Kern will es wissen
Mit seinem Koalitionspoker versucht der Kanzler Führungsstärke zu demonstrieren
Christian Kern hat hoch gepokert: Mit der Absage der lange geplanten Reise nach Israel und in die Palästinensergebiete nahm er zwar in Kauf, seine Gastgeber zu verärgern, aber er erhöhte damit am Freitag noch einmal den Druck auf den Koalitionspartner ÖVP. Wie auch immer die Verhandlungen an diesem Wochenende ausgehen, der Bundeskanzler kann sagen, er habe sogar eine wichtige Auslandsreise wegen der innenpolitischen Lage storniert und somit wirklich alles versucht.
Schon seit Tagen hieß es jedoch in Koalitionskreisen: „Kern will es wissen.“Wahlen im Frühjahr kämen dem SPÖ-Chef durchaus gelegen. Die SPÖ hat einen Plan A, aber auch einen Plan B. A steht für einen Neuanfang der Koalition, was aus Kerns Sicht die Verständigung auf die zentralen Punkte seines Programms beinhaltet. Sein Plan B sind Neuwahlen mit ihm als Spitzenkandidaten.
Kern hat – noch – hohe Beliebtheitswerte, Menschen stellen sich sogar an, um ein Selfie mit ihm zu ergattern. Aber wie lange noch? Das Image des politischen Superstars nutzt sich rasch ab, wenn man im täglichen KleinKlein aufgerieben wird und sein Programm nicht umsetzen kann. Dann entsteht schnell das Image des Losers, der seinen Ankündigungen keine Taten folgen lässt. Außerdem stehen bis zum regulären Wahltermin im Herbst 2018 noch Landtagswahlen in Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Kärnten auf der politischen Agenda, in denen die SPÖ – mit Ausnahme Kärntens – keine allzu große Rolle spielt. Das verspricht nicht gerade Auftrieb für die Sozialdemokraten auf Bundesebene. ie ÖVP hat derzeit weder ein Programm noch einen unumstrittenen Spitzenkandidaten. Dass es Parteichef Reinhold Mitterlehner wird, darauf wetten nur wenige. Wenn der in Umfragen beliebte Sebastian Kurz seine Ankündigungen tatsächlich ernst meint, dann muss ihm die Partei erst einige Bedingungen erfüllen, damit er sich das antut. Aber ob die Landeshauptleute und Bünde schon dazu bereit sind, ist offen. Aus Sicht eines 30-Jährigen ist es vermutlich sogar klüger zu warten – nach einer Schlappe seiner Partei bei der nächsten Wahl kann er seine Forderungen sicherlich leichter durchbringen.
DAuch die FPÖ vermittelt nach der verlorenen Präsidentschaftswahl nicht den Eindruck, vor lauter Kraft nicht laufen zu können. Außerdem hat die Partei wegen des langen und teuren Präsidentschaftswahlkampfs nicht gerade eine prallgefüllte Wahlkampfkasse. Freund Wladimir Putin könnte helfen, aber imagemäßig ist das nicht eben förderlich.
Die SPÖ kommt laut der jüngsten Heute- Umfrage mit 29 Prozent auf den besten Wert seit 2015. Plan A scheint zu wirken. Der Abstand zum Koalitionspartner ÖVP, der nur noch bei 19 Prozent liegt – konnte ausgebaut wer- den. Die FPÖ liegt zwar mit 32 Prozent vorn, aber bei einer Schwankungsbreite von rund vier Prozent ist noch Platz eins für die SPÖ drin.
Kern könnte in einem Wahlkampf alles auf eine Karte setzen: auf sich selbst. Mit seiner Erklärung am Montag, dass es lediglich zwei Parteien gebe, die dieses Land verändern wollen, nämlich SPÖ und FPÖ, hat er seine Wahlkampfstrategie durchblicken lassen. Er oder ich – ein Kanzlerduell zwischen Kern und Heinz-Christian Strache. Kerns Strategie ist riskant, aber er demonstrierte damit zumindest Führungsstärke.