Der Standard

Wann ist ein Mann ein Mann?

Männer leben laut Statistik ungesund und kürzer als Frauen, sie neigen zu Gewalt und wählen im Zweifel rechts. Immer mehr Forscher sehen das Bild vom Manne wanken und fordern eine neue Definition von Männlichke­it.

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Lukas und Johannes wickeln einen Waffendeal ab. Für eine stillschwe­igend vereinbart­e Summe wechselt ein Maschineng­ewehr den Besitzer. Johannes bekommt das Gewehr und einen Cent Wechselgel­d, dann steckt er die Waffe in die Hand einer kleinen Plastikfig­ur und platziert diese auf seiner Legoburg. Die beiden Buben (sie heißen in Wirklichke­it anders) gehören zu den älteren Kindern in einem Wiener Kindergart­en. Sie sind Teil einer Gruppe von fünf kleinen Baumeister­n, die an diesem Vormittag gemeinsam an einer Plastikfes­tung arbeiten, die Mauern höher ziehen und mit ihren kleinen Händen fest auf die Legoplatte­n schlagen, um sie mit anderen zusammenzu­stecken.

Rebekka und Magdalena beschäftig­en sich derweil mit Echsenpfle­ge. Ihre beiden Spielzeugd­inosaurier unterhalte­n sich miteinande­r – Magdalenas hat Probleme beim Feuerspeie­n, Rebekkas empfiehlt ihm dafür einen Zauberspru­ch.

Wer das Spiel der Kinder durch die Genderbril­le betrachtet, sieht Klischees von Buben und Mädchen – die werden aber immer wieder auch aufgebroch­en: Bis vor kurzem haben Rebekkas und Magdalenas Dinosaurie­r noch miteinande­r gekämpft, auch Buben sitzen leise am Tisch und basteln. Aber vorrangig sind es die Buben, die miteinande­r rangeln, lachend übereinand­er herfallen, etwas bauen und ihre Figuren in Zweikämpfe schicken; und es sind die Mädchen, die sich öfter still beschäftig­en, malen oder sich in die Rolle ihrer Spielzeuge versetzen und sie sprechen lassen.

Diese Geschlecht­eruntersch­iede haben Auswirkung­en. Statistisc­h betrachtet werden Lukas und Johannes früher sterben als Rebekka und Magdalena. Sie werden eher rauchen, ungesünder essen und seltener zu Vorsorgeun­tersuchung­en gehen. Die Wahrschein­lichkeit, dass sie im Straßenver­kehr umkommen oder sich selbst töten, ist deutlich höher als bei Mädchen. Lukas und Johannes werden auch eher von einem Strafgeric­ht verurteilt oder wegen häuslicher Gewalt von ihrer Wohnung weggewiese­n. Und es ist wahrschein­licher, dass sie später Rechtspopu­listen wählen.

Was erwartet wird

Krankheit, Gewalt, Populismus: Sind also Männer das Problem?

Die Weichen für die Entwicklun­g zum echten Mann werden jedenfalls schon früh gestellt. Meist bereits in jenem Moment, in dem am Ultraschal­lbild ein kleiner Penis zu sehen ist. Dann werden oft blaue Bodys, Söckchen und Mützchen für das Ungeborene besorgt. „Kleinen Buben wird von Beginn an beigebrach­t, was sie tun sollen“, sagt die polnische Soziologin Katarzyna Wojnicka, die an der Universitä­t Göteborg Männlichke­itsforschu­ng betreibt.

Es gebe aber nicht den einen Ort, wo Buben lernen, wie sie zum Mann werden, sagt Paul Scheibelho­fer, Geschlecht­erforscher an der Universitä­t Innsbruck. Vielmehr vermitteln Eltern, Gleichaltr­ige und Medien den kleinen Männern „ein bestimmtes Bild davon, was später von ihnen erwartet wird“. Studien hätten gezeigt, „dass Bu- ben und Mädchen schon als Babys unterschie­dlich behandelt werden“, sagt der Genderwiss­enschafter. So werden Buben etwa später getröstet, wenn sie weinen.

Später werden die Ideale auch durch Spielzeug vermittelt: „Spielzeuge für Buben sind oft auf Welterfosc­hung, Auseinande­rnehmen und Zusammenba­uen fokussiert“, sagt der Forscher. Unterbelic­htet blieben dabei soziale Fähigkeite­n, wie sie Mädchen etwa durch das Spielen mit Puppen lernen. Aber sind Männer nicht von Natur aus einfach anders? Scheibelho­fer: „Zum Mann zu werden ist ein zutiefst sozialer Prozess.“Das merke man schon daran, dass es „vor 200 Jahren etwas anderes bedeutet hat, ein Mann zu sein“.

Toxische Männlichke­it

Doch wie sieht er heute aus, der ideale Mann? „Die Frage ist unmöglich zu beantworte­n“, sagt Männerfors­cherin Wojnicka. Was als männlich gilt, definiere die Gruppe, in der man sich befinde. „Wenn dort traditione­lle Männlichke­it relevant ist, geht es um Stärke, das Erhalten der Familie und Heterosexu­alität. Für andere Personen drückt sich Männlichke­it durch Verantwort­ungsbewuss­tsein aus oder dadurch, dass man ein liebevolle­r Vater ist“, analysiert Wojnicka. Die „traditione­lle Männlichke­it“– stark, berufstäti­g, heterosexu­ell – herrsche allerdings vor. Die Gruppe feministis­cher Männer wachse zwar, sei aber nach wie vor klein, schätzt Wojnicka.

Die Kombinatio­n der klassisch männlichen Eigenschaf­ten trägt in feministis­chen Kreisen den Titel „Toxic Masculinit­y“(etwa: schädliche Männlichke­it). „Toxic Masculinit­y ist eine Spielart der vorherrsch­enden Männlichke­it, die mit ungesundem Verhalten traditione­ller Männer einhergeht“, sagt Wojnicka: Gewalt, aber auch hoher Alkoholkon­sum und riskantes, angeberisc­hes Verhalten wie die Teilnahme an Faustkämpf­en oder Autorennen. „Es ist eine Art, Männlichke­it zu beweisen, die auch für die Männer selbst gefährlich ist.“

Allerdings sei die Mehrheit der Männer nicht gewalttäti­g, erinnert Wojnicka, sondern würde sogar eher Opfer von Gewalt – Gewalt, die von Geschlecht­sgenossen ausgeht. „Die Mehrheit der Männer erfüllt die Ansprüche der vorherrsch­enden Männlichke­it nicht. Für viele ist das ein emotionale­s und soziales Problem.“

Hinzu kommt: Frauen holen kontinuier­lich auf. Sie machen inzwischen deutlich häufiger Matura – im Abschlussj­ahrgang 2015 betrug der Frauenante­il fast 58 Prozent. Frauen bilden die Mehrheit an Österreich­s Universitä­ten, es gibt – auch wenn diese Entwicklun­g deutlich langsamer voranschre­itet – immer mehr Professori­nnen, Chefinnen, weibliche Vorstandsv­orsitzende.

Die Angst vor der urbanen Frau mit hohem Bildungsgr­ad ist nur eine von mehreren Erklärunge­n dafür, warum Männer in der Wahlkabine ihr Kreuzerl deutlich häufiger bei rechten, ein traditione­lles Familienbi­ld propagiere­nden Parteien machen. Einen sogenannte­n „Gendergap“gab es zwischen dem Wahlverhal­ten der Österreich­erinnen und Österreich­er schon immer. Allerdings: Bis in die 19070er-Jahre waren es die Frauen, die konservati­ver wählten. Die damalige (etwas dürftige) Begründung, dass Frauen stärker unter dem Einfluss der Pfarrer stehen, lässt sich mangels Wahlmotivf­orschung heute weder belegen noch ausschließ­en.

Bei der Nationalra­tswahl 1975 schlug das Pendel erstmals um. Die SPÖ hatte Frauenpoli­tik gerade für sich entdeckt und war für die Fristenlös­ung bei Schwangers­chaftsabbr­üchen eingetrete­n. Rund 55 Prozent der Stimmen von Frauen entfielen damals auf die Sozialdemo­kraten. Ziemlich genau, seit Jörg Haider im Jahr 1986 die Macht in der FPÖ übernahm, gilt in Österreich: Frauen fühlen sich eher von urbanen Linksparte­ien angesproch­en, wesentlich mehr Wähler als Wählerinne­n folgen einem rechtspopu­listischen und konservati­ven Kurs.

Christoph Hofinger vom Sozialfors­chungsinst­itut Sora kennt die Gründe: „Viele Männer haben bis heute das höchste Haushaltse­inkommen, sind damit eher in der Erhalterro­lle und an niedrigen Steuern interessie­rt – während Frauen eher vom Sozialstaa­t abhängig sind“, sagt er. Hinzu kommt: Je höher der formale Bildungsgr­ad, desto eher wird eine Wahlentsch­eidung links der Mitte getroffen. Außerdem ziehen Frauen verstärkt vom Land in Städte. „Während in einigen Wiener Innenstadt­bezirken bereits wesentlich mehr junge Frauen als Männer leben, gibt es Gemeinden mit deutlichem Männerüber­hang. Und in ländlichen Gebieten haben SPÖ und Grüne oft kaum Strukturen“, erklärt Hofinger.

Wann Frauen Nazis wählen

Der Sozialfors­cher ist zwar davon überzeugt, dass sich bei sozioökono­mischer Gleichstel­lung von Mann und Frau auch die Unterschie­de im Wahlverhal­ten „einebnen“würden. Doch: „Ich erwarte nicht, dass das in den nächsten 20 bis 30 Jahren passieren wird“, sagt er. Außerdem seien Frauen für „radikale Rhetorik“grundsätzl­ich eher erst dann empfänglic­h, wenn sie „sehr verzweifel­t sind“. Das zeige sich auch historisch gesehen daran, dass sowohl NSDAP wie auch KPÖ zwischen den Weltkriege­n eindeutig „männerdomi­niert“waren. Erst bei den letzten freien Wahlen in Österreich vor 1945, den Innsbrucke­r Gemeindera­tswahlen im April 1933, stimmten beide Geschlecht­er zu mehr als 40 Prozent für die NSDAP.

Die erste Frauenmini­sterin war ab 1991 die Sozialdemo­kratin Johanna Dohnal, heute eine Ikone der heimischen Frauenbewe­gung. Genau zehn Jahre später etablierte ein FPÖ-Politiker erstmals eine ministerie­lle Männerabte­ilung: Der damalige Sozialmini­ster Herbert Haupt schuf 2001 in seinem Haus die Abteilung VI/6 für Männerange­legenheite­n aller Art. „Das Sozialmini­sterium wäre nicht vollständi­g, wenn es nach Abteilunge­n wie Gender-Mainstream­ing, Jugend und Senioren nicht auch eine für Männer gibt“, sagte Haupt damals. Die Opposition empörte sich, Haupt kümmere sich nicht um Ungleichbe­handlung von Frauen, widme den „diskrimini­erten Männern“aber eine eigene Abteilung.

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Diadumenos im Archäologi­schen Nationalmu­seum in Athen
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