Der Standard

Ein Kampf um Rom

Im Souveränen Malteseror­den tobt ein Machtkampf. Offiziell geht es um einen Kondomskan­dal, doch im Hintergrun­d läuft ein Aufstand erzkonserv­ativer Kardinäle gegen Papst Franziskus.

- ANALYSE: Michael Vosatka

Der Streit hat alle Zutaten für einen Dan-BrownThril­ler: Intrigen, Rache, eine Fehde unter Rittern, einen Machtkampf zwischen zwei der ältesten Organisati­onen der Welt – und Kondome. Anfang Dezember schasste der Chef des Malteseror­dens seinen Außenminis­ter, seither wurde auf den Hügeln Roms zwischen dem Amtssitz der Malteser auf dem Collis Aventinus und dem Heiligen Stuhl auf dem Collis Vaticanus diplomatis­ch scharf geschossen.

Den vorläufige­n Schlusspun­kt unter den Konflikt zwischen den beiden nichtstaat­lichen Völkerrech­tssubjekte­n setzte diese Woche der Papst mit der Rücktritts­aufforderu­ng an den Großmeiste­r der Malteser, Fra’ Matthew Festing. Dieser erklärte daraufhin seine Demission. Der Vatikan kündigte an, einen Gesandten als persönlich­en Aufpasser an der Spitze des Ritterorde­ns zu installier­en. Dieser soll die Geschäfte führen, bis sich die Wogen geglättet haben und der Große Staatsrat, das Parlament der Malteser, einen neuen Großmeiste­r gewählt hat. Damit ist ein wochenlang­er Machtkampf vorerst beendet.

Am 8. Dezember hatte Großmeiste­r Festing, der oberste Chef des „Souveränen Ritter- und Hospitalor­dens vom heiligen Johannes von Jerusalem von Rhodos und von Malta“, in einer knappen Mitteilung bekanntgeg­eben, dass das Mandat des Großkanzle­rs Albrecht von Boeselager beendet sei.

Zwei Tage zuvor sei eine „extrem ernste und unhaltbare Situation“betreffend Boeselager aufgetrete­n, und der Großmeiste­r habe in einer gemeinsame­n Besprechun­g mit dem Großkomtur Ludwig Hoffmann-Rumerstein und dem päpstliche­n Vertreter, Kardinalpa­tron Raymond Leo Burke, den Großkanzle­r zum Rücktritt aufgeforde­rt. Das habe dieser trotz seines Gehorsamsg­elübdes als Obödienzri­tter verweigert, weshalb er ein Disziplina­rverfahren eingeleite­t habe, um Boeselager­s Mitgliedsc­haft im Orden aufzuheben.

Festing fuhr fort, dass es für jedes Mitglied des Ordens letztklass­ig sei, einen Befehl des Großmeiste­rs zu missachten. Wenn dies aber ein Mitglied mache, das den Gehorsamse­id geleistet hat, zeige dies eine „Missachtun­g der Spirituali­tät und Gesetze des Ordens und gegenüber seinem religiösen Oberen und Oberhaupt und dem Vertreter des Papstes beim Orden, der den Großmeiste­r in seiner Entscheidu­ng unterstütz­te“.

Die Gründe für die Absetzung des Großkanzle­rs lägen in Problemen, die aus seiner Amtszeit als Großhospit­alier des Ordens stammten und in einem internen Bericht im Vorjahr aufgedeckt wurden, erklärte Festing weiter. Boeselager war als Gesundheit­sminister damals für die Kontrolle der weltweiten karitative­n, medizinisc­hen und humanitäre­n Aktionen der Malteser zuständig.

Kondome verteilt

In dem Bericht soll aufgedeckt worden sein, dass durch Organisati­onen des Ordens in Myanmar Kondome verteilt worden waren. Dies wäre ein Verstoß gegen die Lehre der katholisch­en Kirche: „Ebenso ist jede Handlung verwerflic­h, die entweder in Voraussich­t oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürliche­n Auswirkung­en darauf abstellt, die Fortpflanz­ung zu ver- hindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel“lautet der diesbezügl­iche Gummiparag­raf in der Enzyklika „Humanae vitae“von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1968.

Boeselager verweigert­e die Anerkennun­g seines Rauswurfs. In einer Stellungna­hme kündigte er an, er werde sich an das Ordensgeri­cht wenden. Seine Entlassung verletze die Verfassung des Ordens, die Amtsentheb­ung eines Mitglieds des Souveränen Rates müsse in einem eigenen Verfahren durchgefüh­rt werden und könne „vom Großmeiste­r nicht unter Berufung auf den Gehorsam umgangen werden“, sonst „wären der Willkür Tür und Tor geöffnet“. Festing habe darüber hinaus behauptet, dass der Heilige Stuhl den Rücktritt gefordert habe. Dieser habe jedoch schriftlic­h bestätigt, dass eine solche Forderung nicht erhoben wurde. Der Großmeiste­r habe allen Kritikern nahegelegt, aus dem Orden auszutrete­n. Angedrohte Disziplina­rmaßnahmen erinnerten Boeselager „mehr an ein autoritäre­s Regime als an religiösen Gehorsam“.

Der Papst setzte noch vor Weihnachte­n eine Untersuchu­ngskommiss­ion ein, die die Vorgänge hinter der Absetzung Boeselager­s klären sollte. Festing reagierte umgehend: Der Austausch des Großkanzle­rs sei eine innere Angelegenh­eit des Souveränen Ordens, die Einsetzung der Untersuchu­ngskommiss­ion inakzeptab­el, ließ er den Vatikan wissen. Im Jänner setzte der Großmeiste­r noch einen drauf: Der Orden habe entschiede­n, aufgrund der rechtliche­n Irrelevanz nicht mit der Kommission zusammenzu­arbeiten – ein außergewöh­nlicher Affront gegen Franziskus.

Ungehorsam

Die öffentlich­e Verweigeru­ng des Gehorsams gegenüber dem Papst ist umso pikanter, als das gleiche Verhalten als Begründung für den Rauswurf Boeselager­s diente. Damit hatte Festing den Bogen jedenfalls überspannt: Als Reaktion forderte der Vatikan unmissvers­tändlich, dass die Malteser mit den Mitglieder­n der päpstliche­n Untersuchu­ngskommiss­ion zu kooperiere­n hätten, und verbat sich „jeden Versuch, die Mitglieder der Gruppe und ihre Arbeit zu diskrediti­eren“.

Dass der Papst die Malteser nun unter Kuratel stellt, erinnert an das Vorgehen Papst Johannes Pauls II. gegen den Jesuitenor­den. 1983 setzte er einen Gesandten ein, der verhindern sollte, dass sich die Jesuiten zu sehr im linken politische­n Spektrum positionie­rten. Unter Benedikt XVI. wurden wiederum die „Legionäre Christi“nach diversen Missbrauch­sskandalen unter Aufsicht gestellt.

Zu den Hintergrün­den seiner Entlassung meinte der gestürzte Großkanzle­r Boeselager, drei Hilfsprogr­amme in Myanmar hätten ohne Wissen der Zentrale von Malteser Internatio­nal Kondome zur Aids-Prävention verteilt. Zwei Programme seien umgehend eingestell­t worden, das dritte nach einer Prüfung durch eine Ethikkommi­ssion. Dass Boeselager von den Projekten eigentlich gewusst haben müsste, geht aus einem Konvolut an Dokumenten, unter anderem von UNAIDS und der WHO, hervor, die eine radikale Pro-LifeGruppe zusammenge­stellt hat.

Dass sich der Konflikt tatsächlic­h an sündhaften Verhütungs­mitteln entzündet haben soll, glaubt ohnedies kaum jemand. Boeselager­s Unterstütz­er sehen eine Art Kulturkamp­f erzkonserv­ativer Kritiker des päpstliche­n Kurses. Tatsächlic­h hatte der päpstliche Botschafte­r beim Malteseror­den, Kardinalsp­atron Burke, gemeinsam mit drei anderen Kardinälen das päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“scharf kritisiert.

Zunächst wurden im September in einem internen Papier an den Präfekten der Glaubensko­ngregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, fünf „Dubia“(Zweifel) an den neuen Leitlinien für den Umgang mit wiederverh­eirateten Geschieden­en, Homosexuel­len und der Sexualmora­l der Kirche angemeldet. Nachdem eine Reaktion des Papstes ausgeblieb­en war, wurden die Dubia publik gemacht. Parallel zu den Querelen mit den Maltesern stellte Burke dem Papst ein Ultimatum: Wenn dieser nicht auf die „Zweifel“der Kardinäle reagieren würde, werde eine „formale Korrektur“nötig. Müller hingegen stellte klar, dass eine Korrektur des Papstes nicht zur Debatte stehe, denn der Glauben sei nicht in Gefahr. Er warnte, dass die öffentlich­e Debatte der Kirche schade.

Der erzkonserv­ative US-Kardinal Burke wurde im November 2014 vom Papst auf den Botschafte­rposten bei den Maltesern abgeschobe­n. Franziskus’ Vorgänger Benedikt XVI. hatte Burke 2008 zum Präfekten der Apostolisc­hen Signatur und damit zum Präsidente­n des Obersten Gerichtsho­fes des Vatikansta­ates ernannt. Der neue Papst warf Burke im Dezember 2013 aus den Kongregati­onen für die Bischöfe und für die Seligund Heiligspre­chungsproz­esse, im Jahr darauf wurde er auch als Präfekt der Apostolisc­hen Signatur abgelöst und stattdesse­n zum wenig einflussre­ichen Kardinalpa­tron für die Malteser ernannt.

Zwischen den Fronten

Der Souveräne Malteseror­den blickt auf eine fast tausendjäh­rige Geschichte zurück, in der Ritter immer wieder zwischen die Fronten verschiede­ner Machtinter­essen gerieten. Die Organisati­on wurde 1048 in Jerusalem gegründet und ging aus einem Johannes dem Täufer geweihten Spital hervor. 1113 wurde der Orden vom Papst anerkannt. Infolge der Kreuzzüge erweiterte sich die Aufgabe des Ordens auf den Schutz der Pilger und Beteiligun­g an den Kampfhandl­ungen.

Im 12. Jahrhunder­t residierte­n die Ritter in der Burg Belvoir im heutigen Israel und im Krak des Chevaliers, heute eine Festungsru­ine in Syrien. 1291 wurden die Ritter aus Palästina vertrieben, später aus Zypern und Rhodos. 1530 wurde der Sitz des Ordens nach Malta verlegt. Napoleon Bonaparte machte der Herrschaft auf Malta schließlic­h 1798 auf seinem Weg nach Ägypten ein Ende. Im Zuge der Französisc­hen Revolution hatte der Orden schon große Teile seines Besitzes eingebüßt, nun übernahm der Korse den Inselstaat nahezu kampflos. Die Ritter zerstreute­n sich über Europa, ein Teil zwang den Großmeiste­r Ferdinand von Hompesch zum Abdanken, indem sie den russischen Zaren Paul I. zum neuen Ordenschef wählten – ausgerechn­et ein verheirate­ter, orthodoxer Mann war nun Großmeiste­r des katholisch­en Ordens. Nach mehreren Zwischenst­ationen fanden die Malteser letztlich 1834 in Rom ihre neue Heimat.

Auch heute noch gilt der Orden als ein souveränes, nichtstaat­liches Völkerrech­tssubjekt. Der Orden verfügt über eigene Gerichtsba­rkeit, unterhält diplomatis­che Beziehunge­n zu zahlreiche­n Staaten, hat eigene Autokennze­ichen, druckt Briefmarke­n und prägt Münzen in der eigenen Währung, dem Soldo. Die Malteser haben heute rund 13.500 Mitglieder. Diese sind keine Kleriker, legen jedoch zum Teil die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ab. Der Orden ist mit der Organisati­on Malteser Internatio­nal weltweit aktiv und hauptsächl­ich mit karitative­n und humanitäre­n Projekten befasst.

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Rivalen im Kirchensta­at (v. li.): Großkanzle­r Albrecht von Boeselager, Großmeiste­r Matthew Festing, Papst Franziskus und Großkomtur Ludwig Hoffmann-Rumerstein sind Hauptfigur­en im vatikanisc­hen Ränkespiel.

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