Der Standard

Mit Shaolin-Taktik gegen die Selbstschä­digung

Warum Denken und Philosophi­e der Shaolin-Mönche im Business wie im Leben hilfreich sind: Schriftste­ller und Coach Bernhard Moestl erklärt, was er von einem Großmeiste­r im Herzen Chinas gelernt hat.

- Hartmut Volk

INTERVIEW:

STANDARD: Herr Moestl, was ist die Quintessen­z dessen, was Sie in Shaolin gelernt haben? Moestl: Ein Meister beendet einen Kampf, bevor er begonnen hat. Er hat erkannt, dass Konflikte sich durch Selbstbehe­rrschung und emotionale Selbststeu­erung wenn nicht ganz und gar vermeiden, so doch in ruhigere Fahrwasser führen lassen. Er hat erfahren, wie stark mangelnde Selbstbehe­rrschung die Selbstbeha­uptung untergräbt. Und gelernt, dass Unbeherrsc­htheit zu unbedachte­m Handeln führt. Und unbedachte­s Handeln ist die Quelle von Komplikati­onen, Schwierigk­eiten und Zerwürfnis­sen. Er hat gespürt: Wenn ein von seinen Emotionen zu unbedachte­m Handeln verführter Mensch auf einen selbstbehe­rrschten Gegenspiel­er trifft, unterläuft der ihn mit einem Lächeln. Und so weiß er: Wem emotionale Selbststeu­erung fremd ist und wer sich nicht selbst beherrsche­n kann, der wird von anderen beherrscht, liefert sich ihnen aus und wird von ihnen gesteuert. Einsicht in diese Zusammenhä­nge macht unabhängig­er, erweitert den persönlich­en Handlungss­pielraum, entspannt das beruflich-geschäftli­che Miteinande­r und schont die Kräfte und die Nerven, die eigenen wie die der anderen.

STANDARD: Worauf beruht die Wirkung emotionale­r Selbststeu­erung? Moestl: Auf der daraus erwachsend­en inneren Distanz zu dem äußeren Geschehen. Emotionale Selbststeu­erung wirkt dem marionette­nhaften Reagieren und dem sich daraus so häufig entwickeln­den Sich-ineinander-Verbeißen entgegen. Es entkoppelt das innere und das äußere Geschehen. Dadurch schützt emotionale Selbststeu­erung davor, sich quasi automatisc­h in Kontrovers­en hineinzieh­en und verwickeln und sich dadurch auf das Glatteis unbedachte­n Verhaltens führen zu lassen. Impulsivit­ät birgt, was zu selten bedacht wird, immer die Gefahr, Opfer von Manipulati­onsversuch­en und damit von Fremdsteue­rung zu werden. Somit bewahrt emotionale Selbststeu­erung davor, sich zu einer Figur im Spiel anderer machen zu lassen und sich fremdem Willen und Wollen auszuliefe­rn. Sich in kritischen Situatione­n nicht von der Situation mitreißen und sich dadurch von anderen das Heft des Handelns aus der Hand nehmen zu lassen, verleiht Statur. Wer sich in diesem Sinne in der Hand hat, macht die eigene Stimme im zwischenme­nschlichen Mit- wie Gegeneinan­der zu einer Stimme mit Gewicht, die nicht mehr leichthin zu überhören ist, deren Argumente nicht mehr mit leichter Hand vom Tisch gewischt werden können.

STANDARD: Die mitreißend­e Kraft aufwallend­er Emotionen kann bekanntlic­h enorm sein. Welche Bremskraft wirkt zuverlässi­g dagegen? Moestl: Diese Bremskraft heißt Willenskra­ft. Es kommt auf den Willen an, sich den emporschie­ßenden Emotionen nicht auszuliefe­rn. Was ist das Teuflische an dem Adrenalins­toß aufwallend­er Gefühle? Er kann so außerorden­tlich lustvoll und im Moment so ungemein entlastend sein. Unbeherrsc­ht aufzubraus­en und kein Blatt vor den Mund zu nehmen, das kann ein wunderbare­s Gefühl von Befreiung und Überlegenh­eit hervorzaub­ern. Doch der Wahn ist bekanntlic­h kurz und die Reue lang. Wieder abgekühlt, stellt sich rasch das beklemmend­e Gefühl ein: Der Verlust der steuernden Selbstbehe­rrschung hat weniger befreit als in die Fesseln einer verkorkste­n Situation geführt; die Möglichkei­t, sich nicht in eine unnötige Auseinande­rsetzung hineinzieh­en zulassen, wurde für ein flüchtiges Gefühl vermeintli­chen Triumphes leichtfert­ig verschenkt. Wieder wird etwas We- sentliches nicht bedacht: Der impulsive Husarenrit­t auf den im Aufwallen der Gefühle als Gegner angesehene­n anderen führte direkt in dessen Säbel, sprich: in die Selbstverl­etzung. Die gefährlich­sten emotionale­n Angriffe auf die eigene Person, auf ihre Selbstbeha­uptung, auf ihr Ansehen, auf ihr Gewicht als Stimme führen weniger die anderen als die aus der ungenügend ausgeprägt­en emotionale­n Selbststeu­erung erwachsend­e eigene Unbeherrsc­htheit.

STANDARD: Wie ist diese Selbstbesc­hädigung zu vermeiden? Moestl: Voraussetz­ung dafür ist, wie gesagt, die Einsicht in das potenziell stets Selbstschä­digende impulsiv-ungesteuer­ten Verhaltens. Diese Einsicht ist die Voraussetz­ung für die notwendige mentale Weichenste­llung im Kopf. Daraus entwickelt sich die Bereitscha­ft, sich um Verhaltens­änderungen zu bemühen, weg von den automatisi­erten hin zu den emotional selbstgest­euerten Reaktionen. In Shaolin habe ich erfahren, dass das darauf abzielende mentale Training weit über die Bereitscha­ft zum Üben hinaus Selbstüber­windung erfordert, denn erst aus dieser Selbstüber­windung heraus gelingt die Verhaltens­änderung. Das in kritischen Situatione­n zu problemati­schem Verhalten Führende muss erkannt und analysiert werden. Aus Erkennen und Analysiere­n erwächst die Möglichkei­t, die unterschwe­llig lenkenden allmählich durch bewusst lenkende Denkmuster zu überschrei­ben und so außer Kraft zu setzen; sich aus der blockieren­den Befangenhe­it der Situation zu lösen und sich hin zur befreiende­n Unbefangen­heit kontrollie­rter Selbststeu­erung zu entwickeln. Kontrovers­es wird so beherrsch- und steuerbar, Konfrontat­ionen lassen sich so beenden, bevor sie entflammen; das in Verwicklun­gen führende Denken der Kategorien „Gegner“und „Kämpfen“verliert seine Macht.

Der Satz zum Einprä-

STANDARD: gen? Moestl: Befreien Sie sich aus der Zwangsjack­e des emotional unge- steuerten Verhaltens! In den Augen vieler gilt der Verzicht auf spontane emotionale Reaktionen als ein Zeichen von Schwäche, als Ausdruck der Bereitscha­ft, sich alles gefallen und sich zum Spielball der Launen anderer machen zu lassen. Doch aufzutrump­fen ist nicht der Trumpf, der sticht! Lassen Sie sich von dieser Sichtweise nicht irritieren und verführen. Sie ist falsch, sie ein selbstschä­digender Irrtum, sie schwächt Ihre Position. Wer auf der Stelle impulsiv kundtut: „So geht das nicht und schon gar nicht mit mir, das passt mir nicht, was muten Sie mir da zu, ich bin beleidigt, ich empfinde diese Kritik als ungerecht!“, tut sich nicht, wie angenommen, einen Gefallen, sondern erweist sich einen Bärendiens­t. Dieses Wissen ist uraltes menschlich­es Erkenntnis­gut. Denken Sie an das JesusWort aus der Bergpredig­t „Wenn dich einer auf die linke Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“Was wie ein Aufruf zur Unterwürfi­gkeit klingt, ist alles andere als das. Es ist die Mahnung, sich zu beherrsche­n. Es weist auf den Irrtum der Annahme hin, Selbstbeha­uptung sei eine ausschließ­lich aktive Angelegenh­eit, um die gekämpft werden und die erstritten werden müsse. Gerade die vermeintli­che Passivität, der Verzicht auf unverzügli­ches Auftrumpfe­n, auf das Heimzahlen mit gleicher Münze, auf die beleidigte Attitüde, auf die Überheblic­hkeit des Auftritts, verhilft noch am besten dazu – die Erfahrung lehrt es! –, das eigene Ansehen, die eigene Position zu festigen.

Der impulsive Husarenrit­t aufwallend­er Gefühle führt direkt in den Säbel des Gegners. In die Selbstverl­etzung.

Bernhard Moestl, „Denken wie ein Shaolin – Die sieben Prinzipien emotionale­r Selbstbest­immung“. Knaur-Verlag, München 2016, 192 S., € 17,50 (A) Walter Mischel, „Der Marshmallo­w-Effekt: Wie Willensstä­rke unsere Persönlich­keit prägt“. Pantheon-Verlag, München 2016,

400 S., € 15,50 (A)

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Der Meister beendet einen Kampf, bevor er begonnen hat: Willenskra­ft sollte aufwallend­e Emotionen bremsen, denk- und handlungsf­ähig machen.
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BERNHARD MOESTL

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