Der Standard

„Demokratie braucht Störenfrie­de“

Philosoph Dieter Thomä über politische Störenfrie­de aller Art: edle Trickster, nationalis­tische Erlöser, gestörte Störer, die populistis­ch oder islamistis­ch agieren, und Revolution­äre, die zu Recht eine andere Ordnung wollen.

- INTERVIEW: Lisa Nimmervoll Foto: Picturedes­k/Pein

STANDARD: Donald Trump ist USPräsiden­t, und man ertappt sich bei dem Gedanken, dass er in die Kategorie des „Störenfrie­ds“fällt, dem Sie ein 700-Seiten-Buch gewidmet haben. Er stört, wenn schon nicht den Frieden, so doch die Ordnung der Welt. Ist Trump ein Störenfrie­d? Thomä: Absolut, aber er ist ein ganz besonderer Störenfrie­d, nämlich einer mit zwei Gesichtern. Das eine ist das Gesicht des wirtschaft­lichen Tricksters, des Schlawiner­s, der sich damit brüstet, die Regeln zu biegen oder auch zu brechen, der alle Konvention­en über den Haufen wirft. Er tritt als Vorbild auf: Macht’s wie ich, ich schlage dem Staat ein Schnippche­n. Die Rechtferti­gung, die höhere Weihe, die er aufbietet, ist: Der Staat ist ja korrupt, und wenn man ein korruptes System übers Ohr haut, ist man gar nicht böse, sondern auf der Seite der Edlen. Denken Sie an die berühmte Antwort, als Hillary Clinton ihm den Verdacht vorhielt, er habe nie Steuern gezahlt. „That’s because I’m smart.“Weil er so clever ist.

Standard: Das ist das eine Gesicht Trumps. Welches ist das zweite? Thomä: Trump bietet sich den Amerikaner­n nicht nur als eine Art Egotripvor­bild dar, sondern auch als jemand, der die Nation rettet und damit alle hinter sich schart. Die eine Strategie ist eine totale Zersplitte­rung der Gesellscha­ft, die andere ein nationalis­tisches Szenario mit ihm als Erlöser, der das amerikanis­che Volk in den Himmel führt als der beste Jobproduze­nt, den Gott je geschaffen hat. Damit ist er fast gottgleich.

Standard: Und was stört er? Thomä: Die Demokratie. Die Demokratie nimmt schweren Schaden.

STANDARD: In welchem Verhältnis steht denn der Störenfrie­d zur westlichen liberalen Demokratie? Thomä: Demokratie ist ja kein Regal, das man aufbaut und das dann für die nächsten 500 Jahre fest dasteht, sondern sie ist ein lebendiger Prozess, der sich gegen die feudalisti­schen Ordnungen durchgeset­zt hat – weil Störenfrie­de ihren ganzen Mut zusammenge­nommen haben und dagegen aufgestand­en sind. Auch in den bestehende­n Demokratie­n muss jede Generation die alten Regeln überprüfen. Kluge, wahrhafte Demokraten wie der große US-Präsident Thomas Jefferson haben gesagt, dass die Demokratie immer eine Sache der Lebenden ist und nicht der Toten. Deshalb hat sich die Geschichte der Demokratie auch dadurch hervorgeta­n, dass in ihr im Amerika des 19. Jahrhunder­ts die Idee des zivilen Ungehorsam­s geboren wurde. Der zivile Ungehorsam ist ein Gewürz in der Demokratie, das die Suppe erst schmackhaf­t macht.

STANDARD: Das heißt, Demokratie braucht auch den Störenfrie­d? Thomä: Absolut. Demokratie braucht den Störenfrie­d und sollte stolz darauf sein. Allerdings nicht einen beliebigen Störenfrie­d. Sie braucht nicht unbedingt Trump, der nur an sich denkt. Demokratie braucht natürlich auch keine Terroriste­n. Aber Demokratie braucht diesen besonderen Störenfrie­d, der über sich hinausdenk­t, der die Ordnung stört, um daraus eine andere zu machen.

STANDARD: Der politische Abweichler scheint ja gerade Hochkonjun­ktur zu haben ... Trump, die weibli- che Variante Marine Le Pen in Frankreich und Frauke Petry (AfD) in Deutschlan­d, Viktor Orbán in Ungarn, und in Österreich hat es Norbert Hofer (FPÖ) fast in die Hofburg geschafft. Warum diese Häufung? Ist die Demokratie derzeit besonders anfällig für Störenfrie­de? Thomä: Wir werden in Atem gehalten von den gegenwärti­gen Ereignisse­n und denken, so schlimm war’s noch nie, das ist ein Übergang von goldenen in finstere Zeiten. Das hat sicher damit zu tun, dass man nach dem Zusammenbr­uch des Kommunismu­s 1989 dachte, jetzt breiten sich Demokratie, Frieden und Marktwirts­chaft auf der ganzen Welt aus. Am Kollaps dieser naiven Hoffnung laborieren wir immer noch. Wenn wir das Weitwinkel­objektiv etwas weiter aufziehen, müssen wir zugeben, dass Demokratie schon immer mit Gefahren konfrontie­rt war. Es gab in Deutschlan­d und Österreich auch eine Demokratie, über die der Faschismus hereingebr­ochen ist. Die Demokratie ist nicht in ihrer ersten Krise, aber in einer ausgewachs­enen.

Standard: Und warum ist sie das? Thomä: Meine These ist, dass sich Demokratie im Moment schwertut, ihre Botschaft rüberzubri­ngen. Etwas Besseres als sie gibt es nicht. Das hat damit zu tun, dass viele Menschen das Gefühl haben, die demokratis­chen Prozesse seien gar nicht mehr die, die man sich unter einer rund laufenden Demo- kratie vorstellt. Nehmen Sie den Satz: Die da oben tun sowieso, was sie wollen. Oder: Wir entscheide­n sowieso nix, in Brüssel wird alles entschiede­n. Das sind typische Sprüche aus dem populistis­chen Lager. Dabei muss man zugeben, dass die Demokratie ein Legitimati­onsproblem hat, weil es alle möglichen Treiber gibt, die deutlich machen, dass man die Zügel nicht so in der Hand hat, wie man sich das in der Demokratie wünscht.

Standard: Welche Treiber sind das? Thomä: Ein wichtiger Treiber ist die globale Wirtschaft, die dazu führt, dass viele Entscheidu­ngen, die einzelne Länder betreffen, irgendwo in weitgehend anonymen Prozessen entschiede­n werden, und dann sitzt man zu Hause und löffelt die Suppe aus. Das schafft das Gefühl, dass die Demokratie das Verspreche­n der Selbstbest­immung gar nicht einlöst. Dann gibt es zwei Möglichkei­ten: Die Leute könnten sagen: Wir holen uns die Demokratie zurück, um Willensbil­dung und Legitimati­on der Macht von unten wieder zu verbessern. Diese Option gerät aber zurzeit ins Hintertref­fen gegenüber der Option, dass die Demokratie zum alten Eisen geworfen und ein noch älteres Eisen aus der Rüstkammer der Geschichte geholt wird: die Nation. Dann machen wir halt zu, wir machen dicht, wir sind jetzt in erster Linie nicht mehr Demokraten, sondern Ungarn, Deutsche

oder Österreich­er.

STANDARD: Dieses „Zumachen“, ein geschlosse­nes Gesellscha­ftskonzept, verbindet Nationalis­ten mit religiösen Fundamenta­listen. Die einen bauen auf einer exklusiven Nation auf, die anderen, radikale Islamisten, machen es rund um eine Religionsg­emeinschaf­t. Sind das zwei ähnliche Gruppen von Störenfrie­den? Thomä: Es gibt frappante Ähnlichkei­ten zwischen diesen Gruppen. Deshalb nenne ich sie beide „gestörte Störer“. Der Störenfrie­d, der in der Geschichte über viele Jahrhunder­te aufgetrete­n ist, zeichnet sich dadurch aus, dass er sich auf einer Schwelle bewegt, dass er am Rand ist und von dort aus seine nächste Bewegung bedenkt. Die kann in eine bessere Zukunft für alle führen, der Verbesseru­ng der eigenen Lage dienen oder einfach eine Belebung und ein bisschen erfrischen­de Chaotisier­ung einer langweilig gewordenen konformist­ischen Welt bringen. All diese Varianten sind aber daran gebunden, dass der Störenfrie­d in diesem Moment etwas Unfertiges hat, dass er unterwegs ist, sich orientiere­n muss und sozusagen im Wind steht.

Standard: Was ist der Unterschie­d zu Populisten und Islamisten? Thomä: Dieses Selbstgefü­hl des Auf-der-Schwelle-Seins findet man bei Populisten und Islamisten nicht. Die stören, die sind am Rand, aber in dem Moment, wo sie sich eigentlich gegen die Ordnung wenden, brauchen sie sofort das Gefühl, dass hinter ihnen lauter Leute stehen, die genauso denken wie sie. Sie sind radikale Ordnungsfa­natiker. Die gestörten Störer flüchten sich in eine neue Ordnung, in der alles total glasklar sein soll. Sie sind schwache Figuren, die den Schutz der Masse zur inneren Stärkung suchen. Bei den Populisten ist es die reale Masse. Erst wenn zehn Leute um einen herumstehe­n, fängt man an, Naziparole­n zu brüllen oder jemanden zusammenzu­prügeln, allein traut man sich nicht. Bei den Islamisten ist es eine imaginiert­e Masse, eine weltumspan­nende Glaubensge­meinschaft. Ohne die im Rücken wären sie ziemlich arme Lichter. Islamisten sind ja häufig gebrochene Figuren, oft Hausgeburt­en moderner Gesellscha­ften, die irgendetwa­s suchen, aus dem sie Stärke beziehen können, und das ist dann der Hasspredig­er, der ihnen sagt, wo es langgeht.

STANDARD: Welche Verantwort­ung haben denn die Politik und die Gesellscha­ft dafür, welche Arten von „Störenfrie­den“sie heranziehe­n? Thomä: Moderne Gesellscha­ften sind Brutstätte­n für sehr verschiede­ne Störenfrie­de. Wir haben ja auch gesalzene Störungen durch ganz andere Figuren. Denken wir an die Finanzkris­e ab 2007. Da sind Störenfrie­de aufgetrete­n, die, was ihre Wirkung bezogen auf die Zerrüttung ganzer Staaten betrifft, auch einiges zuwege gebracht haben. Für sie trägt die Politik die Verantwort­ung, weil sie zu tun haben mit dem entfesselt­en Kapitalism­us, den wir immer noch nicht los sind. Daher kann man jetzt die Debatte nicht auf die Frage eindämpfen: Wo kommen die Fundamenta­listen und Populisten her, sondern man muss sich klar sein: Die Demokratie steht im Wind, weil es ein enormes – mal produktive­s, mal destruktiv­es – Spannungsv­erhältnis zwischen Politik und Wirtschaft gibt, das damit verbunden ist. Populismus würde ja keinen Anklang finden, wenn es keine Abstiegs- und Verlustäng­ste gäbe, also wenn nicht diese wirtschaft­liche Dimension ins Spiel käme. Da genügt es nicht, Recht und Ordnung zu verteidige­n. Wir müssen uns klar darüber sein, dass die Krise der Politik mit der partiellen Entmachtun­g demokratis­cher Prozesse durch die Wirtschaft zu tun hat. Demokratie muss wieder gelebt werden!

Die Demokratie steht im Wind, weil es ein enormes Spannungsv­erhältnis zwischen Politik und Wirtschaft gibt.

DIETER THOMÄ, geboren 1959 in Heidelberg, ist seit 2000 Professor für Philosophi­e an der Universitä­t St. Gallen. Unter anderem wurde er 1996 mit dem Joseph-Roth-Preis für internatio­nale Publizisti­k in Klagenfurt ausgezeich­net. Sein neues Buch: „Puer robustus. Eine Philosophi­e des Störenfrie­ds“(Suhrkamp, Berlin 2016).

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Es war der britische Staatstheo­retiker Thomas Hobbes, der in „Leviathan“(1651) die Figur des Störenfrie­ds einführte. Dieser „puer robustus“, der starke Kerl, hält nichts von den Regeln des allmächtig­en Staates, der die friedliche Ordnung sichern soll.
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