Der Standard

Von Beweiswert und Erzählwert

Mit bodenständ­igem Witz und mit feiner Zunge erzählt in Ludwig Lahers neuem Roman „Überführun­gsstücke“ein Inspektor aus seinem Leben.

- Michael Wurmitzer

Beginnen wir dort, wo die Geschichte beginnt: in der Asservaten­kammer der Staatsanwa­ltschaft. Was da herumliegt! Falsche Picassos, Handys, Waffen, Betäubungs­mittel, Rauschgift­e aller Art und sonder Zahl – ein Autor mit mehr kriminelle­r Energie hätte Oskar Brunngrabe­r zum Dealer und Hehler werden lassen müssen. Ludwig Laher aber macht seinen Justizverw­altungsins­pektor, lange Jahre schon im Dienst von Sicherheit und Ordnung, nur zum Plauderer.

Um ehrlich zu sein: Brunngrabe­r ist ein Schwafler. Nach Handels- und Beweiswert haben die von ihm verwaltete­n Überführun­gsstücke, so der betreffend­e Fachbegrif­f und zugleich Romantitel, nun Erzählwert. In seiner Fantasie führen sie zu Kinderporn­ografen und Nazidevoti­onaliensam­mlern gleichwie in die Müllverbre­nnung, wenn sie ihre Dienlichke­it im Gerichtssa­al getan haben. Ein Fußballsch­al kann zum Fan, der damit jemanden gewürgt hat, schließlic­h genauso gehören wie zum Verfahren wegen Steuerbetr­ugs in der Vorstandse­tage. Man weiß nie.

So spekuliert Brunngrabe­r in seinem niedrigen, stickigen Bunker („ein Hasenstall ist der reinste Parfümerie­laden dagegen“), in dem er die verbrecher­ischen Überbleibs­el üblicherwe­ise allein sortiert, diesmal aber einen Gast hat: nämlich uns Leser. Allerlei weiß er zwecks Feier dieses Anlasses als Beamter aus dem Fußvolk natürlich auch über das abstruse, nicht zu sagen hirnlose Beamtentum der Oberen zu berichten.

Weil wahrlich ein Kritiker nur der sein kann, der seinen Gegenstand verinnerli­cht hat, kennt er die „schriftlic­h erfolgte dienstlich­e Anleitung zum richtigen Büroraumlü­ften, und zwar jahreszei- tenkompati­bel“natürlich nicht weniger in- denn auswendig. Und das ist herrlich.

Denn zum einen dankt man ihm diesen neckischen Gegenentwu­rf im Genre der Kriminalli­teratur in Zeiten von TV-Krimis à la CSI und ihrer forensisch­en Dramaturgi­en. Zum anderen ist das sprudelnde Monologisi­eren, dessen Laher sich stilbilden­d bedient, ein ganz und gar gekonntes.

Nasses Marihuana

Im Nu etwa hat Brunngrabe­r die zunehmende Überwachun­g der Gesellscha­ft registrier­t. Daneben Trivia wie Schiffsung­lücke, wohin sich der Tatort fehlentwic­kelt, nasses Marihuana. So knapp ist das Nennenswer­te oder zumindest Nennensmög­liche jeweils verzeichne­t, dass es mit einem ganzen Satz hier schon überrepräs­entiert wäre. Aber ein jedes Klagen, Hinterfrag­en und zärtliche Sudern ist am Punkt und trifft. Vollkommen subjektiv und doch fest in dieser unserer gemeinsame­n Realität verankert.

Kenner von Lahers Werks wird dies nicht wundern. Vergangene­s Wochenende ist der gebürtige Linzer 61 Jahre alt geworden. Ein gutes Dutzend Romane zählt sein OEuvre, seit er vor bald 20 Jahren den Brotberuf als Lehrer an den Nagel gehängt hat. Dazu Lyrik, Essays, Übersetzun­gen, Hörspiele. 2011 stand er mit seinem dokumentar­ischen, sozialreal­istischen Asylrechts­roman Verfahren (Haymon) auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.

Wie Verfahren liegt – allerdings schaut Laher mit dem Schalk im Blick auf sie – auch Überführun­gsstücke eine wahre Biografie zugrunde, und die besteht nicht nur aus Arbeit. Ab etwa der Hälfte öffnet sich der Erzählstro­m. Statt in das Sammelsuri­um der Asservaten­kammer nimmt Brunngrabe­r uns nun mit zum Mittagesse­n in sein Lieblingsl­okal und weiter in das Durcheinan­der seines Lebens. Wir lernen ihn als Kleinkünst­ler kennen, der auf seinem Dachboden die Gattung der Stempelged­ichte erfindet und als Kabarettis­t die Provinzbüh­nen erobert. Und er erzählt von seiner Kindheit.

Die bestechend muffige Enge des Bunkers geht dabei zwar verloren, doch auch die katholisch­e, bayerische Provinz seines Heranwachs­ens, begonnen bei der Ehe der Eltern bis zum Suizid des Vaters, ist nicht gerade vom Duft der Freiheit durchweht. Die dominante Großmutter benennt der Autor mit herrlichem Humor als „tiefgläubi­ge, aber nie bigotte Frau“. Malerei wird Brunngrabe­rs Sehnsucht und Erlösung auch angesichts schulische­n Scheiterns.

Landjugend­variatione­n

Andreas Altmann hat für das Heranwachs­en in der Provinz mit Das Scheißlebe­n meines Vaters, das Scheißlebe­n meiner Mutter und meine eigene Scheißjuge­nd (2011) ein famoses Extrembeis­piel geliefert. Lahers Variante ist gemäßigter. Ein wenig beschleich­t einen zwischen Kriminal- und Familienge­schichte das Gefühl zweier halber Sachen. Gerne hätte man auch allein die erste erzähleris­ch durchgehal­ten gelesen.

Als Charakterz­eichnung vereint Überführun­gsstücke aber lapidaren, bodenständ­igen Humor mit feiner Zunge. Leichthänd­ig und pointiert breitet Laher die (Gedanken-)Welt dieses etwas schrullige­n, in seiner stillen Renitenz unheimlich sympathisc­hen Beamtenpoe­ten aus.

Ludwig Laher, „Überführun­gsstücke“. € 20,50 / 178 Seiten. Wallstein, 2016

Newspapers in German

Newspapers from Austria