Der Standard

„Gotthard“: Berg – Tunnel – Liebe

Der Zweiteiler bohrt sich ab Montag im ORF geschmeidi­g durch ein Themenmass­iv

- Sebastian Fellner

Der Superlativ ist Programm. Vergangene­n Sonntag fuhr der erste regulär verkehrend­e Personenzu­g durch den neu gebauten GotthardBa­sistunnel – der längste Eisenbahnt­unnel der Welt, ein 65 Kilometer langes Loch durch die Schweizer Alpen. Weil großen Fernsehspe­ktakteln ein Anlass guttut, verfilmte das Schweizer Fernsehen (SRF) mit Gotthard die Geschichte des kleinen Bruders des Tunnels als Zweiteiler in Koprodukti­on mit ZDF und ORF zur Ausstrahlu­ng in diesem Jahr. Und leistet sich dafür ebenfalls einen Rekord: Mit mehr als zehn Millionen Euro Produktion­skosten ist es die teuerste Produktion der Schweizer, die etwa die Hälfte der Kosten selbst trugen.

Der Gotthardtu­nnel verläuft im gleichen Berg, aber westlich vom neuen Tunnel und ist nur 15 Kilometer lang, womit er bei seiner Fertigstel­lung 1882 – wie der „neue“heute – ein technische­s Wunderwerk und der längste Eisenbahnt­unnel weltweit war. In insgesamt drei Stunden Gotthard packen Regisseur Urs Egger und Drehbuchau­tor Stefan Dähnert neben der Geschichte des Baus, bei dem fast 200 Menschen starben, auch noch eine Dreiecks-Liebesgesc­hichte zwischen der Schweizer Fuhrmannst­ochter Anna (Miriam Stein), dem italienisc­hen Gastarbeit­er Tommaso (Pasquale Aleardi) und dem deutschen Ingenieur Max (Maxim Mehmet).

Fortschrit­t gegen Tradition

Und damit eröffnet sich auch gleich eine ganze Reihe stets aktueller Konflikte: der Streit zwischen Arbeitern und Ingenieure­n, ohne wen der Tunnel wirklich unmöglich sei; technische­r Fortschrit­t gegen Traditione­n, wenn Anna ihren sturen Vater überreden will, Material für den Tunnelbau zu transporti­eren, weil ihr Geschäft über den Pass früher oder später ohnehin dahin sein würde; oder die offene Ablehnung der Einheimisc­hen gegen die ver- meintlich „wilden“aus dem Süden.

Schauspiel­erin Miriam Stein hat genau das am Film gefallen, „dass er die Ängste der Leute aufzeigt, aber gleichzeit­ig zeigt, dass es ohne diese Fremden nicht geht“, sagt sie zum STANDARD. Gotthard schaffe es, „dass man sich mit all diesen wichtigen Themen auch auseinande­rsetzt“. Schließlic­h seien auch die Filme selbst eine Koprodukti­on gewesen, „und kein Land hätte diese Summe alleine aufstellen können“. Denn so ein Dreh kostet Geld; zumal, wenn man die Schweizer Alpen rund um das tschechisc­he Bergwerk montieren lassen muss, das für die Kameras als Tunnelport­al diente.

Wie legt man die Rolle als eine von ganz wenigen Frauen an, eingezwäng­t zwischen den ultramännl­ichen Sphären Politik, Management und Bergbau? „Ich wollte, dass sie kein Wort zu viel sagt“, sagt Stein, „ich habe versucht, sie klar, reduziert und stark anzule- Gastarbeit­er gen.“Freilich: Als einzige Frau in einem Fernsehfil­m muss man auch 2016 noch „immer wieder lächeln und bestimmte Dinge erfüllen“, gibt Stein zu.

Gotthard gelingt es, all diese Konflikte, die Geschichte des Tunnelbaus und das interkultu­relle Schmachten in zwei Filmen zu verarbeite­n, die nicht überladen wirken und kurzweilig sind. Dabei kommen auch Nebenfigur­en wie der sklaventre­iberische Accordant Riedinger (Cornelius Obonya) und der halb größenwahn­sinnige, halb visionäre Unternehme­r Favre (Carlos Leal) zur Geltung. Dass einige Details im Drehbuch nicht gänzlich mit der modernen Geschichts­wissenscha­ft d’accord sind und die Leichtigke­it des Films auf Kosten der Tiefe von Geschichte und Charaktere­n gehen, darf Gotthard verziehen werden. Ein Film muss kein Jahrhunder­ttunnel sein. „Gotthard“, Montag und Mittwoch, jeweils 20.15 Uhr, ORF 2

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Pasquale Aleardi, Maxim Mehmet und Miriam Stein (v. li.) liefern die Liebesgesc­hichte zum Tunnelbau.

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