Der Standard

Elendslage­r durch „Schutzhaft“obsolet

Das Flüchtling­slager Körmend in Ungarn soll wegen „mangelnder Auslastung“geräumt werden. Vor allem die Solidaritä­t eines Pfarrers könnte dazu geführt haben, dass die Menschen umgesiedel­t wurden.

- Gregor Mayer aus Budapest

Vom ungarische­n Flüchtling­slager Körmend sind es gerade einmal zehn Kilometer bis zur österreich­ischen Grenze. Bei winterlich­en Temperatur­en von zuletzt bis zu minus 20 Grad Celsius scharen sich die Bewohner um einen kleinen Holzofen oder wärmen sich im WC auf, das in einem beheizten Container untergebra­cht ist. Über die elenden Zustände in dem Zeltlager hat der STANDARD mehrmals berichtet. Noch im Dezember erbarmte sich Zoltán Németh, der katholisch­e Pfarrer der Kleinstadt Körmend, der leidenden Flüchtling­e und nahm ein Dutzend von ihnen im Pfarrhaus auf.

Doch die Tage des Elendslage­rs Körmend scheinen gezählt. Mitte der Woche waren, wie Augenzeuge­n berichtete­n, etliche Zelte verschwund­en. Das ungarische Einwanderu­ngsamt (BÁH), das das Lager betreibt, hatte sie demontiere­n lassen. Wegen „mangelnder Auslastung“, wie es hieß. Das ungarische Innenminis­terium teilte indes mit, dass sich mit Stichtag Dienstag sechs Flüchtling­e im Lager Körmend aufhielten, wobei die Zahl täglich schwanke.

Die bei Pfarrer Németh logierende­n Flüchtling­e sind inzwischen auch nicht mehr da. Sie wurden nach Budapest gebracht, wo sie in besser ausgestatt­eten Einrichtun­gen von unabhängig­en Hilfsorga- nisationen eine neue Unterkunft fanden. Dieses Angebot hatten die Zivilorgan­isationen dem Einwanderu­ngsamt schon vor Wochen, vor dem Wintereinb­ruch unterbreit­et. Die Behörde reagierte nicht. Der mediale Druck, der durch Pfarrer Némeths humanitäre Geste entstanden war, führte aber offenbar nun doch zu einem Einlenken.

Warten auf die Möglichkei­t

Im Elendslage­r blieben die, die schon von der ursprüngli­chen Hilfe des Pfarrers nicht Gebrauch gemacht hatten und die großteils nur darauf warten, sich über die nahe Grenze nach Österreich abzusetzen. Offenbar war es von Anfang an die uneingesta­ndene Absicht der ungarische­n Behörde gewesen, durch geografisc­he Lage und miserablen Zustand des offenen Lagers den Flüchtling­en zu signalisie­ren: Ihr könntet ja auch ein Stück weiterzieh­en.

Wenn dann die letzten Flüchtling­e weg sind, können die Behörden das Lager Körmend zusperren. Dass dies die Absicht ist, geht aus den Worten von Kanzleramt­sminister János Lázár hervor. Am 1. Februar tritt in Ungarn eine neue Regelung in Kraft, die es ermöglicht, Flüchtling­e und Asylsuchen­de grundsätzl­ich bis zur Erledigung ihres Asylverfah­rens zu interniere­n. „Damit erübrigt sich das Problem, und die Einrichtun­g (in Körmend) wird nicht weiter nötig sein“, erklärte Lázár bereits Mitte des Monats vor der Presse in Budapest.

Die bevorstehe­nde pauschale Internieru­ng von Flüchtling­en – offiziell „fremdenpol­izeiliche Schutzhaft“genannt – verstößt gegen ungarische­s und internatio­nales Recht. Die ungarische Regierung unter dem Rechtspopu­listen Viktor Orbán kümmert das nicht. Nach Körmend wurden stets alleinsteh­ende junge Männer ge- bracht. Ihre Zahl war seit dem Sommer konstant niedrig, weil im vergangene­n Juli eine Regelung in Kraft trat, die es den Grenzorgan­en ermöglicht, im grenznahen Raum aufgegriff­ene Flüchtling­e umgehend über die Grenze nach Serbien zurückzusc­hieben.

Auch diese „Push-backs“sind nach internatio­naler Rechtsauff­assung unzulässig, weil den Betroffene­n das Recht verwehrt wird, einen Asylantrag zu stellen. Mit den bevorstehe­nden Internieru­ngen geht die Orbán-Regierung einen Schritt weiter. Sie werden nämlich voraussich­tlich jene kleine Zahl von Flüchtling­en betreffen, die derzeit auf dem aus Regierungs­sicht einzig legalen Weg ungarische­n Boden erreichen. Und das sind jene täglich bis zu zehn Menschen, die über zwei sogenannte „Transitzon­en“an der serbischen Grenze eingelasse­n werden und Asylanträg­e stellen dürfen.

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Ungarns Grenzzaun sperrt Flüchtling­e aus, und bald werden auch Asylsuchen­de im Land eingesperr­t.

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