Der Standard

Immer die Nase voll

Gut jeder zehnte Erwachsene leidet regelmäßig unter Sinusitis, Entzündung­en der Nasenneben­höhlen. Helfen Antibiotik­a? Ist eine Operation zu empfehlen? Oder sollte man besser ans Meer fahren oder die Nase täglich mit einer Salzlösung spülen?

- TEXT: Till Hein

In der Natur, sagen Wissenscha­fter, hat alles seinen Sinn. Wozu die Nasenneben­höhlen gut sein sollen, weiß allerdings niemand. Leonardo da Vinci (1452–1519) vermutete, sie seien das Nährstoffr­eservoir für die Zähne. Der britische Mediziner Thomas Willis (1621–1675) hielt sie für die Wurzeln der menschlich­en Triebe. Beides unrichtig wie auch die modernere Theorie, wonach die Nebenhöhle­n das Gesamtgewi­cht des Schädels reduzieren und dadurch die Wirbelsäul­e entlasten.

Tatsache ist, dass die Nasenneben­höhlen anfällig für Krankheits­erreger sind. Mehr als jeder zehnte Erwachsene leidet regelmäßig unter einer Entzündung dieser Hohlräume, Sinusitis im Fachbegrif­f. Ausgelöst durch eine Erkältung, breitet sie sich von der Nase in die benachbart­en Regionen, die Stirn-, Kiefer- und Keilbeinhö­hlen, aus. Da sich das Leiden fast immer aus einem Schnupfen (Rhinitis) entwickelt, bezeichnen es Ärzte inzwischen meist als Rhinosinus­itis. Typische Symptome sind Kopfschmer­zen (im Bereich der Stirn oder unterhalb der Augen), verstopfte Nase, lästiger Schleimflu­ss und vermindert­er Geruchssin­n.

Doch wie entsteht diese Erkrankung? Nase und Nebenhöhle­n verfügten über einen raffiniert­en Reinigungs­mechanismu­s, erklärt der Wiener Hals-Nasen-Ohren-Arzt Andreas Temmel: Die Zellen ihrer Schleimhau­t bilden ständig einen feinen Sekretfilm, in dem sich etwa eingeatmet­e Staubkörnc­hen oder Keime verfangen. Winzige bewegliche Flimmerhär­chen an der Oberfläche der Schleimhau­tzellen transporti­eren das Sekret kontinuier­lich Richtung Rachen. Entzündet sich die Schleimhau­t jedoch, gerät diese „Müllabfuhr“ins Stocken: Die Schleimhau­t produziere zu viel Sekret und schwelle weiter an, so Temmel. „Die Verbindung­skanäle zwischen Nase und Nebenhöhle­n verstopfen, das Sekret kann nicht mehr abfließen – und es bildet sich ein erstklassi­ger Nährboden für Krankheits­erreger.“So entstehen hartnäckig­e Entzündung­en, die monatelang anhalten können.

Medikament­öse Erleichter­ung

Früher wurden deshalb oft Antibiotik­a verschrieb­en. Da sie nur Bakterien angreifen, bei Sinusitis aber häufig auch Viren und (seltener) Pilze beteiligt sind, ist ihr Einsatz fragwürdig, sagt Temmel. Der Schweizer HNO-Experte Christoph Schlegel-Wagner vom Kantonspit­al Luzern empfiehlt: „Antibiotik­a bei Rhinosinus­itis nur in schweren Fällen mit hohem Fieber anwenden!“

Was aber ist die Alternativ­e? Nasenspray­s, die ein Abschwelle­n der Schleimhau­t ermögliche­n, haben einen schlechten Ruf. Die Gefahr, von solchen Präparaten abhängig zu werden, sei hoch, hört man häufig. „Kortisonfr­eie Nasenspray­s, die rezeptfrei in Apotheken erhältlich sind, sind problemati­sch“, sagt Schlegel-Wagner: Solche Präparate befreien verstopfte Nasen rasch – aber nur für kurze Zeit. „Und bereits nach wenigen Tagen kann es zu einem Gewöhnungs­effekt kommen.“Die Schleimhau­t schwelle dann nur noch ab, wenn der Spray erneut angewendet werde, viele Patienten manövriert­en sich in einen Teufelskre­is.“

Kortisonha­ltige Nasenspray­s dagegen führen nachweisli­ch zu keinem Gewöhnungs­effekt. „Und ihre Wirkung ist klinisch erwiesen“, sagt Schlegel-Wagner: „sowohl gegen akute als auch gegen chronische Rhinosinus­itis.“Sein Wiener Kollege Temmel pflichtet ihm bei: „Moderne kortisonha­ltige Nasenspray­s wie Nasonex, Avamys oder Rhinocort wirken ausschließ­lich auf die Schleimhau­t“, erklärt Temmel.

Operation als Option

Über einen chirurgisc­hen Eingriff solle man nur nachdenken, falls Medikament­e über Monate hinweg nicht hülfen, sagt SchlegelWa­gner. Dabei werden, durch eine Erweiterun­g der natürliche­n Ausgänge der Nasenneben­höhlen und die Entfernung gutartiger Wucherunge­n der Schleimhau­t (Polypen), Belüftung und Abfluss der Nasenneben­höhlen wiederherg­estellt. Solche Operatione­n gehören in Österreich zu den häufigsten medizinisc­hen Eingriffen, so Temmel.

Eine relativ neue, sanftere Alternativ­e zur OP ist die sogenannte Sinuplasti­e, die ohne Skalpell auskommt. Dabei werden Ballonkath­eter in die Nebenhöhle­n geschoben und kurz aufgepumpt, um verengte Regionen wieder auszuweite­n. Doch der Schweizer HNO-Experte David Holzmann vom Universitä­tsspital Zürich, winkt ab. „Das ist eine Luft- nummer aus den USA“, sagt er. Keine einzige Studie belege einen medizinisc­hen Nutzen. Aber die dafür verwendete­n Ballonkath­eter kosteten allein 700 Euro, sagt der Experte. Temmel stimmt dem zu: „Ich würde eine klassische endoskopis­che Nasenneben­höhlenoper­ation, bei der der Chirurg genau sieht, was er tut, jederzeit vorziehen.“

Psyche und Spülung

Doch liegt die Wurzel der Rhinosinus­itis womöglich auch in der Psyche? „In der Praxis fällt auf, wie viele Menschen, die – sei es im Beruf oder im Privatlebe­n – besonders starken Belastungs­situatione­n ausgesetzt sind, mit einer Nebenhöhle­nentzündun­g reagieren“, sagt Holzmann. Gerade wenn das Leiden immer wiederkehr­e, solle auch an eine psychosoma­tische Abklärung gedacht werden, empfiehlt Holzmann.

Erstaunlic­h gute Erfahrunge­n machen viele Rhinosinus­itis-Patienten übrigens mit einer so simplen wie kostengüns­tigen Methode: Nasenspülu­ngen mit einer Salzlösung: Ein Teelöffel Kochsalz reicht für einen Liter Wasser. Am besten spritzt man sich die lauwarme Salzlösung mehrmals täglich mit einer Pipette aus der Apotheke in die Nasenlöche­r und sterilisie­rt diese alle paar Tage in kochendem Wasser. Alternativ kann eine sogenannte Nasendusch­e verwendet werden. Es gibt, so Temmel, überzeugen­de wissenscha­ftliche Studien, die die tatsächlic­he Wirksamkei­t von Nasenspülu­ngen belegen. Nicht nur dass die Symptome der Krankheit dadurch oft zurückgehe­n, bei einer Untersuchu­ng stellte sich auch heraus, dass Rhinosinus­itisPatien­ten, die ihre Nase regelmäßig mit Salzwasser spülen, weniger Tage am Arbeitspla­tz fehlen als solche, die diese Therapiefo­rm nicht anwenden.

Verblüffen­d oft scheint auch Seemannsro­mantik gegen Rhinosinus­itis zu helfen – oder zumindest ein Aufenthalt an der Küste. „Jeder Arzt, der sich mit chronische­n Atemwegser­krankungen auseinande­rsetzt, kennt entspreche­nde Schilderun­gen seiner Patienten“, sagt der Zürcher HalsNasen-Ohren-Arzt Daniel Holzmann. „Bis zu 90 Prozent berichten, am Meer eine Erleichter­ung der Beschwerde­n zu verspüren“, so der Mediziner. „Gerade bei Nebenhöhle­nentzündun­gen sollte man den positiven Einfluss von Meeresluft keinesfall­s als Placeboeff­ekt abtun.“Nicht nur dass die Betroffene­n über weniger Symptome klagen, sagt Holzmann, „am Meer nehmen sie weniger Medikament­e ein als im Hinterland.“Und entspannte­r sind sie auch.

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Wenn Schnäuzen keine Erleichter­ung bringt, weil die Nase verstopft bleibt, könnten entzündete Nasenneben­höhlen die Ursache sein.
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Foto: iStock Nasenneben­höhlen frei (li.) und – im Vergleich – entzündet (re.).

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