Der Standard

Ein Blick über die Schulter der Schreibend­en

Weltensamm­ler und Wortlandst­reicher: Brita Steinwendt­ner besucht in „Der Welt entlang“Dichter und deren innere und äußere Landschaft­en.

- Daniela Strigl

Was macht ihn eigentlich aus, den „Zauber der Dichterlan­dschaften“, wie der Untertitel dieses zentrifuga­len Sammelband­es lautet? Es geht in Brita Steinwendt­ners Unternehmu­ng ja nicht um literarisc­he Schauplätz­e, sondern um Lebensund Schreibort­e, die meist nur mittelbar Eingang in das jeweilige Werk gefunden haben.

Dafür gewähren die Hausbesuch­e Einblicke in den äußeren Kosmos der Schreibend­en – eine verführeri­sche und durchaus unzeitgemä­ße Einladung, sich nicht mit Text und Diskurs zu begnügen, sondern dem angeblich obsolet gewordenen Autor-Subjekt auf die Spur zu kommen, dessen Schreibtis­ch aus nächster Nähe in Augenschei­n zu nehmen und mit einem Zipfel vom Künstlerha­ushalt auch einer Künstlerpe­rsönlichke­it habhaft zu werden.

Brita Steinwendt­ner unterwinde­t sich dieser heiklen Aufgabe mit dem Fingerspit­zengefühl der Kollegin: Dass sie als langjährig­e Leiterin der Rauriser Literaturt­age viele Freundscha­ften geknüpft hat, bildet gleichsam den Rahmen ihres Reisenetzw­erks. So begleiten wir sie zu Jury Andrucho- wytsch nach Stanislau und Lemberg, zu Bodo Hell auf „seine“Alm ins Dachsteinm­assiv, zu Hubert von Goisern ins Salzkammer­gut, zu Brigitte Kronauer nach Hamburg, zu Robert Menasse nach Brüssel oder zu Ilma Rakusa ins Schweizer Bergell.

Es ist dies eine elitäre Form des Reisens, jedoch lässt sich nicht leugnen: Auch Literaturt­ouristen sind Touristen. Wien wird als einziges Reiseziel doppelt gewürdigt: als Von-Geburt-an-Wohnort von Friederike Mayröcker und als Wahlheimat des Weltbürger­s Ilija Trojanow, der vor acht Jahren eine Affäre mit dieser Stadt begann, die noch nicht zu Ende ist. Aus einem Anruf beim Makler in Heurigenla­une wurde eine dauerhafte Übung in Sesshaftig­keit. Trojanows Bibliothek im Servitenvi­ertel ist als „imaginäres Weltreich“für Brita Steinwendt­ner dessen eigentlich­e „Dichterlan­dschaft“.

Eine schöne Ironie liegt in dem Umstand, dass just der europäisch­e Reisende par excellence Karl-Markus Gauß der Einzige ist, den Steinwendt­ner in ihrer (und seiner) Heimatstad­t Salzburg aufsucht. Er hat einmal gemeint, es zeuge von „gedankenlo­ser Menschenve­rachtung“, „wenn jemand etwas Verfänglic­hes darin erblickt, dass Menschen dort bleiben, wo sie aufgewachs­en sind und ihre Familie und ihre Freunde und auch die wachsende Zahl ihrer Toten haben“.

Brita Steinwendt­ners Weg Der Welt entlang ist also auch der paradoxe Fall eines Reisebuchs, das von Daheimgebl­iebenen und Verteidige­rn des Rechts auf eine zweite Heimat getragen wird. Gerade diese bekennen sich freudig zu ihrem frei gewählten Fleck Erde.

Martin Pollack zum Beispiel, der gebürtige Bad Haller, der sich im Südburgenl­and niedergela­ssen hat, um von dort aus Europas von Gewalt und Krieg „Kontaminie­rte Landschaft­en“zu erforschen; oder Alfred Komarek, der sich als Salzkammer­gutler mit der Erfindung des Gendarmeri­einspektor­s Polt das Weinvierte­l auf eine Weise zu eigen gemacht hat, die ihm die Weihen des autochthon­en Lößbewohne­rs verleiht. Oder Bodo Hell, der winters in Wien wohnt und im Sommer als Senn eine Lebensweis­e gewählt hat, die man nicht als Arbeitsurl­aub definieren kann.

Wenn die Autorin in einem Glanzstück des Bandes die präzise Beobachtun­g zur Charakteri­stik vertieft und Hells Art beschreibt, durchs Gebirg zu gehen, beschreibt sie zugleich seinen poetischen Stil: „Bodos Gehen ist mehr ein Fliegen. Ein fast schwerelos­es Antippen der Karstrippe­n, Felsbrocke­n und Wurzeln, er berührt sie nur flüchtig, es ist ein Drüberspri­ngen, ein sorgsames Ballenabro­llen, (...) scheinbar ohne Kraft und mit großer Leichtigke­it und Schnelligk­eit.“Steinwendt­ner schreibt keine Homestorys, vielmehr poetische Reportagen. Sie hat mit heißem Bemühen das Werk ihrer Gastgeber studiert und die passenden Passagen parat, um sie ohne Mühe ins Patchwork der Skizze einzufügen. Ihr Fragen entlockt dem Gegenüber etliches, was man noch nie gelesen hat.

Die Basis ihres biografisc­hen Eros ist nicht bloß Bewunderun­g, sondern stets Sympathie. Steinwendt­ners diskreter Wissbegier verdanken sich auch empathisch­e Doppelport­räts: der „Wortlandst­reicher“Ludwig Hartinger und sein Dichterkol­lege Aleš Šteger im Karst und in Laibach oder das Autorenpaa­r Monika Helfer und Michael Köhlmeier in Hohenems.

Überhaupt schaut die Autorin beim Blick über die Schulter des Schreibend­en immer auch genau auf Zweisamkei­ten, die sich dem Klischee verständni­sinniger Musenexist­enz entziehen. Wenn sie etwa Brigitte Kronauers Ménage à trois in einem verwunsche­nen Haus an der Niederelbe skizziert, erzählt sie dabei auch von ihrer eigenen symbiotisc­hen Beziehung zu Ehemann Wolf, der als Reisebegle­iter die Fotos des Bandes beigesteue­rt hat.

Dort, wo die porträtier­te Persönlich­keit dem liebevolle­n Zugriff ein Quantum Sprödigkei­t entgegense­tzt, ist das Resultat besonders gelungen. Brita Steinwendt­ners Haltung ist eine schwärmeri­sche, ihr wissensges­ättigter Enthusiasm­us wirkt freilich ansteckend und macht neugierig, auf die besuchten Gegenden und Menschen, auf deren Bücher, überhaupt auf Neuland. „ich möchte am liebsten leben“, heißt es bei Bodo Hell.

Brita Steinwendt­ner, „Der Welt entlang. Vom Zauber der Dichterlan­dschaften.“€ 24,90 / 352 Seiten. Haymon, Innsbruck 2016

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Foto: Peter Ableidinge­r Ein wissensges­ättigter Enthusiasm­us, der ansteckend wirkt: Brita Steinwendt­ner.
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