LESERSTIMME
Wohldosierter Ärger
Betrifft: „Religion, sie gehört in die Öffentlichkeit!“von Maria Katharina Moser und „Schwimmunterricht als lebenslanges Trauma“von Rotraud Perner der Standard, 17. und 19. 1. 2017 Es gibt keine autorisierte Form und keinen legitimen Anspruch, sich gesellschaftspolitisch auf einen Gott oder eine Religion zu berufen. Deshalb verursachten mir die kürzlich veröffentlichten Kommentare zweier evangelischer Theologinnen (wohldosierten) Ärger:
Maria Katharina Moser forderte Religionsausübung in der Öffentlichkeit, und Rotraud Perner fühlt sich in zu vielen verschiedenen Bereichen kompetent, um es wirklich sein zu können. Das zeigt vor allem die Aufgeregtheit, mit der sie ein „lebenslanges Trauma“bei muslimischen Mädchen diagnostiziert, die am gemischten Schwimmunterricht teilnehmen.
Maria Moser stellt zu Recht fest, dass der demokratische Staat keine religiöse Option privilegieren dürfe, übersieht jedoch, dass dies schon durch die Auswahl „an- erkannter“Glaubensgemeinschaften geschieht. Viel mehr aber noch durch die fortwährende, großzügige staatliche Finanzierung, zu der auch die vielen säkularen Steuerzahler gezwungen sind, die diese Millionen lieber und besser bei Wissenschaft und Kunst aufgehoben sähen als in theologischen Fakultäten und einem Religionsunterricht in Grundschulen.
Frau Moser plädiert für einen „aufgeklärten Zugang zur Religion“und merkt nicht, dass sich Konfessionen der Aufklärung entziehen. Im Bildungssystem kann Religion in den narrativen Bereichen der Kulturgeschichte durchaus Platz finden, bei den Archetypen und Mythen. Denn Mythen behaupten nicht, die Wahrheit zu sein. Sie bilden auf fantasievolle Weise Einsichten in psychische Zustände ab.
Und natürlich darf in der Geschichte die unrühmliche Abfolge der Religionen nicht fehlen: die monströsen Verfolgungen, Völkermorde und kriegerische Auseinandersetzungen „im Namen Gottes“– bis in die Gegenwart. Die Indoktrination von Glau- bensinhalten und Dogmen in öffentlichen Bildungsanstalten widerspricht unserem demokratischen Anspruch, denn jede Religion postuliert, im Besitz der Wahrheit zu sein. Und das ist nicht mehr zumutbar.
Vielen Menschen ist auch unbegreiflich, dass sich die eklatante Benachteiligung der Frau, z. B. in der katholischen Kirche, immer noch keiner politischen Verantwortung stellen muss.
Religion mag für Gläubige Heimat, Brauchtum oder eine Liebhaberei sein, die sie sich, wenn ihnen daran liegt, schon auch selber finanzieren sollten. Leo Prothmann
5020 Salzburg