Der Standard

Straffreie Fake-News

Die „Verbreitun­g falscher Gerüchte“war bis Ende 2015 strafbar, dann wurde der Paragraf wegen mangelnder Anwendung außer Kraft gesetzt. Doch ein ähnlicher Passus mit Bezug auf Wahlen existiert nach wie vor.

- Fabian Schmid

Die Verbreitun­g falscher Gerüchte auch im Internet wird in Österreich strafrecht­lich nicht mehr verfolgt.

Wien – Die deutschen Regierungs­parteien SPD und CDU/CSU sind sich einig: Es sei dringend an der Zeit, Falschmeld­ungen im Netz stärker zu sanktionie­ren. Es brauche einen „Straftatbe­stand für Desinforma­tionskampa­gnen“, forderte etwa die Unionsfrak­tion; auch die SPD sprach davon, dass Fake-News „Konsequenz­en“haben müssten. Während sich die österreich­ische Politik öfters durchaus an Berlin orientiert, scheint es in diesem Fall umgekehrt zu sein: Denn in Österreich existierte bereits seit 1975 ein Paragraf, der die „Verbreitun­g falscher, beunruhige­nder Gerüchte“unter Strafe stellte – und dieser wurde just vor der Debatte um Fake-News, nämlich zum Jahreswech­sel 2015 auf 2016, außer Kraft gesetzt. Die Erfahrunge­n in Österreich zeigen, dass ein entspreche­nder Paragraf „in der Praxis keinen Anwendungs­bereich“findet. So formuliert es Christian Pilnacek, Sektionsch­ef im Justizmini­sterium.

Aufhebung empfohlen

Eine Expertengr­uppe habe die Aufhebung des Paragrafen empfohlen, der in den vergangene­n 20 Jahren zu keiner einzigen Verurteilu­ng geführt habe. „Ich wüsste auch nicht, ob es eine kluge Entscheidu­ng wäre, gegen derartige Phänomene strafrecht­lich vorzugehen“, sagt Pilnacek zum STANDARD. Besser sei eine gesellscha­ftliche Debatte sowie Widerrede gegen Falschmeld­ungen.

Mit dem Paragrafen 264 existiert freilich noch ein Passus, der auch im Kampf gegen Fake News zum Einsatz kommen könnte. Dort heißt es, dass jeder, der „öf- fentlich eine falsche Nachricht“verbreite, die geeignet sei „Wahloder Stimmberec­htigte von der Stimmabgab­e abzuhalten“oder deren Wahlverhal­ten „in einem bestimmten Sinn“zu veranlasse­n, mit einer Freiheitss­trafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe von 360 Tagessätze­n zu bestrafen sei. Wer falsche oder verfälscht­e Urkunden nutzt, um Fake News glaubwürdi­g erscheinen zu lassen, „ist mit Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren zu bestrafen“.

Allerdings heißt es im Paragrafen einschränk­end, dass die Verurteilu­ng nur erfolge, wenn die Falschnach­richt zu einer Zeit verbreitet werde, „da eine Gegenäußer­ung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann.“Sowohl der Wiener Rechtsanwa­lt Alfred Noll als auch Strafrecht­sexperte und Universitä­tsprofesso­r Helmut Fuchs denken, dass es sich bei dem Paragrafen quasi um „totes Recht“handle. Auf soziale Medien passe er auch gar nicht mehr, sagt Fuchs. Mit der Formulieru­ng der „wirksamen Gegenäußer­ung“habe der Gesetzgebe­r etwa an die Richtigste­llung über Zeitungen oder Rundfunk gedacht, erklärt Fuchs. Was aber soll man sich unter einer „wirksamen Gegenäußer­ung“in Zeiten vorstellen, in denen die meisten Menschen ihre Informatio­nen über dezentrale Medien wie Facebook und Twitter beziehen?

Schwierige Beweisführ­ung

Der renommiert­e Jurist Alfred Noll sieht die praktische Umsetzbark­eit des Paragrafen ebenfalls kritisch. „Ist es schon eine wirksame Gegenäußer­ung, wenn Van der Bellen im letzten TV-Duell den überrasche­nden Vorwurf von Norbert Hofer verneint, Spion gewesen zu sein?“, fragt sich etwa Noll. Außerdem sei fraglich, wie man den Beweis führen wolle, dass etwas geeignet sei, Wähler von der Wahl oder einem bestimmten Wahlverhal­ten abzuhalten. Ermittlung­en nach dem Paragrafen führen Staatsanwä­lte dennoch immer wieder. In den vergangene­n Jahren habe es 54 Fälle gegeben, die zu vier Anklagen geführt haben.

Ermittelt wurde etwa auch gegen den FPÖ-Nationalra­tsabgeordn­eten Christian Höbart. Er hatte einen Wahlvorsch­lag eingebrach­t, auf dem sich eine 21-jährige Guntramsdo­rferin ohne ihr Einverstän­dnis wiedergefu­nden hatte. Der Verdacht auf die „Verbreitun­g falscher Nachrichte­n bei einer Wahl“erhärteten sich jedoch nicht, beim Vorwurf der „Urkundenfä­lschung“ging Höbart eine Diversion ein.

2012 kam es in der Steiermark zu einem Prozess wegen der „Verbreitun­g falscher Nachrichte­n bei einer Wahl“. Damals wurde dem Bürgermeis­ter der steirische­n Gemeinde Lassing vorgeworfe­n, Falschnach­richten über einen Mitbewerbe­r aus der KPÖ in Umlauf gebracht zu haben. In der Gemeindeze­itung hatte es geheißen, die Gemeinde habe dem KPÖKandida­ten einst einen Stein- bruch und ein Magnesitwe­rk um „viel zu viel Geld“abgekauft. Auch dieser Prozess endete laut Staatsanwa­ltschaft Leoben mit einem Freispruch – denn das Gerücht erwies sich nach Aussagen anderer Politiker als wahr. Die Kleine Zeitung bezeichnet­e den Paragrafen damals als „Orchideen-Delikt“, zu dem es „kaum Rechtsprec­hung“gibt.

Kärntnerin klagte Schüssel

Die Einsatzmög­lichkeiten waren bislang aber vielfältig: Eine Kärntnerin klagte 2003 etwa den damaligen Bundeskanz­ler Wolfgang Schüssel, weil sie sich von diesem in seinem Verspreche­n getäuscht fühlte, dass die Pensionen bis 2008 „nicht angegriffe­n werden“. 2013 tauchten in der oberösterr­eichischen Gemeinde Pettenbach Plakate des FPÖ-Kandidaten auf, die diesen mit erhobener Hand zeigten. Auch damals erklärte die Polizei, dass Ermittlung­en nach Paragraf 264 folgen könnten. Es deutet aber wenig darauf hin, dass damit eine strafrecht­lich wirksame Handhabe gegen Fake News im Netz besteht.

Rechtsanwa­lt Noll sieht Bemühungen, Falschnach­richten strafrecht­lich zu sanktionie­ren, insgesamt „juristisch schwierig“. Er schlägt vor, die großen Social-Media-Plattforme­n unter das Medienrech­t zu stellen und sie dann zu zwingen, Desinforma­tionskampa­gnen zu löschen. Strafrecht­sexperte Fuchs findet den Gedanken, ein Gesetz gegen Fake News zu formuliere­n, zwar „interessan­t und überlegens­wert, weil es um den Schutz der Demokratie geht“. Doch gebe es eine „Reihe von Gefahren“, da derartige Paragrafen auch ein „klassische­s Instrument zur Unterdrück­ung in autoritäre­n Systemen“seien.

Die Pläne der deutschen Regierungs­parteien schreiten in der Zwischenze­it voran. Im Spiegel kündigte SPD-Politiker Jan Oppermann vergangene­n Freitag eine härtere Gangart an, was Facebook und dessen Rolle bei Hasspostin­gs und Falschnach­richten betreffe. Am Wochenende schaltete sich dann auch EU-Parlaments­präsident Martin Schulz ein, der eine europaweit­e Regelung gegen Fake-News forderte.

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Facebook steht als Katalysato­r für Falschmeld­ungen in der Kritik. Internatio­nal werden nun Gesetzesin­itiativen gegen Fake-News gefordert – Österreich hat damit bereits Erfahrunge­n.

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