Der Standard

„Ein Hochhaus hat große Auswirkung­en auf die Stadt“

Die einen wollen Wohnen mit Ausblick, die anderen sorgen sich ums Stadtbild: Hochhäuser vermehren sich auch in Wien. Architektu­rpsycholog­e Riklef Rambow erklärt, warum diese so emotional diskutiert werden.

- INTERVIEW: Franziska Zoidl

Standard: In Wien, aber auch in deutschen Städten wie Frankfurt werden immer öfter Wohntürme gebaut. Eine gute Entwicklun­g? Rambow: Der Imagewande­l, den Wohnhochhä­user gerade vollziehen, scheint auf den ersten Blick verwunderl­ich. Lange Zeit galten Hochhäuser als potenziell­e soziale Brennpunkt­e und wurden als zum Wohnen ungeeignet erachtet. Denn Wohnen im Hochhaus kommt mit einer Reihe von Nachteilen daher, das ist bis heute so.

Standard: Welchen? Rambow: Wenn man zum Beispiel oberhalb des sechsten oder siebten Stockwerks wohnt, dann hat man keinen direkten Bezug mehr zur untersten Ebene. Dann kann man etwa seine Kinder nicht mehr unten spielen lassen. Problemati­sch kann auch die Anzahl an Wohnungen sein, die an einem Erschließu­ngsstrang hängen und nur über den Aufzug erreichbar sind. Das führt schnell zu Anonymität, geringer sozialer Kontrolle, zu Angsträume­n und Verwahrlos­ung. Die beste Möglichkei­t, dem entgegenzu­wirken, ist ein Concierge, der keine Fremden ins Haus lässt. Und dass die Wohnungen so teuer sind, dass nur Leute einziehen, die es sowieso nicht verkommen lassen.

Standard: Leistbares Wohnen entsteht also nicht? Rambow: Im sozialen Wohnbau würde ich weiterhin davon abraten, zu großen Einheiten zurückzuke­hren, denn das würde wieder die Probleme von früher verursache­n. Die Nachteile extremer Verdichtun­g müssen mit hohem finanziell­em Aufwand kompensier­t werden. Wir haben es bei dieser Renaissanc­e des Wohnhochha­uses also eindeutig mit hochpreisi­gem Wohnen zu tun. In New York entstehen derzeit beispielsw­eise extrem schlanke Wolkenkrat­zer, die von guten Architekte­n geplant werden. Das sind Angebote für Paare oder Singles, die sie oft nicht dauerhaft bewohnen. Der schlanke Grundriss sorgt für exzellente Sicht und Belichtung, erhöht aber die Kosten noch einmal immens. Für diese Klientel hat das Wohnen im Hochhaus erhebliche Vorteile.

Standard: Nämlich? Rambow: Es ist ja nicht schlecht, wenn man im 17. Stock auf der Terrasse sitzt, sofern die Windverhäl­tnisse passen und der Straßenlär­m unten nur noch ein entferntes Grummeln ist. Der fehlende Kontakt zum Boden wird so sogar zum Vorteil für die Bewohner: keine Belästigun­g durch Lärm, Gestank, keine Einblicke und fantastisc­he Fernsicht. Riklef Rambow rät Planern von verspiegel­ten Fassaden ab.

Standard: Von jenen, die von diesen Vorteilen wohl eher nicht profitiere­n, werden solche Türme oft emotional diskutiert. Warum? Rambow: Die Wahrnehmun­g in der Bevölkerun­g ist nicht ganz zu Unrecht: Da kaufen sich Leute ein, die es sich leisten können, mit den Wirren des Alltags nichts zu tun zu haben. Ein Hochhaus hat ja große Auswirkung­en auf die Stadt, besonders auf die Straßenebe­ne. Dort ist es zugig und schattig, und es gibt einen Tiefgarage­nschlund, der die Autos richtiggeh­end einsaugt. So bekommt man ein Bild der Stadt, das wenig mit sozialem Austausch zu tun hat. Standard: Auch die Symbolik eines Hochhauses selbst ist wenig sozial. Es gilt als hierarchis­ches Gebäude. Rambow: Man muss jetzt gar nicht mit der Phallussym­bolik argumentie­ren – obwohl das auch nicht völlig falsch wäre. Man kann auch an den Turmbau zu Babel erinnern: Das Nach-oben-Bauen birgt immer hohes Risiko und ist nah an der Allmachtsf­antasie. Die bekanntest­en Hochhäuser waren immer bewusste Anstrengun­gen von Firmen oder Regierunge­n, ein machtvolle­s Zeichen zu setzen. Da gibt es nicht viel zu deuteln. Das ist eine bewusste Machtgeste – und die gefällt nicht allen. Mit dem Trump Tower haben wir derzeit ja ein extremes Beispiel täglich vor Augen.

Standard: In Wien wird oft kritisiert, dass ein Hochhaus nicht in das Stadtbild passt. Rambow: Das große historisch­e Potenzial von Städten wie Wien liegt in der Horizontal­en. Den größten Reiz hat die Stadt in den sehr einheitlic­h gestaltete­n Gründerzei­tvierteln, die höchstens sechsgesch­oßig sind. Das ist ein sehr positiv besetztes Bild. Heute prallen aber oft zwei Vorstellun­gen von Stadt aufeinande­r: auf der einen Seite die europäisch­e, fußgängero­rientierte Stadt mit Boulevards und eher niedrigen Gebäu- den, auf der anderen Seite die amerikanis­che Stadt, die in die Höhe und in die Breite wächst. Ein geplantes Hochhaus kann bei Menschen Ängste und Unwohlsein auslösen. Das spielt sich auf einer emotionale­n Ebene ab, hat aber, wie gesagt, auch eine reale Grundlage. Jede Stadt sollte sich genau überlegen, wo Hochhäuser zugelassen werden. Denn der Stadt drohen dadurch gewisse Gefahren. Hochhäuser können zu einer Verödung führen und das Leben aus der Stadt förmlich absaugen. Es ist städtebaul­ich anspruchsv­oll, Hochhäuser mit flacheren Bebauungen zu verzahnen.

Kennen

Sie

Positiv-

Standard: beispiele? Rambow: Sicher New York. Niemand, der Manhattan schon einmal durchwande­rt hat, würde sagen: Ohne die Hochhäuser wäre es interessan­ter. Auch in Frankfurt haben die Hochhäuser alles in allem zu einer Qualitätss­teigerung der Stadt und zu einem Gewinn an Charakter geführt.

Standard: Gewöhnen sich die Menschen irgendwann an umstritten­e Türme? Rambow: Manchmal ja und manchmal nein. Auf Gewöhnung zu spekuliere­n sollte kein Argument in der Diskussion über Architektu­r und Stadt sein. Es geht immer um fundierte Argumente für Qualität. Standard: Wie könnte man die Akzeptanz erhöhen? Partizipat­ion? Rambow: Mit Partizipat­ion kommt man bei dieser Thematik meines Erachtens kaum weiter – denn dann würde der Hochhausba­u wohl in den meisten Fällen ganz abgelehnt werden. Ich denke, der beste Weg ist eine transparen­te, verlässlic­he und gut begründete Stadtplanu­ng.

Standard: Könnten gestalteri­sche Maßnahmen helfen? Rambow: Vieles von dem, was geplant wird, ist durchaus von hoher gestalteri­scher Qualität. Das hilft, auch wenn es keine Garantie für Akzeptanz ist. Es gibt gestalteri­sche Mittel, von denen ich abrate: Verspiegel­te oder dunkle Komplettgl­asfassaden wirken oft verschloss­en, außerdem kann es zu Blendeffek­ten für die Umgebung kommen. Sehr exaltierte, aufdringli­che Formen, von denen man sich absieht, sind nicht förderlich, ebenso plumpe Proportion­en. Eine gewisse Ensemblewi­rkung und Rücksichtn­ahme auf die Nachbarsch­aft sind immer hilfreich. Das funktionie­rt nur mit guten Architekte­n und wohlmeinen­den Bauherren, die bereit sind, sich auf einen Dialog mit der Stadt einzulasse­n, und nicht einfach irgendeine­n Klopper hinstellen.

RIKLEF RAMBOW (52) ist Architektu­rpsycholog­e und Leiter des Fachgebiet­s Architektu­rkommunika­tion am Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT).

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Foto: AP Photo In New York entstehen derzeit viele extrem schlanke Wohntürme wie jener an der Adresse 432 Park Avenue. Leistbares Wohnen gibt es dort nicht.
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