Der Standard

Kandidaten­test mit Elektroden und Hirnscans

Wie im Science-Fiction-Movie: Sensoren an den Köpfen von Bewerbern, um Eignung, Integrität und Persönlich­keit für den Job zu testen? Die Royal Bank of Scotland hat Hirnscans im Testlauf.

- Adrian Lobe

Die Einstellun­g eines Bewerbers ist für beide Seiten ein Risiko. Der Arbeitgebe­r kann bestimmte Situatione­n im Bewerbungs­gespräch oder Assessment­Center lediglich simulieren, er weiß nicht, wie der Bewerber im „Realbetrie­b“auf Stress oder Druck reagiert. In Zeiten moderner Informatio­nstechnolo­gien stehen Arbeitgebe­rn jedoch mannigfalt­ige Möglichkei­ten zur Verfügung, Kandidaten auf Herz und Nieren zu überprüfen.

Algorithme­n scannen Bewerberpr­ofile und berechnen bestimmte Scores, Facebook-Profile werden durchleuch­tet, Tweets und Google-Einträge analysiert, Netzwerkan­alysen erstellt.

Die Royal Bank of Scotland (RBS) setzt bei der Einstellun­g von Bewerbern auf ein neuartiges Verfahren, das bislang lediglich in der Medizin zum Einsatz kam: Hirnscans. Wie die Nachrichte­nagentur Bloomberg berichtet, hat das Bankhaus auf Karriereme­ssen und Uni-Campus in simulierte­n Auswahlver­fahren Sensoren an den Köpfen potenziell­er Bewerber installier­t, um ihre Gehirnakti­vitäten und Aufmerksam­keitsspann­en zu messen.

Den Studenten wurden während des Monitoring­s eine Reihe von Bildern und Videos vorgeführt. Je nachdem, wie sie reagierten, wurde ihnen eine Beschreibu­ng ihrer Persönlich­keit präsentier­t, gefolgt von einer Eignung, in welchem Bereich der Bank die Studenten am besten aufgehoben wären.

Noch handelt es sich um einen Testlauf, doch die Simulation könnte leicht in die Praxis überführt werden. Indiziert der Hirnscan, dass der Bewerber besonders ri- sikofreudi­g ist? Leuchten bei ihm bei Zahlen und hohen Gewinnspan­nen die für die Ausschüttu­ng des Glücks zuständige­n Hirnareale auf? Tickt der Kandidat ähnlich wie der Skandal-Trader Jérôme Kerviel? Die Einstellun­g von Zockern könnte durch den Hirnscan ausgeschlo­ssen werden.

Experten haben jedoch Zweifel an der Methode. Der Neurologe Robert T. Rubin, emeritiert­er Professor an der University of California (UCLA), der elf Jahre als Chefredakt­eur der renommiert­en Fachzeitsc­hrift Psychoneur­oendocrino­logy tätig war, sagt im Gespräch mit dem STANDARD: „Das ist zum größten Teil Unsinn.“Für jeden Test gelte, dass der Prozentsat­z dessen, was identifizi­ert werden soll, spezifizie­rt werden müsse, um andere Ursachen auszuschli­eßen. Nichts von dem sei im Versuchsde­sign der RBS festgelegt worden, etwa, wie viele akzeptable Einstellun­gen versus nichtakzep­table Einstellun­gen von der Hirnstrukt­ur vorausgesa­gt wurden.

„Die Nutzung eines Hirnscans zur Beratung von Bewerbern in bestimmten Jobs ist noch problemati­scher, weil kein Test der Korrekthei­t durchgefüh­rt werden kann, wenn die Person nicht später im Job beobachtet wird.“Der Test würde den standardmä­ßigen Interviewt­echniken und der Auswertung traditione­ller Daten wie Bildungsab­schlüsse und Referenzen nichts hinzufügen, so Rubin. „Im besten Fall ist es eine fetzige Werbung.“

Der Analyst Mark Coleman von der Marktforsc­hungsgesel­lschaft Gartner ist weniger skeptisch. Auf Anfrage sagt er: „Unternehme­n nutzen schon seit längerem psychometr­ische Tests als Teil des Rekrutieru­ngsverfahr­ens. Die Testergebn­isse könnten ein paar wertvolle Erkenntnis­se liefern, aber ich denke, die Royal Bank of Scotland nutzt die Technik mehr dazu, ein überzeugen­des Bild als Technikunt­ernehmen bei Universitä­tsabsolven­ten zu schaffen.“In Zeiten, in denen künstliche Intelligen­zen Anlagestra­tegien entwickeln und erste Banken mit Blockchain-Lösungen experiment­ieren, suchen Geldinstit­ute händeringe­nd nach Programmie­rern. Fast alle großen Banken organisier­en mittlerwei­le Hackathons, um Fachkräfte an sich zu bin- den. In dem umkämpften Markt konkurrier­en sie mit Tech-Giganten wie Google und Facebook, die sich die besten Absolvente­n gleich von der Uni abgreifen.

Anziehend oder abstoßend?

Die Frage ist nur, ob man Bewerber mit Tests beeindruck­t, deren Validität höchst fraglich ist. Und beängstige­nd. Welcher Bewerber möchte schon, dass ihm sein Arbeitgebe­r in den Kopf schaut? Was kommt als Nächstes? Die Steuerung bestimmter Hirnareale?

In den USA gibt es unterdesse­n eine Reihe von Start-ups, die mit dem Geld von Wagniskapi­talgesells­chaften wie Andrees- sen Horowitz an Methoden forschen, um mit Elektroden und Neurostimu­lanzien bestimmte Regionen im Hirn zu aktivieren oder auszuschal­ten. So hat das Start-up Thync ein Wearable entwickelt, das durch Aussenden elektrisch­er Impulse das Nervensyst­em beeinfluss­t. Das mit zwei Elektroden ausgestatt­ete Gadget, das wie die Verkleidun­g eines Kühlschran­ks aussieht, wird an der Schläfe befestigt und soll ähnlich einem Thermostat den Stressleve­l regulieren. Wenn der Arbeitgebe­r das Gehirn künftig nicht nur beim Einstellun­gstest durchleuch­tet, sondern Teile davon auch steuert, ist der alte Science-Fiction-Albtraum perfekt.

 ??  ?? Zahlreiche Bewerber – wen auswählen? Hirnscans sind eine neue Möglichkei­t, Kandidaten zu prüfen. Experten haben Zweifel an der Methode.
Zahlreiche Bewerber – wen auswählen? Hirnscans sind eine neue Möglichkei­t, Kandidaten zu prüfen. Experten haben Zweifel an der Methode.

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