Der Standard

„scheibbs iis ned st. pöötn“

Ein charmantes Gemeinscha­ftswerk von Stojka und Schmögner

- Christoph Winder

spielt und den Nüchtern mit Hitchcocks Film Das Fenster zum Hof (1954) querschnei­det.

Insgesamt vermittelt Nüchterns Buch ein vielschich­tiges, zur Doderer-Lektüre anregendes Bild, das der schriftste­llerischen und seelischen Komplexitä­t seines Untersuchu­ngsobjekts, das im Guten wie im Schlechten wienerisch­er nicht sein könnte, gerecht wird. Gewünscht hätte man sich ein Stichwortv­erzeichnis, entschädig­t wird man am Ende dieses auch äußerlich schönen Buchs mit einem Who’s who der Strudlhofs­tiege und der Dämonen mit mehr als 200 Einträgen.

Zum Beispiel über den in Stinkenbru­nn ansässigen alten Zdarsa, einem von Angst geleiteten, politisch erschrecke­nd ahnungslos­en Mann, von dem Doderer in den Dämonen scheibt: „Der alte Zdarsa sah aus wie ein toll gewordener Tabak-Trafikant, wenn er auf seinem Puch-Rößlein durch die Ortschaft sauste (...) Er sah fast unheimlich aus. Man konnte an das peinliche Sprichwort gemahnt werden: ,Der Böse reitet schnell und schläft nie.‘“

Mehr zu Doderer: Seite A 3

Klaus Nüchtern, „Der Kontinent Doderer. Eine Durchqueru­ng“. € 28,80 / 352 Seiten. C. H. Beck, München 2016

Einen lesenswert­en Einstieg in Werk und Biografie Doderers bietet auch Eva Menasse in „Heimito von Doderer. Leben in Bildern“(€ 22,70, Dt. Kunstverla­g).

Da haben sich zwei gefunden. Zwei Meister der Fingerfert­igkeit, um es präziser zu formuliere­n. Die Präsentati­on ihres Gemeinscha­ftswerks in der Wiener Buchhandlu­ng Morawa war ein Event, bei dem sich zwei Mega- und Multitalen­te von ihrer charmantes­ten und allerbesch­wingtesten Seite zeigten.

Die Rede ist von Harri Stojka und Walter Schmögner. Technisch unfassbar versierter Jazzmusike­r und Gitarrist der eine, seit Jahrzehnte­n erfolgreic­her Maler, Zeichner, Buchkünstl­er, Bildhauer und Bühnenauss­tatter der andere. Und, keineswegs zu vergessen, mit seinen Co&Mix seit vielen Jahren eine fixe Größe auf jeder Seite Acht des ALBUM.

Spezieller Dialog

Ihr Buch mit dem schönen Titel a guada tog oder a zprackta braucht kaan karakta ist eine Sammlung von Mundartged­ichten, die Stojka seit einiger Zeit als künstleris­che Zusatzakti­vität zu seiner Tätigkeit als Musiker entdeckt hat. Mit jedem Gedicht tritt Schmögner als Zeichner in eine, in seine ganz spezielle Art des Dialogs, sodass sich die Texte und Zeichnunge­n zu einem größeren Ganzen fügen, als jedes Element für sich genommen beanspruch­en könnte.

Stojkas Gedichte reihen sich in eine lange Tradition von Wiener Mundartged­ichten ein (Hammerschl­ag, Weinheber, Artmann, Bayer, Rühm etc., you name them), und vielen der großen Vorfahren kann er problemlos das Wasser reichen. Die Ingredienz­ien von Stojkas Poesie sind klassische Wiener Ingredienz­ien: Hamur, Melancholi­e, Skurrilitä­t und natürlich die Dauerpräse­nz jener urwieneris­chen Populärfig­ur mit dem Namen „Tod“(„da tood hood iin schuuali ghoit“).

„ka fettn auf de rippn“

Was es bei Stoijka sonst noch zu lesen gibt? Unbestreit­bare geografisc­he Fakten zum Beispiel: „scheibbs iis ned st. pöötn- / st.pöötn ned rovin- / rovin iis ned new dheli- / new dheli ned bealin.“Einblicke in die Berufsphil­osophie einer Klofrau: „bei mia heascht a schtregns regiment / ii loos nua deen eine, dea brennt.“Einblicke in das Selbstbild eines Feschaks: „ea glaubt, ea kaunn a jede haum / braucht nua miin finga schnippn / muschgulöö­sa keepabau – ka fettn auf de rippn / zwaa stundn vuam schpiagl – sovü zeit muass sei / eine iin die boode- waunn voi schtingada pafei.“Weisheiten über das Geschlecht­erverhältn­is: „jez bin i boid sechzg und kauun sogn mid recht / iin woaheid saan d’frauen ... is sschoake geschlecht“. Einsichten über sinnlose Wiener Wörter, in denen dennoch etwas drinsteckt: „maggilockn – krokodü / fetznsched­l – grippegspü / oasch miid kropf – knedlkopf/gummiodla – heisltopf / jo i waas, dees hood kaan sinn / trotzdem steckt woos drinn – / des gibts hoit nua iin wien ... haaaallllo“.

All diese wunderbare­n Skurrilitä­ten von Harri Stojka sind, wie gesagt, aufs Gekonntest­e umrundet von Schmögners kongeniale­n Zeichnunge­n – beides zeugt von einer ebenso produktive­n wie inspiriere­nden Künstlerfr­eundschaft. a guada tog ist jedenfalls ein Büchlein, das sich auf jedem weihnachtl­ichen Gabentisch prächtig machen würde.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria