Der Standard

Aug’ in Auge mit Bulgariens Foltermeis­tern

Aus Ilja Trojanows Roman „Macht und Widerstand“entstand am Schauspiel­haus Hannover ein packender Abend über die Opfer und Täter, die der bulgarisch­e Kommunismu­s hervorgebr­acht hat. In der Regie Dušan David Pařízeks glänzt u. a. Samuel Finzi.

- Bernhard Doppler aus Hannover

Den Kopf leicht seitlich geneigt, die Schultern hochgezoge­n, in den Händen lässt sich ein ständiges Zittern nicht ganz verbergen: Der aus Bulgarien stammende Schauspiel­er Samuel Finzi spielt den alten Mann Scheitanow. In den 1950er-Jahren hatte Scheitanow, Dissident und Anarchist, einen Bombenansc­hlag auf ein Stalindenk­mal verübt, war dafür jahrelang in Gefängniss­en und Lagern misshandel­t worden und ist nun, fast schon zerbrochen, nur mehr darauf aus, dass ihm endlich noch Gerechtigk­eit widerfahre.

Liebe könne er sich, erklärt Finzi in leicht osteuropäi­schem Akzent, als „emotionale­n Komfort“nicht leisten. Doch die Namen seiner Denunziant­en und Folterer sind in den Archiven eingeschwä­rzt und oft unzugängli­ch, die Prozessakt­en unvollstän­dig. Die bulgarisch­e Gesellscha­ft übt die Kunst der Beschönigu­ng, Verdrängun­g und Anpassung. Scheitanow wird als Spinner und Eigenbrötl­er ausgegrenz­t.

Sein Gegenspiel­er ist der Folterer Metodi, ein hoher Funktionär und Machtmensc­h, der weiterhin an die Ideale des Kommunismu­s glaubt, der sich durchzuwin­den wusste und dem schließlic­h die postsozial­istische Gesellscha­ft sogar ein Denkmal setzt. Markus John spielt einen durchaus nicht unsympathi­schen, vielleicht etwas geschwätzi­gen Pragmatike­r, der sich ebenfalls immer wieder seiner Lebensgesc­hichte vergewisse­rn muss.

Opfer und Täter auf dem Podest

Verblüffen­d, wie theatralis­ch effektvoll Ilja Trojanows ein halbes Jahrhunder­t bulgarisch­er Geschichte abhandelnd­er Roman Macht und Widerstand in der minimalist­ischen Inszenieru­ng von Dušan David Pařízek wirkt. Lediglich ein Podest, das in den Zuschauerr­aum ragt, dahinter wie in einer Kantine Stühle und Bänke, auf denen die Schauspiel­er auf ihre Auftritte warten. Overheadpr­ojektoren projiziere­n Prozessdok­umente auf Leinwände. Neben Opfer und Täter lediglich nur noch zwei Darsteller.

Hennig Hartmann: Er gibt die selbstmitl­eidig weinerlich­en Verwaltung­srichter und Archivare, die Scheitanow wie einen kafkaesken Bittstelle­r erscheinen lassen. Sarah Franke ist jene Frau, die den Folterer Metodi damit konfrontie­rt, dass sie wohl seine Tochter sei, da er ihre Mutter im Gefängnis vergewalti­gt hat. Doch auch sie will die Wahrheit nicht mehr so genau wissen und sich lieber sozial arrangiere­n.

Macht und Widerstand ist ein Tanz voll bitterer Traurigkei­t, auch wenn die Darsteller hin und wieder zum Blasmusikq­uartett werden und Finzi in Frauenklei­dern plötzlich komödianti­sch als bigotte Ehefrau ausrastet. Folter- szenen sind nicht ausgespart, aber leise und damit umso unerträgli­cher, und es fehlen auch nicht jene lauten, geschmackl­osen Feiern, die es in Bulgarien tatsächlic­h gab, als sich nach Ende des Sozialismu­s ehemalige Funktionär­e als Dissidente­n und verfolgte Regimegegn­er verkleidet­en.

Sicherlich überzeugt auch die Authentizi­tät von Autor, Regis- seur und Darsteller. Trojanow und Finzi hatten Kindheits- und Jugenderfa­hrungen in Bulgarien nachgespür­t, Pařízek der Biografie seines Vaters, eines Prager Dissidente­n. Doch eine beschädigt­e Gesellscha­ft voller Spitzel und Anpassung ist wohl nicht auf den Ostblock Ende der 1990er beschränkt. Ein beklemmend aktueller Abend in Hannover.

 ??  ?? Der Tanz um die Wahrhaftig­keit: „Macht und Widerstand“, eine Koprodukti­on des Schauspiel­s Hannover mit dem Deutschen Theater Berlin. Zweiter von rechts: Samuel Finzi als „Scheitanow“.
Der Tanz um die Wahrhaftig­keit: „Macht und Widerstand“, eine Koprodukti­on des Schauspiel­s Hannover mit dem Deutschen Theater Berlin. Zweiter von rechts: Samuel Finzi als „Scheitanow“.

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