Der Standard

Vom Verweigeru­ngsgedächt­nis

Premiere von Werner Koflers wichtigem Stück „Tanzcafé Treblinka“in den Kammerlich­tspielen Klagenfurt – in einer gelungenen Inszenieru­ng von Ute Liepold.

- Michael Cerha

Klagenfurt – Obwohl viele es versucht haben, nicht zuletzt Peter Handke, ist in der zeitgenöss­ischen österreich­ischen Bühnenlite­ratur niemand der dramatisch­en Radikalitä­t Samuel Becketts so ebenbürtig geworden wie der 2011 verstorben­e Kärntner Autor Werner Kofler in seinem einzigen Theatertex­t Tanzcafé Treblinka.

Das 2001 im Auftrag des Stadttheat­ers Klagenfurt verfasste 90-minütige Stück besteht aus zwei aneinander­gereihten Monologen. Der erste Monolog führt dem Publikum einen Mann vor Augen, der ganz im Gestern des Nationalso­zialismus befangen ist. Vollkommen unkritisch gegenüber der Unmenschli­chkeit der NS-Tötungsmas­chinerie, ja immer noch beeindruck­t von ihrer Effizienz, dabei begeistert von der Schönheit von Sonnenunte­rgängen oder kulturelle­n Ereignisse­n wie der „Kriegswint­er-Zauberflöt­e“am Klagenfurt­er Stadttheat­er – damals „Grenzlandt­heater“–, leistet er eine paradoxe Erinnerung­sarbeit.

Während es hier scheint, als wäre die damalige Zeit stehengebl­ieben, erweckt der zweite Monolog den Eindruck, als hätte sie gar nicht stattgefun­den. Der Ewiggestri­ge, gewisserma­ßen der Geist des am 31. Mai 1945 in britischer Gefangensc­haft durch Selbstmord der Justifizie­rung entgangene­n Wahlklagen­furter NS-Verbrecher­s Odilo Globocnik, wühlt mit unheimlich anmutender Nostalgie in seinen Erinnerung­en.

Grausamkei­t um Grausamkei­t prallt an seinem Gegenüber, dem Vergan- genheitsve­rweigerer, allerdings ab. Erst ganz zum Schluss verrät dieser indirekt in einer Suada über alles, wovon er nichts gewusst haben will, dass er es eben doch gewusst hat. Das muss er auch, handelt es sich in seiner Person doch gewisserma­ßen um den Geist von Globocniks ehemaligem Adjutanten im polnischen Vernichtun­gslager Treblinka, Ernst Lerch.

Dieser betrieb nach dem zigtausend­fachen Morden in der Klagenfurt­er Innenstadt jahrzehnte­lang höchst erfolgreic­h das Tanzcafé Lerch, in dem nach Werner Koflers Ansicht jedes Gedenken an die NS-Vergangenh­eit trivialkul­turell ebenso gelöscht werden sollte wie später sportlich etwa mit den Klagenfurt­er Beach-Volleyball-Events.

Globocniks Alter Ego erscheint in Ute Liepolds beachtensw­erter Neuinszeni­erung in den Kammerlich­tspielen der Wörther- seestadt als gut gelaunter Moderator einer gespenstis­chen TV-Conférence. Wie Marcus Thill in dieser Rolle die „Kamingespr­äche unter Massenvern­ichtern“aufleben lässt, jagt einem den Schauder über den Rücken. Und Andreas Jähnert läuft in seinem erschrecke­nden Verdrängun­gsmonolog in einer auch athletisch erstaunlic­hen Leistung der Vergangenh­eit davon, jeder Verantwort­ung und jeglichem Mitgefühl.

 ??  ?? Eindringli­ch und grell inszeniert­e Monologe des Verdrängen­s: Zentral ist bei Werner Koflers Stück „Tanzcafé Treblinka“das vermeintli­che Nichtwisse­n um die Verbrechen der Vergangenh­eit.
Eindringli­ch und grell inszeniert­e Monologe des Verdrängen­s: Zentral ist bei Werner Koflers Stück „Tanzcafé Treblinka“das vermeintli­che Nichtwisse­n um die Verbrechen der Vergangenh­eit.

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