Rachsüchtige Mäuse in Menschengröße
„Der Nussknacker“nach E. T. A. Hoffmann im Renaissancetheater
Wien – Über das Unheimliche schrieb Sigmund Freud, dass es das Heimische in sich trägt. E. T. A. Hoffmann lässt sein Märchen Nußknacker und Mausekönig auch in einem familiären Umfeld spielen – und betritt in der Bühnenadaption im Renaissancetheater gleich selbst die Bühne. Aus dem Boden empor steigt Hoffmann (Matthias Mamedof) und wirbelt mit seinem Lockenkopf im Rhythmus seiner Geige. Mitgebracht hat er seinen Kater Coppelius, der gleich das Eis zu dem jungen Publikum bricht – und einen Bogen zu einer anderen Erzählung Hoffmanns schlägt.
In Der Sandmann fürchtet der junge Nathanael den Advokaten Coppelius und dessen „grünliche Katzenaugen“, den er als Erwachsener im Optiker Coppola wiedererkennt – worauf er sich in die Puppe Olympia verliebt. Die kindliche Fantasie und die Faszination für mechanische Dinge bestimmen auch Der Nussknacker. Und auch hier ist Coppelius – diesmal jedoch in Form einer lustigen Katzenpuppe mit Spiralkörper – der Auslöser der Illusion.
Noch ein bisschen warten
Das Haus der Familie Stahlbaum am Weihnachtsabend. Das perspektivisch verzerrte Zimmer (Bühne: Gerald Maria Bauer / Magdalena Wiesauer) zeugt schon von den sonderbaren Dingen, die bald geschehen werden. Während ihre Eltern und ihre Geschwister genervt der Bescherung entgegensehen, erfreut sich die kleine Marie (Tanja Raunig) an ihrem Patenonkel Drosselmeier (ebenfalls Mamedof), der stets die fantasievollsten Geschenke bringt. Dieses Jahr schenkt er ihr ein Papiertheater und einen Nussknacker (Luka Dimic), der zu Mitternacht lebendig wird. Marie erfährt von seinem Schicksal und stellt sich im Kampf gegen den Mausekönig und dessen Mutter Mauserinks ihren Ängsten.
Regisseur Gerald Maria Bauer hat mit seiner Fassung eine kind- und zeitgemäße Version des Märchens kreiert. Darum bricht auch nicht die Liebe des Mädchens zu dem Nussknacker den Fluch, sondern die Fan- tasie des Kindes. Charmant wird auf diese altersgerechte Änderung auch hingewiesen: Als der Nussknacker Marie küssen möchte, sagt sie: „Da müssen wir noch ein paar Jahre warten.“
Tollpatsch und Träumer
Neben dem Bühnenbild beeindrucken vor allem die Kostüme (Stephan Dietrich), die die Schauspieler in Puppen verwandeln. Lobenswert ist das gesamte Ensemble: Mamedof und Raunig überzeugen als Traum-Verfechter, Janina Stopper in ihrer trotzigen Dreifachrolle. Stefan Rosenthal nervt – und soll es auch – als älterer Bruder Fritz und erfreut als tollpatschiger Mausekönig. Pia Baresch hat als rachsüchtige Mauserinks und strenge Mutter den Part der Bösewichte. Eine durchwegs gelungene Inszenierung mit einer liebenswerten Botschaft: Die Fantasie eines Kindes kann alles besiegen – auch rachehungrige Mäuse in Menschengröße. Ab 6 Jahren