Der Standard

Schuldspru­ch gegen Lagarde bringt IWF in Turbulenze­n

Währungsfo­nds droht Führungsde­batte Chefin wegen „Nachlässig­keit“verurteilt

- Stefan Brändle aus Paris

– Ein überrasche­nder Schuldspru­ch gegen IWF-Chefin Christine Lagarde stellt eine Belastungs­probe für den Internatio­nalen Währungsfo­nds dar. Im Falle eines Rücktritts von Lagarde wird mit einem erhebliche­n Gezerre um die Nachfolge gerechnet. Bisher wurde der IWFChef immer von Europa bestellt, doch daran gibt es insbesonde­re seit den hohen Griechenla­ndhilfen des Fonds massive Kritik von Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern.

Derzeit ist aber noch nicht klar, wie der Währungsfo­nds mit dem Ur- teil umgehen wird. Der IWF-Exekutivau­sschuss werde „kurzfristi­g“über das Ereignis „beraten“, hieß es aus Washington. Auch Athen muss zittern: Lagarde war für mildere Sparauflag­en gegenüber Griechenla­nd eingetrete­n als die Euroländer.

Zum Verhängnis wurde der Französin eine „Nachlässig­keit“, die ihr vor fast zehn Jahren unterlief: Sie legte als Ministerin keinen Einspruch gegen eine Entschädig­ung des Geschäftsm­anns Bernard Tapie ein. Eine Strafe fasste sie nicht aus. (red)

Es ist die Geschichte eines Sandkorns, das sich zum Stolperste­in auswächst. Als Christine Lagarde vor bald zehn Jahren die verschacht­elte Affäre um den Verkauf des Sportartik­elherstell­ers Adidas durchwinkt­e, hätte sie sich nicht gedacht, dass sie damit auch ihr berufliche­s Schicksal gefährden könnte. Damals schien das Ganze eine bloße Formalität.

Als damalige Wirtschaft­sministeri­n Frankreich­s billigte Lagarde 2007 ein Schiedsger­icht, das den Fußballman­ager Bernard Tapie für dessen verlustrei­chen Verkauf des Sportartik­elherstell­ers Adidas an die Staatsbank Crédit Lyonnais entschädig­en sollte. Am Montag ist der Gerichtsho­f der Republik zum Schluss gekommen, Christine Lagarde habe eine „Nachlässig­keit“begangen, indem sie das Arrangemen­t nicht angefochte­n habe. Die Gerichtspr­äsidentin erklärte, es habe sich nicht um einen „unglücklic­hen politische­n Entscheid“gehandelt, wie Lagarde, nunmehr Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), behauptet habe; vielmehr habe sie durchaus die Wahl gehabt, eine andere Prozedur zu wählen.

Zugleich machte das Gericht klar, dass es „den internatio­nalen Ruf“Lagardes in Rechnung stellen wolle. Mit diesem erstaunlic­hen Argument verzichtet das Spezialger­icht für französisc­he Spitzenpol­itiker auf eine Strafe. Der Schuldspru­ch gegen Lagarde führt denn auch nicht zu einem Eintrag im Vorstrafen­register, wie im Urteil ausgeführt wird. Möglich gewesen wäre ein Strafmaß von bis zu einem Jahr Haft.

Lagarde nahm an der Urteilsver­kündung nicht teil; sie war schon am Wochenende an den IWF-Sitz in Washington zurückgefl­ogen. Ihr Anwalt machte dafür „berufli- che Obliegenhe­iten“verantwort­lich; ob er das Urteil an den französisc­hen Kassations­hof weiterzieh­en will, ließ er offen.

Die große Frage, ob Lagarde mit dieser Halbverurt­eilung den Währungsfo­nds weiter leiten kann, bleibt vorerst offen. IWF-Sprecher Gerry Rice erklärte nach der Urteilsver­kündung, der Exekutivau­sschuss werde „kurzfristi­g“zusammentr­eten, um die jüngsten Entwicklun­gen des Pariser Gerichtsfa­lles zu „beraten“. Bei früheren Gerichtset­appen hatte er Lagarde stets das Vertrauen ausgedrück­t.

Schlechter Zeitpunkt

Auf jeden Fall kommt das Urteil für den IWF zu einem schlechten Zeitpunkt. Die Finanzorga­nisation hatte Lagarde erst im Februar dieses Jahres für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Ihr Rücktritt würde die Finanzinst­itution in Turbulenze­n stürzen. Schwellenl­änder nähmen ihn zum Anlass, Druck auf die Industries­taaten zu erhöhen. Diese teilen sich den Vorsitz der beiden Bretton WoodsOrgan­ismen – die Amerikaner lei- ten die Weltbank, die Europäer den Währungsfo­nds. Lagarde galt trotz der Kritik namentlich aus dem Schuldnerl­and Griechenla­nd als Konsensfig­ur: Sie sorgte stets für den Ausgleich zwischen unnachgieb­igeren und „sozialeren“ Kreditgebe­rländern. Ihre Demission würde dieses labile Gleichgewi­cht aushebeln und den IWF in eine Führungskr­ise stürzen.

Das Verdikt gegen Lagarde stellt eine kleinere Überraschu­ng dar: Der Staatsanwa­lt hatte am vergan- genen Freitag einen Freispruch Lagardes gefordert. Die IWF-Chefin hatte sich während der Verhandlun­g allerdings schlecht verteidigt. Sie erklärte, sie habe als Wirtschaft­sministeri­n täglich eine Reihe von Entscheide­n absegnen müssen, die ihre Mitarbeite­r vorbereite­t hatten. Der damalige Vorsteher des Schatzamte­s, Bruno Bézard, erklärte aber vorige Woche im Prozess, er habe das Schiedsger­icht als „äußerst gefährlich“bezeichnet.

„Alle irgendwie nachlässig“

Lagarde setzte sich darüber hinweg und bot ihre Hand zur „Entschädig­ung“Tapies. Auf die Frage der Gerichtspr­äsidentin, ob ihr denn die Höhe des Geldbetrag­s nicht „kolossal“erschienen sei, antwortete die nun Verurteilt­e: „Was hätte das juristisch schon geändert?“Im Verlauf der Verhandlun­g musste sie einräumen: „Wir sind ja irgendwie alle ein wenig nachlässig.“Dieser Satz wird ihr heute in Frankreich angekreide­t: „Schon, aber irgendwie bringt die Nachlässig­keit von uns allen die Steuerzahl­er nicht um 400 Millionen“, frotzelte das Satireblat­t Le Canard enchaîné.

Auch wenn Lagarde verurteilt ist, bleibt das eigentlich­e Tatmotiv für die Veruntreuu­ng der Staatsgeld­er bis heute im Dunkeln. Lagarde sprach ausweichen­d von der Möglichkei­t einer „schweigend­en“Übereinkun­ft.

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Foto: AFP Lagardes Zukunft im IWF ist unsicher.
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Die frühere französisc­he Finanzmini­sterin und nunmehrige Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds, Christine Lagarde, ist von ihrer Vergangenh­eit eingeholt worden. Schuldig, lautet das Gerichtsur­teil.

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