„Gotthard“: Berg – Tunnel – Liebe
Der Zweiteiler bohrt sich ab Montag im ORF geschmeidig durch ein Themenmassiv
Der Superlativ ist Programm. Vergangenen Sonntag fuhr der erste regulär verkehrende Personenzug durch den neu gebauten GotthardBasistunnel – der längste Eisenbahntunnel der Welt, ein 65 Kilometer langes Loch durch die Schweizer Alpen. Weil großen Fernsehspektakteln ein Anlass guttut, verfilmte das Schweizer Fernsehen (SRF) mit Gotthard die Geschichte des kleinen Bruders des Tunnels als Zweiteiler in Koproduktion mit ZDF und ORF zur Ausstrahlung in diesem Jahr. Und leistet sich dafür ebenfalls einen Rekord: Mit mehr als zehn Millionen Euro Produktionskosten ist es die teuerste Produktion der Schweizer, die etwa die Hälfte der Kosten selbst trugen.
Der Gotthardtunnel verläuft im gleichen Berg, aber westlich vom neuen Tunnel und ist nur 15 Kilometer lang, womit er bei seiner Fertigstellung 1882 – wie der „neue“heute – ein technisches Wunderwerk und der längste Eisenbahntunnel weltweit war. In insgesamt drei Stunden Gotthard packen Regisseur Urs Egger und Drehbuchautor Stefan Dähnert neben der Geschichte des Baus, bei dem fast 200 Menschen starben, auch noch eine Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen der Schweizer Fuhrmannstochter Anna (Miriam Stein), dem italienischen Gastarbeiter Tommaso (Pasquale Aleardi) und dem deutschen Ingenieur Max (Maxim Mehmet).
Fortschritt gegen Tradition
Und damit eröffnet sich auch gleich eine ganze Reihe stets aktueller Konflikte: der Streit zwischen Arbeitern und Ingenieuren, ohne wen der Tunnel wirklich unmöglich sei; technischer Fortschritt gegen Traditionen, wenn Anna ihren sturen Vater überreden will, Material für den Tunnelbau zu transportieren, weil ihr Geschäft über den Pass früher oder später ohnehin dahin sein würde; oder die offene Ablehnung der Einheimischen gegen die ver- meintlich „wilden“aus dem Süden.
Schauspielerin Miriam Stein hat genau das am Film gefallen, „dass er die Ängste der Leute aufzeigt, aber gleichzeitig zeigt, dass es ohne diese Fremden nicht geht“, sagt sie zum STANDARD. Gotthard schaffe es, „dass man sich mit all diesen wichtigen Themen auch auseinandersetzt“. Schließlich seien auch die Filme selbst eine Koproduktion gewesen, „und kein Land hätte diese Summe alleine aufstellen können“. Denn so ein Dreh kostet Geld; zumal, wenn man die Schweizer Alpen rund um das tschechische Bergwerk montieren lassen muss, das für die Kameras als Tunnelportal diente.
Wie legt man die Rolle als eine von ganz wenigen Frauen an, eingezwängt zwischen den ultramännlichen Sphären Politik, Management und Bergbau? „Ich wollte, dass sie kein Wort zu viel sagt“, sagt Stein, „ich habe versucht, sie klar, reduziert und stark anzule- Gastarbeiter gen.“Freilich: Als einzige Frau in einem Fernsehfilm muss man auch 2016 noch „immer wieder lächeln und bestimmte Dinge erfüllen“, gibt Stein zu.
Gotthard gelingt es, all diese Konflikte, die Geschichte des Tunnelbaus und das interkulturelle Schmachten in zwei Filmen zu verarbeiten, die nicht überladen wirken und kurzweilig sind. Dabei kommen auch Nebenfiguren wie der sklaventreiberische Accordant Riedinger (Cornelius Obonya) und der halb größenwahnsinnige, halb visionäre Unternehmer Favre (Carlos Leal) zur Geltung. Dass einige Details im Drehbuch nicht gänzlich mit der modernen Geschichtswissenschaft d’accord sind und die Leichtigkeit des Films auf Kosten der Tiefe von Geschichte und Charakteren gehen, darf Gotthard verziehen werden. Ein Film muss kein Jahrhunderttunnel sein. „Gotthard“, Montag und Mittwoch, jeweils 20.15 Uhr, ORF 2