierte“, erzählt Ingrid Pabinger-Fasching, Gerinnungs­expertin an der Abteilung für Hämatologi­e und Hämostaseo­logie der Med-Uni Wien, und insofern seien alle Faktor-V-Leiden- Träger auch direkte Nachfahren dieses einen Individuum­s. Mit Leiden, wie der Name suggeriert, hat diese Normabweic­hung aber nichts zu tun, sie wurde lediglich nach ihrem Entdeckung­sort, der holländisc­hen Universitä­tsstadt Leiden, benannt. Betroffene spüren die Thrombophi­lie nicht.

Allerdings: Forscher stellten bei Betroffene­n eine erhöhte Thrombosen­eigung fest. Zudem besteht der Verdacht, dass der Faktor-VLeiden mit Schwangers­chaftskomp­likationen im Zusammenha­ng steht. Die entscheide­nde Frage ist also: Ist Screening nach Faktor-V-Leiden in der Bevölkerun­g sinnvoll, weil dadurch präventiv Maßnahmen eingeleite­t werden könnten, etwa die Gabe von niedermole­kularem Heparin an Schwangere, um Aborte zu vermeiden.

Frage der Fruchtbark­eit

Nach langjährig­en Studien hat sich gezeigt: „Wir haben eindeutig Evidenz, dass die Gabe von Heparin bei Aborten nicht zielführen­d ist“, sagt die holländisc­he Thrombophi­lie-Expertin Saskia Middledorp von der Universitä­t Amsterdam, die in den vergangene­n 30 Jahren eine Reihe von Studien zu diesem Thema durchgefüh­rt hat. Gynäkologe­n, die Frauen mit häufigen Aborten Heparin verschreib­en, verschwend­en Geld, sagt sie. Allerdings sind bei Frauen mit Thrombophi­lie noch Studien im Gange.

Middledorp hat über die Auswertung einer Studie zur Fruchtbark­eit der holländisc­hen Bevölkerun­g aber auch noch einen interessan­ten Seitenaspe­kt von FaktorV-Leiden-Trägern herausgefu­nden. Männliche Faktor-V-LeidenTräg­er haben zahlreiche­re und bewegliche­re Spermien und machen ihre Sexualpart­nerinnen schneller schwanger. Für Faktor-V-LeidenTräg­erinnen gilt: „Sie werden schneller schwanger, haben aber häufiger Fehlgeburt­en, und wir wissen nicht, warum das so ist“, sagt Middledorp und will im Rahmen des Alife2-Trials weiterfors­chen. Pabinger-Fasching sieht dabei auch den epigenetis­chen Vorteil von Faktor-V-Leiden. „Blutungen bei der Geburt sind heute kein Problem mehr, aber noch vor 120 Jahren sind viele Frauen genau deshalb im Kindbett gestorben“, so Pabinger-Fasching, Frauen mit Faktor-V-Leiden sind durch ihre Gerinnungs­störung in diesem Punkt also besser geschützt.

Wenn also das genetische Wissen um Faktor-V-Leiden im Zusammenha­ng mit Schwangers­chaft und Aborten keine Relevanz hat, stellt sich die Frage anders, wenn es um Verhütung geht. Wenn Trägerinne­n des Faktor-VLeiden-Gen mit der herkömmlic­hen Pille auf Östrogen- und Gestagenba­sis verhüten, potenziere­n sie ihr Thromboser­isiko, das dann auf das 35-Fache erhöht ist. „Das ist erheblich und vor allem beeinfluss­bar, es gibt ja schließlic­h eine Reihe von Alternativ­en für die Verhütung“, sagt Pabinger-Fasching und findet das Wissen um die Genvariant­e vor der Einnahme der Pille überlegens­wert. Doch untersucht wird heute nur auf ausdrückli­chen Wunsch. Frauen, die wissen, dass in ihren Familien Thrombosen häufig sind, sollten deshalb ihrer Meinung nach Verhütungs­methoden anwenden, die das Thromboser­isiko nicht erhöhen, weil sich in diesem Fall potenziell­e Komplikati­onen vermeiden lassen.

Risiko im Alter

„Im Alter besonders ab dem 60. Lebensjahr steigt das Thromboser­isiko generell an“, sagt PabingerFa­sching. Im Bezug auf die altersbedi­ngte Thrombosen­eigung sieht sie keine zusätzlich­e Möglichkei­t, durch den genetische­n Test Blutgerinn­sel zu verhindern. Auch Faktor-V-Leiden-Träger haben dann ein höheres Risiko als andere, „allerdings gibt es viele 90-jährige Faktor-V-Leiden-Träger, die niemals ein thrombotis­ches Ereignis hatten“, umreißt Pabinger eine diffizile Abwägung von Risiken. Wenn typische Thromboser­isikositua­tionen wie Operatione­n, Verletzung­en oder Tumoren dazukommen, dann wird eine Prophylaxe mit Heparin oder anderen Antikoangu­lantien laut Leitlinien bei allen Patienten angewendet, weil das erwiesener­maßen Thrombosen reduziert – unabhängig von Faktor-V- Leiden.

Pabinger-Fasching schlussfol­gert: „Eine Faktor-V-Leiden-Mutation ist kein Überlebens­nachteil“, sagt sie und argumentie­rt darwinisti­sch: „Wenn es so wäre, dann hätte sich diese Mutation nicht über so viele Jahrtausen­de durchsetze­n können.“Genetische­s Wissen ist in diesem Zusammenha­ng deshalb zwar interessan­t, aber nur bedingt hilfreich.

 ??  ?? Blutgerinn­ung ist ein hochkomple­xer Prozess: Träger des Faktor-V-Leiden-Gens neigen zu Thrombosen (Thrombophi­lie). Es bilden sich Gerinnsel, die sich loslösen und Embolien verursache­n können.
Blutgerinn­ung ist ein hochkomple­xer Prozess: Träger des Faktor-V-Leiden-Gens neigen zu Thrombosen (Thrombophi­lie). Es bilden sich Gerinnsel, die sich loslösen und Embolien verursache­n können.

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