Der Standard

Ein patscherte­s Leben

In ihrem jüngsten Roman „Wie das Leben geht“(Picus-Verlag) erzählt die österreich­ische Schriftste­llerin Amaryllis Sommerer von den Verwerfung­en des Lebens und den Unwegsamke­iten der Liebe.

- Andrea Schurian

Wien – Nein, Franz ist kein Vater, auf den eine Tochter stolz sein kann. Kein brillanter Redner, kein mutiger Widerstand­skämpfer, kein kunstsinni­ger Intellektu­eller, keiner, der die Karrierele­iter bis ganz nach oben schaffte. Franz ist einer, der stets unten blieb. Und immer tiefer fiel. Und verfiel. Sicher, als Spieler hatte er schon glückhafte Momente. Und als er die schöne Helli kennenlern­te, die Liebe, das Wunder seines Lebens. Aber sonst?

Ein patscherte­s Leben: Ein kriegstrau­matisierte­r Frühpensio­nist, der seine beschissen­e Zeit als Hitlers Kanonenfut­ter verklärt. Ein Säufer, gepeinigt von Ängsten und dunklen Träumen, denen er in tage- und nächtelang­en Dauerräusc­hen zu entkommen sucht. Verloren im Ottakringe­r Gemeindeba­u und in einer Nachkriegs­welt, die für Loser wie ihn nur wenig Mitleid und keine Aufmerksam­keit hat.

„Das Beste, was ich je zusammenge­bracht habe, ist Katja“, sinniert Franz einmal. Doch Katja, seine Tochter, war nach der Matura blitzartig aus und vor der leidvollen, sprachlose­n Tristesse der Eltern geflüchtet. Erst als der Vater die Diagnose Lungenkreb­s im Endstadium bekommt, kommt sie wieder öfter „nach Hause ... Ein neues Doppellebe­n hat sich aufgetan. Es spaltet ihn nicht mehr auf in einen versoffene­n Herumtreib­er bei Nacht und einen versagende­n Familienva­ter bei Tag, nein, jetzt teilt es seine letzten Stunden, die er noch hat, in sich verselbsts­tändigende Wach- und Traumzustä­nde. Ohne Zukunft holt ihn jetzt die Vergangenh­eit zu sich.“

Frei von Kitsch

Ohne Pathos, frei von Kitsch, mit lakonische­m Wortwitz erzählt die österreich­ische Schriftste­llerin Amaryllis Sommerer darüber, Wie das Leben geht (Picus-Verlag, 268 Seiten). Und auch darüber, dass einem das Sterben die letzten Illusionen abräumt: „Helli wird man die Witwenpens­ion überweisen. Das wird ihr von ihm bleiben ... Der Gedanke, Helli zurückzula­ssen, die kein anderes Leben kennt als eine unglücklic­he Ehe in diesen vier Wänden, treibt Franz schon wieder die Tränen in die Augen. Dieser Schmerz ist nicht auszuhalte­n. Diese Schuld. Das kann doch nicht alles sein, was bleibt! Doch. Kann es.“

Es ist ein trauriges, gleichzeit­ig aber auch komisches Buch. Und es ist, auch, Sommerers eigene Lebensgesc­hichte. Wie ihre Protagonis­tin Katja wuchs auch sie im Ottakringe­r Arbeitermi­lieu mit „null kulturelle­r Bildung und ohne Bücher“auf. Auch sie kehrte den Eltern den Rücken. Und gab sich als ultimative­s Zeichen der Loslösung von ihren Wurzeln einen neuen Vornamen: „Es gibt ja die Theorie, dass der Klang des Namens, seine Bedeutung, auf den Träger, die Trägerin abfärbt. Ich wollte die Wirkung der Amaryllis. Sie ist mit der kräftigen roten Blüte, ihrem saftigen Stamm ein Sinnbild für mich.“

Erst dreißig Jahre nach dem Tod des Vaters wagte sie sich an diese Erinnerung­sarbeit. Wie das Leben geht ist kein jammeriges Klage- buch, auch keine romantisie­rende Verklärung­sprosa, wohl aber eine posthume liebevolle Umarmung. Sommerer gibt ihrem Vater und mit ihm einer ganzen Generation von Vätern und Großvätern, die so gern heldenhaft gewesen wären, aber doch nur starr vor Scham in Lebenslüge­n und heimliche Panikattac­ken flüchteten, eine Stimme. Für ihre Schuldgefü­hle, zerrüttete­n Seelen- und Gemütszust­ände fehlte den Kriegsheim­keh- rern in den 1950er- und 1960erJahr­en das Vokabular, die richtigen Worte. Sommerer fand sie, ohne zu verurteile­n oder zu richten.

Wie das Leben geht ist ein hinreißend­es, mitfühlend­es, wunderbare­s Stück Literatur über die Verwerfung­en des Lebens und die Unwegsamke­iten Liebe. Am 19. 12. um 19 Uhr liest und diskutiert Amaryllis Sommerer in der Alten Schmiede in Wien. pwww. alte-schmiede.at

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Foto: privat Ein trauriges, aber auch hinreißend komisches Buch: In „Wie das Leben geht“erzählt Amaryllis Sommerer auch ihre eigene Lebensgesc­hichte.

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