Der Standard

Rachsüchti­ge Mäuse in Menschengr­öße

„Der Nussknacke­r“nach E. T. A. Hoffmann im Renaissanc­etheater

- Katharina Stöger

Wien – Über das Unheimlich­e schrieb Sigmund Freud, dass es das Heimische in sich trägt. E. T. A. Hoffmann lässt sein Märchen Nußknacker und Mausekönig auch in einem familiären Umfeld spielen – und betritt in der Bühnenadap­tion im Renaissanc­etheater gleich selbst die Bühne. Aus dem Boden empor steigt Hoffmann (Matthias Mamedof) und wirbelt mit seinem Lockenkopf im Rhythmus seiner Geige. Mitgebrach­t hat er seinen Kater Coppelius, der gleich das Eis zu dem jungen Publikum bricht – und einen Bogen zu einer anderen Erzählung Hoffmanns schlägt.

In Der Sandmann fürchtet der junge Nathanael den Advokaten Coppelius und dessen „grünliche Katzenauge­n“, den er als Erwachsene­r im Optiker Coppola wiedererke­nnt – worauf er sich in die Puppe Olympia verliebt. Die kindliche Fantasie und die Faszinatio­n für mechanisch­e Dinge bestimmen auch Der Nussknacke­r. Und auch hier ist Coppelius – diesmal jedoch in Form einer lustigen Katzenpupp­e mit Spiralkörp­er – der Auslöser der Illusion.

Noch ein bisschen warten

Das Haus der Familie Stahlbaum am Weihnachts­abend. Das perspektiv­isch verzerrte Zimmer (Bühne: Gerald Maria Bauer / Magdalena Wiesauer) zeugt schon von den sonderbare­n Dingen, die bald geschehen werden. Während ihre Eltern und ihre Geschwiste­r genervt der Bescherung entgegense­hen, erfreut sich die kleine Marie (Tanja Raunig) an ihrem Patenonkel Drosselmei­er (ebenfalls Mamedof), der stets die fantasievo­llsten Geschenke bringt. Dieses Jahr schenkt er ihr ein Papierthea­ter und einen Nussknacke­r (Luka Dimic), der zu Mitternach­t lebendig wird. Marie erfährt von seinem Schicksal und stellt sich im Kampf gegen den Mausekönig und dessen Mutter Mauserinks ihren Ängsten.

Regisseur Gerald Maria Bauer hat mit seiner Fassung eine kind- und zeitgemäße Version des Märchens kreiert. Darum bricht auch nicht die Liebe des Mädchens zu dem Nussknacke­r den Fluch, sondern die Fan- tasie des Kindes. Charmant wird auf diese altersgere­chte Änderung auch hingewiese­n: Als der Nussknacke­r Marie küssen möchte, sagt sie: „Da müssen wir noch ein paar Jahre warten.“

Tollpatsch und Träumer

Neben dem Bühnenbild beeindruck­en vor allem die Kostüme (Stephan Dietrich), die die Schauspiel­er in Puppen verwandeln. Lobenswert ist das gesamte Ensemble: Mamedof und Raunig überzeugen als Traum-Verfechter, Janina Stopper in ihrer trotzigen Dreifachro­lle. Stefan Rosenthal nervt – und soll es auch – als älterer Bruder Fritz und erfreut als tollpatsch­iger Mausekönig. Pia Baresch hat als rachsüchti­ge Mauserinks und strenge Mutter den Part der Bösewichte. Eine durchwegs gelungene Inszenieru­ng mit einer liebenswer­ten Botschaft: Die Fantasie eines Kindes kann alles besiegen – auch rachehungr­ige Mäuse in Menschengr­öße. Ab 6 Jahren

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Foto: Rita Newman Die Fantasie eines Mädchens bringt ihm Erlösung: Luka Dimic als Nussknacke­r.
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