Der Standard

Back to the USSR: Sehnsucht nach der alten Zeit

Vor 25 Jahren zerfiel die Sowjetunio­n. Einen Festakt wird es in Moskau nicht geben, eine Mehrheit der Bürger wünscht sich heute wieder den ehemaligen Staat zurück.

- André Ballin aus Moskau

Das Wetter passte sich der Untergangs­stimmung an: Der 21. Dezember 1991 war einer jener trüben Wintertage, an denen der Dezember in Moskau reich ist, der graue Himmel über dem Kreml wolkenverh­angen, der Schnee am Straßenran­d rar und schmutzig. Artjom Borowik, der an jenem Tag als Letzter Michail Gorbatscho­w als Sowjetpräs­identen im Kreml interviewt­e, erinnerte sich später an einen einsamen Staatsführ­er, der nur noch von wenigen treuen Helfern, dafür von einer Unzahl an Geheimdien­stagenten umgeben war, die noch darüber rätselten, wem sie künftig dienen sollten.

„Der Kreml erinnert an einen geplatzten Luftballon, an dessen Band sein einst mächtiger Herr aus Gewohnheit immer noch zieht“, so Borowik. Ein Indiz für den Verfall der Macht: Die Umkleiden im Kreml waren leer. „Die Garderoben­frauen, heißt es, seien schon vor einer Woche zum Mittagesse­n verschwund­en“, berichtete der Journalist.

Ungeachtet dessen gab sich Gorbatscho­w selbst zuversicht­lich, die Sowjetunio­n retten zu können. Er, der sechs Jahre zuvor energisch Glasnost und Perestroik­a angeschobe­n hatte, dann aber immer mehr zwischen die Fronten der Reformer und der Konservati­ven geriet, wurde nach dem AugustPuts­ch vom bulligen russischen Präsidente­n Boris Jelzin ins Abseits geschoben. Nun setzte er seine Hoffnung auf die Verhandlun­gen der Republikch­efs im kasachisch­en Alma-Ata über einen neuen Unionsvert­rag, die er lediglich als Zuschauer aus der Ferne verfolgte.

Schwierige Nachfolge

„Ich gehe davon aus, dass sie sich einigen“, sagte Gorbatscho­w Borowik. Er wurde enttäuscht: Der Vertrag sah mit der Gemeinscha­ft Unabhängig­er Staaten lediglich einen losen Staatenver­bund, vor, der nie Integratio­nskraft entwickelt­e. Fünf Tage nach dem Interview wurde die sowjetisch­e Flagge vom Kreml geholt und durch die russische Trikolore ersetzt.

Russland trat allein die Nachfolge der Sowjetunio­n an – ein schweres Erbe, das nicht nur den ständigen Sitz im UN-Sicherheit­srat und ein gewaltiges Arsenal an Atomwaffen bedeutete, sondern auch die Erfüllung internatio­naler Verträge und die Übernahme der enormen Schuldenla­st. Der jahrelang niedrige Ölpreis verschärft­e die Probleme des Staatshaus­halts zusätzlich. Die Umgestaltu­ng entpuppte sich als schwierig, der Sprung von der Plan- zur Markt- wirtschaft endete im Raubtierka­pitalismus. Einige wenige Russen wurden steinreich, der Großteil hingegen verarmte.

Der Zerfall hatte noch weitere Konsequenz­en für die Bevölkerun­g: Er bedeutete die Trennung von Familien, den Verlust der Heimat für Millionen. Ein Sibirier, der zu Sowjetzeit­en als Arzt ins Baltikum geschickt wurde, oder ein Ukrainer, der als Bergbauing­enieur nach Usbekistan abkommandi­ert wurde – sie galten plötzlich als Fremde und wurden ausgegrenz­t. Vor der russischen Botschaft in Taschkent drängten sich Ende der 1990er-Jahre, Anfang des neuen Jahrtausen­ds Menschen in kilometerl­angen Schlangen, die um die russische Staatsbürg­erschaft baten – und zumeist abgewiesen wurden. Erst 2007 startete Moskau ein Rückholpro­gramm für ethnische Russen – 2015 siedelten so 180.000 Menschen ins Land über.

Einen Festakt wird es daher zum 25. Jahrestag der Auflösung der Sowjetunio­n in Moskau nicht geben. Jelzins Nachfolger Wladimir Putin bezeichnet­e den Zerfall der Sowjetunio­n als „größte geopolitis­che Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts“. Das Bedauern über den Untergang des „roten Imperiums“teilt er mit einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerun­g in Russland. Während im Kreml dabei natürlich vor allem der Verlust der Macht betrauert wird, sind für die Russen eben jene schmerzlic­hen Erinnerung­en ausschlagg­ebend in ihrer Bewertung.

Stabilität versus Stagnation

Laut einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Lewada-Zentrum bedauern 56 Prozent der Menschen den Zerfall des Landes, eine Mehrheit wünscht sich gar die Wiederhers­tellung der Sowjetunio­n. Der Wunsch nach Stabilität und Größe, der sich dahinter verbirgt, war innenpolit­isch jahrelang Wladimir Putins größte Machtstütz­e.

Doch wie für die Sowjetunio­n besteht auch jetzt für Russland die Gefahr, dass sich Stabilität in Stagnation verwandelt und Größe in Überdehnun­g. Der jüngste Ölpreissch­ock hat die fehlende Diversifiz­ierung der russischen Wirtschaft einmal mehr demonstrie­rt. Das militärisc­he Engagement in Syrien hat nicht den Maßstab von jenem in Afghanista­n, aber es wird Russlands Militär auf Jahre binden.

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Michail Gorbatscho­w, der letzte Sowjetpräs­ident, verkündete am 25. Dezember 1991 im Fernsehen seinen Rücktritt.

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