Brexit: Parlament will Klarheit für EU-Ausländer
Menschenrechtsausschuss gegen Pläne, Bleiberecht als Faustpfand einzusetzen
Knapp sechs Monate nach dem Brexit-Votum häuft sich die Kritik am Umgang der britischen Regierung mit den EU-Bürgern anderer Staaten, die auf der Insel leben. Diese Millionen von Menschen sollten „nicht als Verhandlungsmasse“während der Austrittsgespräche mit Brüssel verwendet werden, mahnte am Montag der parteiübergreifende Menschenrechtsausschuss beider Parlamentskammern in London.
Dessen Vorsitzende, die frühere Labour-Vizechefin Harriet Harman, verwies auf die weiterhin geltende Europäische Menschenrechtskonvention. Eine Deportation der Betroffenen sei weder praktisch durchführbar noch erlaubt: „Die fälligen Klagen würden das Justizsystem überfordern.“
Schätzungen zufolge gehören 2,8 bis 3,5 Millionen Bürger anderer EU-Staaten zur britischen Gesamtbevölkerung von rund 65 Millionen Menschen. Zu den größten Gruppen zählen Polen, Iren und Rumänen; eine Zählung der Pariser Regierung ergab, dass lediglich in fünf Städten der Republik mehr Franzosen leben als in London. Allein im englischen Gesundheitssystem sind 144.000 EU-Ausländer beschäftigt, 15 Prozent des akademischen Lehrpersonals an britischen Unis kommen aus anderen EU-Staaten, bei den Naturwissenschaften liegt der Prozentsatz sogar bei 23 Prozent. Umgekehrt haben sich 1,2 Millionen Briten in anderen EU-Mitgliedsstaaten niedergelassen.
Auf dem jüngsten Brüsseler Gipfel stellte Premierministerin Theresa May die rechtliche Absicherung der Betroffenen ausdrücklich als Priorität dar. Einer Garantie verweigert sich London aber standhaft. Harte EU-Feinde im Kabinett wie der Außenhandelsminister Liam Fox haben EUAusländer als „wichtige Trumpfkarte“für Gespräche bezeichnet.
Noch viel Unklarheit
Der Thinktank British Future ließ direkt nach dem Brexit-Votum im Juni die Briten befragen. Eine Mehrheit von 84 Prozent befürwortete damals den Verbleib unbescholtener EU-Bürger, darunter auch drei Viertel (77 Prozent) der EU-Gegner. Kürzlich veröffentlichte der Thinktank die Schlussfolgerungen einer Gruppe von Politikern, Geschäftsleuten und Akademikern. Fazit: Wer bis zur offiziellen Austrittserklärung – mutmaßlich Ende März 2017 – einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt nachweisen kann, soll automatisch unbegrenztes Aufenthaltsrecht erhalten. Bisher müssen Antragsteller ein 85-seitiges Formular ausfüllen und Nachweise für den Aufenthalt anfügen.
Erst kürzlich hat Innenministerin Amber Rudd im Unterhaus bestätigt: Wer nach dem Brexit im Land bleiben wolle, „braucht irgendeine Form von Dokument“. Ausdrücklich aber ließ die Chefin des Ressorts offen, was im weiterhin personalausweisfreien Königreich ein solches Dokument darstellt. Bisher erhalten auf der Insel lebende Europäer bestenfalls einen Brief mit ihrer persönlichen Nummer in der nationalen Arbeitsversicherung (NI).