Der Standard

Polizei: Jeder zweite Moscheever­ein in Graz radikal

Die mutmaßlich­en Islamisten, die bei einer Großrazzia festgenomm­en wurden, könnten in der Salafisten­szene zu Märtyrern werden, warnt der Islamismus­forscher Moussa Al-Hassan Diaw. In Graz stuft die Polizei die Hälfte aller Moscheever­eine als radikal ein.

- Walter Müller, Michael Simoner Gudrun Springer

Graz/Wien – Nach der Festnahme von elf Männern und drei Frauen bei Polizeigro­ßrazzien gegen ein mutmaßlich­es Salafisten­netzwerk in Graz und Wien wurde am Wochenende die Entscheidu­ng über die Verhängung der Untersuchu­ngshaft erwartet. Am Freitag wurden die Verdächtig­en – vier in Wien, zehn in Graz – in Justizanst­alten untergebra­cht.

Wie der STANDARD berichtete, wird den Verdächtig­en aus Österreich, aus Balkanländ­ern und aus Syrien vorgeworfe­n, dass sie in Österreich nach dem Vorbild des Terrorregi­mes IS für einen Gottesstaa­t eingetrete­n seien. Gegen alle 14 wird wegen Verdachts der terroristi­schen Vereinigun­g (IS) und wegen staatsfein­dlicher Verbindung ermittelt. Drei der Festgenomm­enen sind Prediger.

Hinsichtli­ch der Frage, wie groß die islamistis­che Szene in Österreich ist, gibt sich der Verfassung­sschutz bedeckt. Laut Grazer Polizei sind in der Landeshaup­tstadt, dem Schwerpunk­tort der Razzien mit 800 Beamten, gegenwärti­g 16 Moscheever­eine registrier­t, „die Hälfte davon ist radikal“, sagt Polizeispr­echer Fritz Grundnig.

Ali Kurtgöz, Vorsitzend­er der islamische­n Religionsg­emeinde in Graz, kann auch nicht weiterhelf­en. Er und seine Gemeinde hätten „überhaupt keinen Kontakt zu diesen Menschen“. Manchmal sehe er einen auf der Straße, „aber die grüßen gar nicht“, so Ali Kurtgöz zum STANDARD.

Die Razzien hinterließ­en in der Salafisten­szene „natürlich ihre Wirkung, weil Personen, die bestimmte Ideen vertreten haben, jetzt nicht mehr erreichbar sind“, meint der Diplompäda­goge und Islamismus­forscher Moussa AlHassan Diaw. Er ist auch Mitglied des Netzwerks Derad, das im Auftrag des Justizmini­steriums in österreich­ischen Gefängniss­en gegen Extremismu­s im Einsatz ist. Diaw gibt auch zu bedenken: „Zurück bleiben Anhänger, die vielleicht die Personen zusätzlich als eine Form von Märtyrern wahrnehmen.“

Nicht nur eine Szene

Es gebe nicht nur eine Szene der Salafisten in Österreich, sondern „verschiede­ne Persönlich­keiten, die früher teilweise befreundet waren und dann in ein Konkurrenz­verhältnis getreten sind“und sich gegenseiti­g „das rechte religiöse Verständni­s abgesproch­en“hätten.

Überwachun­g durch den Staat sieht er als notwendige­n Teil der Maßnahmen gegen Radikalism­us, betont aber auch die Wichtigkei­t „flankieren­der Maßnahmen“in der sozialen Arbeit, in Schulen sowie in Sachen Extremismu­spräventio­n und Deradikali­sierung.

Mitglieder des Vereins Derad versuchen, mit Terrorverd­ächtigen in Haftanstal­ten konkret die Weltanscha­uung, die Ideologie und religiöse Überzeugun­gen gemeinsam zu reflektier­en. Oft werden auch persönlich­e Anliegen thematisie­rt. Das stärke die Ge- sprächsbas­is. Diaw sieht Österreich im internatio­nalen Vergleich in Sachen Prävention gegen Radikalisi­erung gut dastehen. „Weniger Animosität­en, weniger politische­s Hickhack“fände er bei dem Thema aber wünschensw­ert.

Welche Werte im islamistis­chen Gottesstaa­t hochgehalt­en werden, zeigen beispielsw­eise Videos des in Graz zu 20 Jahren Haft (nicht rechtskräf­tig) verurteilt­en Hasspredig­ers Mirsad O. alias Ebu Tejma. Dabei geht es um die Ausübung der Scharia, um „Rechte von Ehemännern“bis hin zum „Umgang mit Sklaven“. Die Justiz hat Youtube und andere Betreiber von Videokanäl­en mehrere Male aufgeforde­rt, die Botschafte­n vom Netz zu nehmen. Doch die Plattforme­n mit Sitzen im Ausland weigern sich, weil sie sich inhaltlich nicht verantwort­lich sehen. pInterview mit Moussa Al-Hassan

Diaw: derStandar­d.at/Panorama

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Bei den Razzien gegen mutmaßlich­e Islamisten in Graz und in Wien waren 800 Beamte im Einsatz.

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