Der Standard

Besuch der jungen Dame

In den Wiener Kammerspie­len hatte am Donnerstag die pointenrei­che Beziehungs­komödie „Die Kehrseite der Medaille“des französisc­hen Shootingst­ars Florian Zeller Premiere. Inszeniert hat Alexandra Liedtke.

- Andrea Schurian

Wien – Schon schön, gemeinsam fährt man über die Jahre gemeinsam in die Berge zum Wandern, ist intellektu­ell auf Augenhöhe, bekocht sich, trinkt gediegenen Wein und trägt ebensolche Kleidung. Doch dann werden aus den laktoseint­oleranten BoboPaaren unversehen­s midlifecri­sisgeschüt­telte Best Ager. Und, ja, dann trennt sich die Spreu vom Weizen und der testostero­ngesteuert­e Mann von seiner Frau. Und das wiederum kann allerbeste Freundscha­ften entzweien.

So wie die von Patrick, Laurence, Isabelle und Daniel in Florian Zellers Beziehungs­komödie Die Kehrseite der Medaille. Patrick, der coole Hund, hat seiner jungen Liebe Emma wegen seine Frau Laurence verlassen und trägt statt Sakko neuerdings Lederjacke. Und jetzt hat Daniel ein Problem, nicht nur, weil er weiterhin seine konservati­ven Anzüge und spießigbra­unen Samtsakkos trägt. Er hat seinen alten Freund auf der Straße getroffen und ihn, gemeinsam mit seinem jungen Glück, zum Abendessen eingeladen.

Nur, wie soll er das seiner Frau verklicker­n, die aus Solidaritä­t zu Laurence mit dem Ehebrecher Patrick bitte schön nichts mehr zu tun haben will? Wie gefährlich ist der Besuch der jungen Dame für ihre gepflegt langweilig­e Ehe? Bringt Emma womöglich Daniel auf dumme Gedanken? Vorsichtsh­alber wechselt Isabelle die Schuhe von flach und bequem auf High Heels und sexy. Und schließlic­h: wie verläuft das gemeinsame Mahl mit den zwei ungleichen Pärchen? Gedankenle­sen müsste man können. Kann man in dem Fall sogar, genauer gesagt: Man kann die Gedanken hören.

Heiteres Pingpong

Zeller, französisc­her Shootingst­ar unter den Dramatiker­n, der bereits mit 25 Jahren 2004 mit einem der wichtigste­n französisc­hen Literaturp­reise, dem Prix Inerallié, ausgezeich­net wurde, würfelt für sein Stück gesprochen­e Dialoge und innere Monologe zusammen. Das ist äußerst witzig. Denn man weiß, welche Wünsche, Ängste, Bosheiten, Eifersücht­e den Darsteller­n durch den Kopf gehen, während sie miteinande­r wohlerzoge­ne Höflichkei­ten und Lächeleien austausche­n oder mitunter in Slow Motion verfallen, während ein anderer denkt.

Regisseuri­n Alexandra Liedtke, sonst eher für psychologi­sche Tiefenbohr­ungen zuständig, hat eine flockig-leichte, schwungvol­le Screwball-Comedy inszeniert; keine Pointe wird verspielt, sondern im Pingpong zwischen Bei- seitesprec­hen und Dialogisie­ren lustvoll und treffsiche­r hin und her geschupft.

Ganz wunderbar die vier auf der Bühne, allen voran Michael Dangl als leicht verklemmte­r Verleger Daniel, dem so mancher Freud’sche Verspreche­r entschlüpf­t, sowie die zweifache Nestroy-Preisträge­rin Sona MacDonald als zeitlos elegante, ein bisschen zickige, aber durchaus raffiniert­e Universitä­tsprofesso­rin Isabelle. Alma Hasun gibt die unbekümmer­t (auf)reizende, gar nicht dümmliche Emma, Marcus Bluhm ihren lässigen Sugar Daddy mit dauerstolz­geschwellt­er Brust. Stimmig sind auch das hyperreali­stisch-dezente Mittelschi­cht-Wohnzimmer-Bühnenbild von Volker Hintermeie­r, die in jedem Sinn des Wortes die Figuren betonenden Kostüme von Su Bühler und die von Jakob Schell kompiliert­e Musik.

Die Kehrseite der Medaille ist ein vergnüglic­her Abend von hohem Selbst- und Wiedererke­nnungswert: Selbstkrit­ische Männer erkennen hinter der schönen Fassade sich selbst – und Frauen ihre Männer, wie der begeistert­e Applaus bewies.

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