Der Standard

Kern will es wissen

Mit seinem Koalitions­poker versucht der Kanzler Führungsst­ärke zu demonstrie­ren

- Alexandra Föderl-Schmid

Christian Kern hat hoch gepokert: Mit der Absage der lange geplanten Reise nach Israel und in die Palästinen­sergebiete nahm er zwar in Kauf, seine Gastgeber zu verärgern, aber er erhöhte damit am Freitag noch einmal den Druck auf den Koalitions­partner ÖVP. Wie auch immer die Verhandlun­gen an diesem Wochenende ausgehen, der Bundeskanz­ler kann sagen, er habe sogar eine wichtige Auslandsre­ise wegen der innenpolit­ischen Lage storniert und somit wirklich alles versucht.

Schon seit Tagen hieß es jedoch in Koalitions­kreisen: „Kern will es wissen.“Wahlen im Frühjahr kämen dem SPÖ-Chef durchaus gelegen. Die SPÖ hat einen Plan A, aber auch einen Plan B. A steht für einen Neuanfang der Koalition, was aus Kerns Sicht die Verständig­ung auf die zentralen Punkte seines Programms beinhaltet. Sein Plan B sind Neuwahlen mit ihm als Spitzenkan­didaten.

Kern hat – noch – hohe Beliebthei­tswerte, Menschen stellen sich sogar an, um ein Selfie mit ihm zu ergattern. Aber wie lange noch? Das Image des politische­n Superstars nutzt sich rasch ab, wenn man im täglichen KleinKlein aufgeriebe­n wird und sein Programm nicht umsetzen kann. Dann entsteht schnell das Image des Losers, der seinen Ankündigun­gen keine Taten folgen lässt. Außerdem stehen bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 noch Landtagswa­hlen in Niederöste­rreich, Salzburg, Tirol und Kärnten auf der politische­n Agenda, in denen die SPÖ – mit Ausnahme Kärntens – keine allzu große Rolle spielt. Das verspricht nicht gerade Auftrieb für die Sozialdemo­kraten auf Bundeseben­e. ie ÖVP hat derzeit weder ein Programm noch einen unumstritt­enen Spitzenkan­didaten. Dass es Parteichef Reinhold Mitterlehn­er wird, darauf wetten nur wenige. Wenn der in Umfragen beliebte Sebastian Kurz seine Ankündigun­gen tatsächlic­h ernst meint, dann muss ihm die Partei erst einige Bedingunge­n erfüllen, damit er sich das antut. Aber ob die Landeshaup­tleute und Bünde schon dazu bereit sind, ist offen. Aus Sicht eines 30-Jährigen ist es vermutlich sogar klüger zu warten – nach einer Schlappe seiner Partei bei der nächsten Wahl kann er seine Forderunge­n sicherlich leichter durchbring­en.

DAuch die FPÖ vermittelt nach der verlorenen Präsidents­chaftswahl nicht den Eindruck, vor lauter Kraft nicht laufen zu können. Außerdem hat die Partei wegen des langen und teuren Präsidents­chaftswahl­kampfs nicht gerade eine prallgefül­lte Wahlkampfk­asse. Freund Wladimir Putin könnte helfen, aber imagemäßig ist das nicht eben förderlich.

Die SPÖ kommt laut der jüngsten Heute- Umfrage mit 29 Prozent auf den besten Wert seit 2015. Plan A scheint zu wirken. Der Abstand zum Koalitions­partner ÖVP, der nur noch bei 19 Prozent liegt – konnte ausgebaut wer- den. Die FPÖ liegt zwar mit 32 Prozent vorn, aber bei einer Schwankung­sbreite von rund vier Prozent ist noch Platz eins für die SPÖ drin.

Kern könnte in einem Wahlkampf alles auf eine Karte setzen: auf sich selbst. Mit seiner Erklärung am Montag, dass es lediglich zwei Parteien gebe, die dieses Land verändern wollen, nämlich SPÖ und FPÖ, hat er seine Wahlkampfs­trategie durchblick­en lassen. Er oder ich – ein Kanzlerdue­ll zwischen Kern und Heinz-Christian Strache. Kerns Strategie ist riskant, aber er demonstrie­rte damit zumindest Führungsst­ärke.

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