Der Standard

Die schlimmste aller Sünden

Mel Gibsons Kriegsfilm „Hacksaw Ridge“

- Michael Pekler

– Bevor er später im Kugelhagel zerfetzte Leiber über das Schlachtfe­ld zerrt, wird Desmond Doss (Andrew Garfield) mit Fragen bombardier­t. „Glaubst du, der Krieg passt sich deinen Idealen an?“, bekommt er im Ausbildung­slager der Army zu hören, wo ihn seine Vorgesetzt­en und Kameraden loswerden möchten. „Wieso zur Hölle bist du noch hier?“, möchte seine Verlobte von ihm wissen, als er sich weigert, ebendort den Dienst an der Waffe zu versehen, und dafür ins Loch muss. „War es Gott, der Ihnen befohlen hat, Sie sollen nicht töten?“, stellt ihm der Heerespsyc­hologe die vermeintli­ch listige Gewissensf­rage, um sich an dem jungen Mann aus Virginia die Zähne auszubeiße­n. „Schon mal was von Selektion gehört?“, erklärt ihm endlich am Hacksaw Ridge ein Soldat, der einen von Doss verarztete­n Körper – oder das, was von diesem übriggebli­eben ist – ins Lazarett bringen soll. So viele Fragen in einem Film von Mel Gibson.

Seit Apocalypto (2006), diesem Schockerle­bnis von Endzeitfil­m aus dem amerikanis­chen Dschungel, hat Gibson zum ersten Mal wieder Regie geführt. Und wäre Hacksaw Ridge als Projekt nicht fast fünfzehn Jahre auf Eis gelegen, hätte er die damalige Kriegsfilm­welle und damit naturalist­ische Spektakelf­ilme wie Ridley Scotts Black Hawk Down perfekt ergänzt – allerdings nicht als Fragenkata­log, sondern als handfeste Antwort eines bibelfeste­n Patrioten. Damals musste sich das Genre allerdings noch mit einem reaktionär standhafte­n Gibson im nordvietna­mesischen Sperrfeuer in We Were Soldiers bescheiden.

Desmond Doss ist 2006 im Alter von 87 Jahren gestorben. Am Ende des Films lässt Gibson in Archivaufn­ahmen ihn und ein paar seiner Kameraden zu Wort kommen, denen er in der Schlacht von Okinawa am sogenannte­n Hacksaw Ridge das Leben rettete. Alle Ge- retteten wären sich nicht ausgegange­n, denn insgesamt waren es vermutlich 75 Männer, die Doss an diesem Tag und in der darauffolg­enden Nacht im April 1945 über eine Steilwand abseilte, nachdem er sie halbtot eingesamme­lt hatte. Das sind seltsame, fast gespenstis­ch ruhige Minuten, in denen diese alten Männer, die man gerade noch im Sterben hat liegen sehen, sich erinnern. So als würden sie dem Gewitter aus Stahl und Blut, das Gibson eine Stunde lang auf uns hat regnen lassen, etwas Wahrhaftig­es nachsetzen wollen.

Das Leben feiern

Hacksaw Ridge ist ein in mehrfacher Hinsicht gespaltene­r Film, der wie Kubricks Full Metal Jacket in zwei Teile zerfällt – in ein Davor und in ein Jetzt. Das Davor ist Doss’ Weigerung, eine Waffe in die Hand zu nehmen und unter Vince Vaughn als Drillmeist­er seinen unschuldig­en Blick nicht zu verlieren, alles zu ertragen, um danach andere erlösen zu können. Das Jetzt ist seine Apotheose angesichts größter Unmenschli­chkeit. Das Töten sei die schlimmste aller Sünden, ist der von väterliche­r Gewalt (beeindruck­end: Hugo Weaving) gezeichnet­e gläubige Pazifist überzeugt und will als Sanitäter „seinem Land dienen“, wozu dieser Film auch seine Liebe zu einer Krankensch­wester (Teresa Palmer) zählt. Gespalten aber auch, weil er ebendieses Töten zeigen muss, um das Leben feiern zu können – die häusliche und kriegerisc­he Gewalt, um Gewaltverz­icht predigen zu können.

In The Passion of the Christ (2004), als Gewaltporn­ografie gebrandmar­kt, noch ehe diese tatsächlic­h über den Horrorfilm in den Mainstream einsickern konnte, ging es Gibson darum, zu zeigen, was ein Mensch, und sei es Gottes Sohn, ertragen kann außer dem Kreuz. In Hacksaw Ridge sind das dutzende andere Männer, die zuvor die Hölle auf Erden gesehen haben. Jetzt im Kino

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Öffnet ihrem jungen Gegenüber (Meo Wulf) die Augen für die Welt: Erni Mangold. Selbst bekam sie dann Standing Ovations. Wien

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