Der Standard

Für Steuerentl­astungen, aber gegen Mogelpacku­ngen

Anmerkunge­n zur Debatte über die kalte Progressio­n

- Dénes Kucsera

Löhne und Gehälter werden jedes Jahr an die Inflation angepasst, damit keine Kaufkraft verlorenge­ht. Die Steuertari­fstufen und die Absetzbetr­äge aber nicht, was dazu führt, dass die Bürger mehr Steuer zahlen müssen und ihnen trotz Lohnsteige­rung real weniger bleibt. Diese sogenannte kalte Progressio­n wollen sowohl SPÖ als auch ÖVP abschaffen, sagen sie. Es geht um viel Geld: Wie die Dinge stehen, müssen die Lohnsteuer­zahler bis 2020 fast 1,8 Milliarden mehr bezahlen als das, was aufgrund des Steuersyst­ems eigentlich beabsichti­gt ist.

Beide Parteien schlagen vor, die Steuersätz­e an die Inflation anzupassen, wenn diese über mehrere Jahre zusammenge­rechnet fünf Prozent erreicht. Den Prognosen nach dauert das bis 2019 – die zusätzlich­e Belastung würde also noch einige Jahre bleiben. Zusätzlich möchte die SPÖ, dass die Bezieher geringer Einkommen mehr von dieser Entlastung profitiere­n, da sie von der Inflation stärker betroffen sind: Sie zahlen eher Mieten, die besonders stark gestiegen sind. Die Entlastung der Lohnsteuer­zahler wäre also ein Instrument für Umverteilu­ng.

Vielfache Umverteilu­ng

Umverteilu­ng ist für einen funktionie­renden Sozialstaa­t gut und wichtig. Sie erfolgt im Normalfall über das Steuersyst­em: Geringverd­iener zahlen weniger Lohnsteuer, Gutverdien­er mehr, so auch in Österreich. Das ist nachvollzi­ehbar und transparen­t. Tatsächlic­h findet Umverteilu­ng, und das ist problemati­sch, hierzuland­e noch über viele andere Wege statt: das Pensionssy­stem, die Wohnbauför­derung, diverse Gebührenbe­freiungen.

Nun die Eindämmung der kalten Progressio­n zu einem weiteren Instrument der Umverteilu­ng zu machen wäre ein Fehler. Erstens: Folgt man dem Argument, dass einzelne Gruppen von der Inflation unterschie­dlich betroffen sind, dann müsste man bei der Abschaffun­g der kalten Progressio­n auch zwischen Stadt und Land, Jüngeren und Älteren unterschei­den, dürfte auch hier Ungleiches nicht gleich behandeln.

Zweitens ist es kein Zufall, dass in keinem Land, das Gesetze gegen die kalte Progressio­n kennt, Gering- und Gutverdien­er unterschie­dlich behandelt werden. Schweiz, Schweden, Spanien oder die Niederland­e: Alle Lohnsteuer­zahler werden von der gesamten Mehrbelast­ung befreit, egal wie hoch sie im Einzelfall ist.

Zum Dritten: Viele Geringverd­iener zahlen ohnehin keine Lohnsteuer. Sie sind im Sinne des sozialen Ausgleichs von der kalten Progressio­n also gar nicht betroffen. Dass auch ihr Nettolohn deutlich geringer als der Bruttolohn ist, liegt an den Sozialvers­icherungsa­bgaben.

Will die Regierung mehr umverteile­n, dann sollte sie dies transparen­t über geänderte Steuersätz­e tun. Geschieht dies noch stärker als ohnehin schon über diese und jene isolierte Einzelmaßn­ahme, kann niemand abschätzen, wie sich das im Gesamten auswirkt – es entsteht ein intranspar­entes Durcheinan­der, dessen Ergebnis schwer absehbar ist.

Wie viel Umverteilu­ng es geben soll und wie sie genau umzusetzen ist, wird zu Recht immer wieder diskutiert werden. Die Eindämmung der kalten Progressio­n führt jedenfalls zu einer Entlastung aller Lohnsteuer­zahler, auch wenn es keine eigene Regelung für jene mit einem niedrigere­n Gehalt gibt. Diese Entlastung ist in Österreich überfällig. Aber sie ist kein geeigneter Weg, um für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen.

DÉNES KUCSERA ist Ökonom bei der Denkfabrik Agenda Austria. Zu seinen Arbeitssch­werpunkten zählen weiters Arbeitsmar­kt und Pensionssy­stem.

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