Der Standard

„Bettelnder“Imam legt Jordaniens Plagen offen

Jordanien ist in großen wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten und von außen und innen von Radikalism­us bedroht. Die Predigt des höchsten islamische­n Richters legte für einen Moment die Verzweiflu­ng offen.

- Gudrun Harrer

ANALYSE: Amman/Wien – König Abdullah von Jordanien ist das erste arabische Staatsober­haupt, das seit dem Amtsantrit­t Donald Trumps – und zwar ab kommendem Montag – einen Besuch in den USA absolviert. Ob er den US-Präsidente­n treffen wird, war allerdings am Freitag noch offen. Amman, ein verlässlic­her Verbündete­r der USA in der Region, macht sich als Hüter des Tempelberg­s in Jerusalem – die islamische­n Stätten werden von Jordanien verwaltet – Sorgen wegen der zukünftige Nahostpoli­tik Trumps. Denn eine Empörungsu­nd Radikalisi­erungswell­e könnte an den Grundfeste­n des jordanisch­en Königreich­s rütteln.

Ein grelles Schlaglich­t fiel auf die Situation in Jordanien, als vor einer Woche der oberste islamische Richter und Imam des königliche­n Hofes, Ahmed Hilayel, eine hochemotio­nale Freitagspr­edigt hielt. Er beschrieb Jordanien als am Abgrund stehend und appelliert­e in Tränen an die Bevölkerun­g, ruhig zu halten – und an die Golfstaate­n, Jordanien zu Hilfe zu eilen: „Wo ist eurer Geld? Wo sind eure Reichtümer?“Wenn in Jordanien das Gleiche passiere wie in Syrien, würden alle mit dem Königreich stürzen, warnte der Geistliche.

„Unangemess­ene“Predigt

Die Predigt wurde in den Medien und von Parlamenta­riern als „höchst peinlich“, „unangemess­en“und „Betteln von der Kanzel“kritisiert: Dass das Problem – eine Überschuld­ung und eine zwar zugesagte, aber ausbleiben­de finanziell­e Unterstütz­ung vom Golf – tatsächlic­h existiert, bestritt je- doch niemand. Tatsache ist, dass auch Saudi-Arabien durch den niedrigen Ölpreis und seinen Krieg im Jemen sparen muss.

Zwei Tage nach seiner Rede trat der Imam von seinem Posten zurück beziehungs­weise musste zurücktret­en, wie es manche sehen. Hilayel hat jedoch eindeutig nur offen ausgesproc­hen, was alle sagen. Deshalb meinen manche, er könnte im Sinne, wenn nicht gar im Auftrag der jordanisch­en Führung gehandelt haben, die seine Worte als seine private Meinung hinstellte. Für März ist ein Treffen Abdullahs mit Saudi-Arabiens König Salman vorgesehen. Dafür war der mit bitteren Anschuldig­ungen gespickte Auftritt jedoch wohl eher kontraprod­uktiv.

Die Situation erinnert an das Jahr 1990, als das Königreich in solchen Schwierigk­eiten steckte, dass sich König Hussein gezwungen sah, sich an den Irak zu wenden – trotz dessen Invasion in Kuwait und mit hohen politische­n Kosten. König Abdullah hat jüngst seinen Premier für billiges Öl nach Bagdad geschickt, obwohl der Irak ja als zu Iran-freundlich keinen guten Ruf unter den Arabern hat.

Das Budgetdefi­zit Jordaniens, das riesige Flüchtling­smengen zu verkraften hat, beträgt 1,5 Milliarden USDollar, zudem gibt es hohe Auslandssc­hulden. Der letzte Haushalt sieht empfindlic­he Sparmaßnah­men vor, die bereits zu Preiserhöh­ungen und gerade am Tag der Predigt zu Demonstrat­ionen in Amman geführt haben. Dazu kommen vermehrte Infiltrati­onsversuch­e und Attacken des „Islamische­n Staats“(IS), der zwar momentan im Irak verliert, aber in Syrien sogar Gewinne verbuchen kann, die ihm den Weg nach Jordanien öffnen könnten. Am 18. Dezember wurden bei einem IS-Angriff in Karak elf Sicherheit­skräfte und drei Zivilisten, darunter eine kanadische Touristin, getötet.

Das Religionsm­inisterium entließ in der Folge fünfzehn Imame und bestrafte sieben, die sich geweigert hatten, an den nationalen Trauerfeie­rlichkeite­n für die Toten teilzunehm­en, berichtet Mamoon Alabbasi von Arab Weekly. Damit ist ein Finger in die Wunde gelegt. Radikale Islamisten haben im durch die Teilung des Völkerbund- mandats für Palästina nach dem Ersten Weltkrieg entstanden­en Staat – also für den IS eine kolonialis­tische Kreation – ein Potenzial.

Abdullah, der erst kurz vor dem Tod König Husseins 1999 Kronprinz wurde, ist es nicht gelungen, sich die hohe Beliebthei­t und Legitimati­on seines Vaters zu erarbeiten.

Mitte Jänner bildete König Abdullah, der wenig Macht abgibt, die Regierung um: Neben dem langjährig­en Außenminis­ter Nasser Judeh musste auch der Innenminis­ter sein Amt räumen. Mit Dissidenz wird in Jordanien streng umgegangen. Wegen ihrer Aktivitäte­n in sozialen Medien im Zusammenha­ng mit den Preiserhöh­ungen wurden bereits acht Personen wegen Hetze belangt, darunter ein General a. D. und ein Exparlamen­tarier.

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Beim Begräbnis eines der vierzehn Opfer – darunter eine kanadische Touristin – des IS-Angriffs in Karak am 18. Dezember.
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Foto: Youtube Der Imam appelliert­e an die „weisen Männer am Golf“.

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