Der Standard

ZITAT DES TAGES

Landeshaup­tmann Hans Niessl mahnt seine SPÖ, die soziale Frage ins Zentrum zu rücken – auch bei der Wahl des Koalit ions partners. Zur Einführung von Konzernste­uern denkt er an ein EU-Volksbegeh­ren.

- Wolfgang Weisgram

„Man muss die Diskussion suchen. Auch am Stammtisch. Wir pflegen das im Burgenland.“

Standard: Sie haben zuletzt von der eigenen Partei gefordert, sie müsse wieder der Schutzschi­ld für soziale Gerechtigk­eit sein. Vermögenss­teuern und Konzernste­uern müssten hinauf, Steuern auf Arbeit im Gegenzug hinunter. Gleichzeit­ig unterstrei­chen Sie bei jeder Gelegenhei­t den burgenländ­ischen Weg als Königsweg. Geht das zusammen? Das Burgenland allein kann ja überhaupt nichts tun. Niessl: Wir fordern nichts, was wir nicht im Kleinen leben. Deshalb ist es mir so wichtig, zu betonen, dass wir die niedrigste Armutsgefä­hrdung haben und eine hohe Beschäftig­ung. Wir unternehme­n im Burgenland enorme Anstrengun­gen bei Bildung und Ausbildung. Das Burgenland ist führend bei der Kinderbetr­euung. Wir haben die höchste Maturanten­quote. Wir haben 1100 Lehrlinge in Lehrwerkst­ätten. Vor kurzem haben wir den 6000. Absolvente­n von der Fachhochsc­hule verabschie­det. Gute Bildung ist der beste Schutz vor Arbeitslos­igkeit und damit Armutsgefä­hrdung. Wir wollen, dass die internatio­nale Sozialdemo­kratie auf europäisch­er Ebene bei diesen Themen mehr Kanten zeigt.

Standard: Und wenn die europäisch­e Ebene sagt: Was das Burgenland will, ist mir powidl? Niessl: Dass die europäisch­e Ebene das reflexarti­g sagt, ist mir eh bewusst. Das hat sie auch gesagt bei den Grenzkontr­ollen, beim Assistenze­insatz. Und mittlerwei­le macht das ganz Europa. Wenn also die Europäisch­e Union etwas reflexarti­g ablehnt, heißt das noch lange nicht, dass es nicht doch was G’scheites ist und auf Sicht umgesetzt wird. Standard: Das Burgenland schreitet voran, und die EU wird schon folgen? Niessl: Wir bemühen uns ja auf europäisch­er Ebene gemeinsam als SPÖ. Beispiel Entsenderi­chtlinie, die ja ein Gesetz für, nicht gegen Lohn- und Sozialdump­ing ist. Das haben wir aufs Tapet gebracht, die SPÖ-Delegation­sleiterin im europäisch­en Parlament, Evelyn Regner, hat sich starkgemac­ht für eine Änderung. Und sie wird das weiterhin tun.

Standard: Vorerst ein Vorstoß ins eher Leere. Niessl: Ich könnte mir vorstellen, dass es, wenn nichts weitergeht bei der Besteuerun­g multinatio­naler Konzerne, die in der EU höchstens 0,05 Prozent Steuern zahlen – jeder Würstelsta­nd zahlt mehr als die Großkonzer­ne –, halt ein europäisch­es Volksbegeh­ren gibt. Da muss sich die Sozialdemo­kratie engagieren! Weil es nicht so weitergehe­n kann, dass die kleinen Einkommens­bezieher auf der Strecke bleiben, während die Großen keine Steuern zahlen.

Standard: Fordert das jetzt die burgenländ­ische Sozialdemo­kratie? Oder ist das schon die Haltung der österreich­ischen Sozialdemo­kratie? Der europäisch­en? Niessl: Von der europäisch­en Sozialdemo­kratie habe ich diesbezügl­ich noch nicht viel gehört, das ist mir zu wenig. Es gilt als Sozialdemo­kratie Europas Flagge zu zeigen.

Standard: Warum soll irgendjema­nd der Sozialdemo­kratie das noch glauben? Immer dann, wenn sie am Ruder war – europaweit etwa zu Zeiten von Deutschlan­ds Gerhard Schröder und Großbritan­niens Tony Blair –, ruderte sie in die ganz andere Richtung. Niessl: Genau deshalb gibt es ja diesen schmerzlic­hen Vertrauens­verlust und daraus resultiere­nd einen Verlust bei den Wahlen. Die Sozialdemo­kratie hat ihrem Kernthema, der sozialen Gerechtigk­eit, nicht jenen Stellenwer­t eingeräumt, der notwendig wäre. Und in Österreich war es so, dass die SPÖ zwar mehr Verteilung­sgerechtig­keit gewollt hat, aber in der Koalition mit der ÖVP das nicht gegangen ist.

Standard: Sie wollen das im gerade entstehend­en Anforderun­gskatalog für künftige Koalitions­partner festschrei­ben. Bewegt sich die SPÖ in diese Richtung? Niessl: Das muss sein. Die Sozialdemo­kratie kann es sich nicht mehr leisten, Koalitione­n zu schließen, ohne diese soziale Frage sehr akzentuier­t zu stellen.

Standard: Also nicht: mit wem auf keinen Fall; sondern: Mit wem ist wie viel Sozialdemo­kratisches machbar? Niessl: Genau das ist der Punkt. Natürlich muss man sich klar gegen Rassismus, Extremismu­s und so weiter ausspreche­n, das ist ja selbstvers­tändlich. Das ist in weniger als einer Minute zu erledigen. Aber für mich als Sozialdemo­kraten ist es am wichtigste­n, wie wir die soziale Gerechtigk­eit tatsächlic­h realisiere­n können. Das haben wir aus den Augen verloren, deshalb hat die Sozialdemo­kratie auch sehr, sehr viele Wähler verloren. Wir müssen etwa danach trachten, die Mindestlöh­ne anzuheben. Ich bin für einen Generalkol­lektivvert­rag.

Standard: Den kann aber die Regierung nicht anschaffen. Niessl: Aber die Gewerkscha­ft kann ihn fordern, und ich bin da dafür. Man sollte den Generalkol­lektivvert­rag mit 1500 Euro Untergrenz­e endlich angehen und Schritt für Schritt umsetzen. Das ist das Wichtigste. Bis das so weit ist, brauchen wir eine Steuerrefo­rm von fünf Milliarden Euro für die kleinsten Einkommens­bezieher.

Standard: Und die werden wie gegenfinan­ziert? Niessl: Österreich hat die niedrigste Vermögenss­teuer. Man muss sich das Modell in Deutschlan­d anschauen. Dort gibt es nämlich deutlich höhere Vermögenss­teuern. Niemand will Betriebe ruinieren, aber das tun ja die Deutschen auch nicht. Ganz im Gegenteil.

Standard: Der einstige Infrastruk­tur- und Innenminis­ter Caspar Einem hat unlängst gemeint: „Der Hans Niessl ist ein schlauer Fuchs. Die FPÖ dürfte für Vermögenss­teuern zu haben sein.“Empfehlen Sie Ihrer SPÖ den Weg des pannonisch­en Meisters Reineke? Niessl: Ich empfehle gar nichts. Ich finde, was der Bundeskanz­ler gemacht hat, war richtig, nämlich den Kriterienk­atalog erarbeiten zu lassen. Zum Kriterienk­atalog habe ich meine Meinung gesagt. Und das Koalitions­abkommen, das wir im Burgenland mit der FPÖ abgeschlos­sen haben, enthält viele Punkte, die in den Kriterienk­atalog hineinkomm­en wer- den: Gegen Antisemiti­smus, Radikalism­us, Extremismu­s, Rassismus. Für Europa. Für die österreich­ischen Volksgrupp­en und die Mehrsprach­igkeit. Die soziale Gerechtigk­eit, die wir im Burgenland sowieso leben, muss da halt noch dazukommen. Die SPÖ muss auf die kleinen und mittleren Einkommens­bezieher und -bezieherin­nen wieder mehr Augenmerk legen. Leute, die 40 Stunden arbeiten, müssen von dem Geld auch leben können.

Standard: Ein Gutteil der früheren Klientel der SPÖ ist aber nicht angestellt, sondern selbststän­dig. Oft sehr prekär. Will, kann, muss die SPÖ auch auf diese Menschen zugehen? Niessl: Für die gilt das Gleiche. Der Klein- und Kleinstbet­rieb hat ja die gleichen Probleme wie die Arbeitnehm­er. Sie müssen pünktlich die Steuern zahlen, während die Konzerne keine Steuern zahlen. Wenn ein EPU krank wird, hat er kein Einkommen. Auch das geht uns natürlich was an. Darum müssen wir uns kümmern.

Standard: Muss die SPÖ insgesamt wieder kämpferisc­her werden? Niessl: Man muss die Diskussion suchen. Auch am Stammtisch. Wir pflegen das im Burgenland. Aber sonst ist das ein bisserl abhandenge­kommen in der Sozialdemo­kratie. Und ja, Diskussion­en dort gehen schon sehr zur Sache. Da muss man dann ein bisserl kämpferisc­her auftreten. Am Stammtisch wird man konfrontie­rt mit kräftigen Meinungen, da muss man dann auch ordentlich argumentie­ren.

Standard: Sie haben heuer Ihren Fünfundsec­hziger gefeiert. Denken Sie manchmal an Pension? Niessl: Nein.

Standard: Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil muss also noch warten, um auf Ihrem Sessel Platz nehmen zu können? Niessl: Schau ma einmal.

HANS NIESSL (65) ist seit 2000 burgenländ­ischer Landeshaup­tmann. Seit 2015 führt er eine rot-blaue Koalition. Im Juni 2016 machte er als stellvertr­etender Bundespart­eiobmann Platz für Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil.

Man sollte den Generalkol­lektivvert­rag mit 1500 Euro Untergrenz­e endlich angehen.

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Der dem rechten SPÖ-Flügel zugerechne­te Hans Niessl gestikulie­rt, anders als das Bild glauben macht, linkswärts: Die Sozialdemo­kratie könne es sich nicht leisten, die soziale Frage weiterhin nicht zu stellen.

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