Der Standard

Brexit: Parlament will Klarheit für EU-Ausländer

Menschenre­chtsaussch­uss gegen Pläne, Bleiberech­t als Faustpfand einzusetze­n

- Sebastian Borger aus London

Knapp sechs Monate nach dem Brexit-Votum häuft sich die Kritik am Umgang der britischen Regierung mit den EU-Bürgern anderer Staaten, die auf der Insel leben. Diese Millionen von Menschen sollten „nicht als Verhandlun­gsmasse“während der Austrittsg­espräche mit Brüssel verwendet werden, mahnte am Montag der parteiüber­greifende Menschenre­chtsaussch­uss beider Parlaments­kammern in London.

Dessen Vorsitzend­e, die frühere Labour-Vizechefin Harriet Harman, verwies auf die weiterhin geltende Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion. Eine Deportatio­n der Betroffene­n sei weder praktisch durchführb­ar noch erlaubt: „Die fälligen Klagen würden das Justizsyst­em überforder­n.“

Schätzunge­n zufolge gehören 2,8 bis 3,5 Millionen Bürger anderer EU-Staaten zur britischen Gesamtbevö­lkerung von rund 65 Millionen Menschen. Zu den größten Gruppen zählen Polen, Iren und Rumänen; eine Zählung der Pariser Regierung ergab, dass lediglich in fünf Städten der Republik mehr Franzosen leben als in London. Allein im englischen Gesundheit­ssystem sind 144.000 EU-Ausländer beschäftig­t, 15 Prozent des akademisch­en Lehrperson­als an britischen Unis kommen aus anderen EU-Staaten, bei den Naturwisse­nschaften liegt der Prozentsat­z sogar bei 23 Prozent. Umgekehrt haben sich 1,2 Millionen Briten in anderen EU-Mitgliedss­taaten niedergela­ssen.

Auf dem jüngsten Brüsseler Gipfel stellte Premiermin­isterin Theresa May die rechtliche Absicherun­g der Betroffene­n ausdrückli­ch als Priorität dar. Einer Garantie verweigert sich London aber standhaft. Harte EU-Feinde im Kabinett wie der Außenhande­lsminister Liam Fox haben EUAuslände­r als „wichtige Trumpfkart­e“für Gespräche bezeichnet.

Noch viel Unklarheit

Der Thinktank British Future ließ direkt nach dem Brexit-Votum im Juni die Briten befragen. Eine Mehrheit von 84 Prozent befürworte­te damals den Verbleib unbescholt­ener EU-Bürger, darunter auch drei Viertel (77 Prozent) der EU-Gegner. Kürzlich veröffentl­ichte der Thinktank die Schlussfol­gerungen einer Gruppe von Politikern, Geschäftsl­euten und Akademiker­n. Fazit: Wer bis zur offizielle­n Austrittse­rklärung – mutmaßlich Ende März 2017 – einen mindestens fünfjährig­en Aufenthalt nachweisen kann, soll automatisc­h unbegrenzt­es Aufenthalt­srecht erhalten. Bisher müssen Antragstel­ler ein 85-seitiges Formular ausfüllen und Nachweise für den Aufenthalt anfügen.

Erst kürzlich hat Innenminis­terin Amber Rudd im Unterhaus bestätigt: Wer nach dem Brexit im Land bleiben wolle, „braucht irgendeine Form von Dokument“. Ausdrückli­ch aber ließ die Chefin des Ressorts offen, was im weiterhin personalau­sweisfreie­n Königreich ein solches Dokument darstellt. Bisher erhalten auf der Insel lebende Europäer bestenfall­s einen Brief mit ihrer persönlich­en Nummer in der nationalen Arbeitsver­sicherung (NI).

 ??  ?? Bei ihrem Besuch in Polen im Oktober konnte die britische Premiermin­isterin Teresa May (re.) Amtskolleg­in Beata Szydło noch keine klaren Auskünfte über die Zukunft der Polen in ihrem Land geben.
Bei ihrem Besuch in Polen im Oktober konnte die britische Premiermin­isterin Teresa May (re.) Amtskolleg­in Beata Szydło noch keine klaren Auskünfte über die Zukunft der Polen in ihrem Land geben.

Newspapers in German

Newspapers from Austria