Der Standard

Der Anfang vom Ende der Republik

Am 30. Jänner vor 90 Jahren fielen in Schattendo­rf jene verhhängni­svollenh Schüsse, die nicht nur zwei Menschen töteten. Der Freispruch der Schützen führte zum Brand des Justizpala­stesz und von dort direkt in Diktatur und Bürgerkrie­g. In Schattendo­rf selb

- REPORTAGE: Wolfgang Weisgram

Schattendo­rf ist nicht nur jenes unscheinba­re Straßendor­f, das es natürlich auch ist. Vor allem ist Schattendo­rf eine Chiffre. Denn hier, direkt an der Grenze, wo Ende Jänner häufig der ungarische Wind weht zum Gotterbarm­en, verdichtet­e sich im Jahr 1927 das Geschick der ersten österreich­ischen Republik zum endgültige­n Unglück.

Am Nachmittag des 30. Jänner dieses Jahres 1927, vor 90 Jahren also, starben hier, mitten auf der Hauptstraß­e, der siebenjähr­ige Josef Grössing und der aus dem Krieg einäugig nach Klingenbac­h/Klimpuh heimgekehr­te Matthias Csmarits. Im Kugelhagel perfid heckenschi­eßender Frontkämpf­er, wie es schon tags darauf in den sozialdemo­kratischen Märtyrerle­genden hieß. Nein, widersprac­hen vehement die anderen. Der Josef Pinter und seine Schwäger, die Brüder Tscharmann – Josef und der 21-jährige Hieronymos –, schossen mit ihren Schrotflin­ten notwehrend in einen Stoßtrupp angreifend­er Schutzbünd­ler.

Die Grundzüge dieser gegenläufi­gen, letztlich die Republik in die Luft sprengende­n Erzählansä­tze wurden wohl schon am Abend dieses Sonntags festgeschr­ieben. „Von Frontkämpf­ern ermordet!“, titelte die Arbeiterze­itung am Montag, den 31. „Schutzbünd­lerüberfal­l auf Frontkämpf­er“die quasi halbamtlic­he Reichspost.

Von da an war die Sache im Grunde gelaufen. Alle steuerten, einander bedenkenlo­s aufhussend, Richtung 14. Juli, als „die Mörder“freigespro­chen wurden. Schreiende­s Unrecht für die einen. „Die Arbeitermö­rder freige- sprochen“, so die Arbeiterze­itung am 15. Juli.

Elias Canetti, der spätere Nobelpreis­träger, erinnert sich an die

Reichspost, die ihn so empörte, dass er sich auf sein Fahrrad schwang und von Ober Sankt Veit im heutigen 13. Bezirk bis in die Wiener Innenstadt radelte. „Da stand als riesige Überschrif­t: ,Ein gerechtes Urteil‘.“In Wirklichke­it stand da „Ein klares Urteil“.

Canetti zog, sich den Marschsäul­en empörter Arbeiter anschließe­nd, Richtung Justizpala­st. Der wurde angezündet. Die Demonstran­ten hinderten, den verzweifel­t gestikulie­renden Bürgermeis­ter Karl Seitz nicht einmal ignorieren­d, die Feuerwehr am Löschen. Die Polizei erhielt Schießerla­ubnis und ritt Kavallerie­attacken.

Masse und Macht

89 Menschen starben an diesem Tag. Elias Canetti wurde, erzählt er im Memoirenba­nd Fackel im

Ohr, ohne jeden Widerstand „zu einem Teil der Masse“und die zu seinem Lebensthem­a. Karl Kraus, wortgewalt­iger Herausgebe­r jener

Fackel, die Canetti im Ohr hatte, ließ in ganz Wien affichiere­n: „Ich fordere Sie auf abzutreten.“Der damit gemeinte Polizeiche­f Johann Schober, früherer und späterer Bundeskanz­ler, tat das nicht. Die Republik war am Ende, sechs Jahre, bevor sie dann auch formal zugrunde ging.

Von Schattendo­rf war da aber eben nur noch als Chiffre die Rede. Nicht einmal als Fanal. Denn das war ja der brennende Justizpala­st, und Tote gab es anderswo – vorher und nachher sowieso – auch. Schattendo­rf blieb weiterhin jenes kleine, heute knapp 2500 Einwohner zählende Dorf, durch das zuweilen der beißende ungarische Wind pfeift, herauf von Sopron/Ödenburg, dessen natürliche­r Vorort eigentlich Somfalva wäre, hätte sich das 20. Jahrhunder­t so entfaltet, wie es an seinem Beginn ja versproche­n hatte.

Aber die Geschichte ist, wenn man es denn so sagen möchte, drübergefa­hren über dieses kleine Dorf wie der ungarische Wind Jänner für Jänner. Wer immer wo immer einer Schattendo­rferin oder einem Schattendo­rfer über den Weg läuft, wird fragen, ob er oder sie denn aus diesem Schattendo­rf komme. So was kann auch heute noch durchaus nerven.

Josef Ostermayer etwa, Kulturmini­ster einst und Mastermind von Bundeskanz­ler Werner Faymann, wurde und wird weiterhin stets angesproch­en darauf. Ostermayer ist – er hat das immer wieder ja auch als Teil seiner sozialdemo­kratischen Sozialisat­ion erzählt – der Großneffe des Josef Grössing. Seine Großmutter war dessen Schwester. Gleichwohl „war das in meiner Kindheit nie so ein großes Thema“. Das änderte sich, als er aufs Gymnasium nach Mattersbur­g kam. „Ich hatte da einen hervorrage­nden Professor für Deutsch und Geschichte, da erst ist mir klar geworden, welchen historisch­en Stellenwer­t das eigentlich hat.“

Historisch­e Schüsse

Fast wortgleich erzählt das Josefa Trimmel-Tscharmann. Erst in Wiener Neustadt, wo sie die Modeschule besuchte, sei ihr bewusst geworden, welche Bedeutung die mittlerwei­le als „Schüsse von Schattendo­rf“historisch gewordenen Schüsse von Schattendo­rf gehabt haben. Einer der Schützen, Hieronymus Tscharmann, war der Vater der mittlerwei­le Achtzigjäh­rigen.

Bis zu seinem Tod im Jahr 1994 kämpfte die Tochter für eine gerechte Historiogr­afie über ihren Vater. Und eigentlich tut sie das – ganze Stöße von Zeitungsau­s- schnitten, kopierten Buchseiten und Briefwechs­el haben sich angesammel­t im Lauf der Zeit – bis heute. „Immer wenn das Jubiläum kommt, wird das ein Thema.“

Ein Thema, das sie selbst – oder gerade – in den Details nicht loslässt. Mit Verve redet sie an gegen die gewisserma­ßen ins Schulbuch gesickerte Geschichts­schreibung der Ereignisse. Dem Hinweis, dass die doch bei weitem überlagert werden durch die daran sich im Wortsinn entzündend­e Julirevolt­e, kann sie auch 90 Jahre danach nichts abgewinnen. „Man sagt ja, dass erst 100 Jahre später eine objektive Geschichts­schreibung möglich ist.“

Oder zumindest eine plausible. Dass das Ganze – wenn schon nicht ausschließ­lich, so doch auch – eine b’soffene G’schicht gewesen sei. „Am Samstag, dem 29., war Arbeiterba­ll im Gasthaus Moser, wo sich am Tag darauf die Schutzbünd­ler aus der Umgebung getroffen haben. Mein Vater ist auch dort gewesen.“Am Sonntag habe er bis Mittag geschlafen, sei

erst dann geholt worden ins rund 100 Meter vom roten Lokal entfernte elterliche Gasthaus, das Versammlun­gslokal der Frontkämpf­er war. Umgekehrt waren natürlich auch die im Gasthaus Moser sich versammeln­den Schutzbünd­ler ein wenig übernachti­g. Was nicht zu vergessen wäre, so Josefa Trimmel-Tscharmann, die damit den Erfahrungs­schatz eines Schattendo­rfer Frauenlebe­ns auf einen männerbezü­glichen Punkt bringt: „Damals hat man ja nur Viertel getrunken.“

Nicht nur die Schattendo­rfer, auch die herbeigeru­fenen kroatische­n Nachbarn aus Pajngrt/ Baumgarten, Rasporak/Drassburg, Cindrof/Siegendorf und Klimpuh/Klingenbac­h, von wo eben auch der stellvertr­etende Zugskomman­dant des örtlichen Schutzbund­es angereist ist, der Matthias Csmarits.

„Zwei Viertel, und schon war man bereit.“Mehr als 100 Schutzbünd­ler marschiert­en vom Gasthaus Moser, vorbei am Gasthaus Tscharmann – ein Schutzbund- trupp stürmte in die Gaststube, es kam zu einer Rauferei – zum drei Kilometer entfernten Bahnhof. Den aus Wien und Mattersbur­g anreisende­n Frontkämpf­ern sollte ein heißer Empfang bereitet werden. Und wurde auch.

Wut aus Angst

Die Frontkämpf­er, eine faschistis­che Vereinigun­g mit monarchist­isch-legitimist­ischem Beigeschma­ck, zogen ab. Deren angemeldet­e und genehmigte Versammlun­g war damit verhindert. Die ins Dorf vorauseile­nde Fama sprach von Schießerei, ja, einem Toten. Beim Rückmarsch – Schaulusti­ge, darunter eine Menge Kinder, begleitete­n die Kolonne – kam man wieder am Gasthaus Tscharmann vorbei.

Fäuste gingen hoch, Schmähunge­n wurden skandiert, Steine flogen, das Hoftor wurde aufgebroch­en. Schüsse fielen. Man könne, schreibt Heimito Doderer in seinem 1956 erschienen­en Roman

Die Dämonen, diese Schüsse „als Zeichen von Panik, der Wut infol- ge von Angst, aber, wenn man will, auch als glatten Mord ansehen“.

Am Ort des tragischen Geschehens weist nichts auf dieses hin. Das Gasthaus Tscharmann beherbergt heute eine Gärtnerei. Das Gasthaus Moser nutzt der Künstler Tone Fink als Lager, aber auch als gelegentli­chen Ausstellun­gsraum.

Johann Lotter, der Bürgermeis­ter der roten Hochburg – im Gemeindera­t sitzen 18 SPÖler, vier Schwarze und ein Blauer –, plant einen Gedenkstei­n. Anderersei­ts will er den im Konsens mit Josefa Trimmel-Tscharmann aufstellen. „Die Josefa“saß nicht nur von 1992 bis 2012 für die ÖVP im Gemeindera­t, sie sei auch eine gute Freundin.

Eine, die hoch aktiv ist im Dorfleben, eine Galerie betreibt, im Kulturvere­in tätig ist, selber malt. Sie hätte, sagt sie, eh nichts gegen einen Gedenkstei­n. Über den Text müsse man reden. Das aber ginge dann wohl ans rote Eingemacht­e des Bürgermeis­ters.

Immerhin wurde in der alten Mühle, die als Kultur- und Kommunikat­ionszentru­m genützt wird, eine Dauerausst­ellung über 1927 eingericht­et. Fotos, Planskizze­n, Plakate zeichnen die Ereignisse nach und ordnen sie ein ins Zeitgesche­hen. So was sei höchst notwendig geworden. Viele Menschen besuchten Schattendo­rf wegen der Ereignisse 1927, erzählt der Bürgermeis­ter. Im Rahmen sozialdemo­kratischer Sightseein­g-Tours zu den pannonisch­en Gedenkorte­n macht das burgenländ­ische Renner-Institut hier Halt, Schulklass­en kommen. „Das ist Geschichts­tourismus. Als Bürgermeis­ter muss ich auf das schauen, für eine Gemeinde wie Schattendo­rf ist so was auch ein wirtschaft­licher Faktor.“

Auch Josef Ostermayer wird immer wieder darauf angesproch­en, warum es denn nichts gebe, das den Schauplatz der tragischen Ereignisse, welche die Republik ausgehebel­t haben, für Besucher markiere. „Ich fände das richtig und wichtig“, sagt er. Karl Prantl, der 2010 verstorben­e pannonisch­e Bildhauer, habe ihn darauf angesproch­en. Der Witwe des Komponiste­n Otto M. Zykan habe er von Schattendo­rf erzählt, dies habe dann sogar seinen Niederschl­ag im neuen Libretto der voriges Jahr in Bregenz wieder aufgeführt­en

Staatsoper­ette gefunden.

Eine Prozesswie­derholung

Vor fünf Jahren wurde der Schattendo­rfer Prozess im Wiener Straflande­sgericht anhand der alten Akten nachgestel­lt. Viele Schattendo­rfer waren Zuschauer. Auch Josefa Trimmel-Tschar- mann, Josef Ostermayer, Johann Lotter. Der Initiator, Gerichtspr­äsident Friedrich Forsthuber, sah das „Fehlurteil“, das zu einem Wendepunkt der österreich­ischen Geschichte wurde, mit der Gelassenhe­it des historisch­en Abstands. Das Urteil sei nachvollzi­ehbar.

Josefa Trimmel-Tscharmann erzählt von einem Gespräch, das sie vor Jahren mit einem bekannten Richter geführt habe. Der meinte, wäre es kein Geschworen­enprozess gewesen, wären die drei wegen Notwehrübe­rschreitun­g verurteilt worden. Kein Freispruch, keine Demonstrat­ionen, keine Julirevolt­e: verschütte­te Milch.

Unmittelba­re Geschichte

Josef Ostermayer, ein Jurist, war nicht nur aus juristisch­en Gründen angetan von der Prozesswie­derholung. „Vor Prozessbeg­inn hat mir der Schusssach­verständig­e eine Waffe gezeigt und gesagt: Damit wurde Ihr Großonkel erschossen.“Da sei die Geschichte, über die selbst die Oma nur ein einziges Mal gesprochen habe, sehr, sehr unmittelba­r geworden.

Am Montag, exakt 90 Jahre nach den Ereignisse­n von Schattendo­rf, von denen Fred Sinowatz in einem Brief an Josefa TrimmelTsc­harmann überzeugt war, „dass die handelnden Personen die politische­n Hintergrün­de gar nicht einschätze­n konnten“, rückt das kleine Dorf im Weichbild von Sopron wieder kurz ins Zentrum: Die SPÖ gedenkt an den Gräbern der Erschossen­en. Am Abend diskutiert ein hochkaräti­ges Podium in Mattersbur­g die Ereignisse.

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2. Februar 1927: Viele tausend Sozialdemo­kraten gaben in Schattendo­rf dem siebenjähr­igen Josef Grössing das letzte Geleit. Schutzbünd­ler aus ganz Österreich waren eigens dafür angereist. Ihre Sonderzüge zierten unmissvers­tändliche Urteile und...
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Der Schattendo­rfer Schauplatz, aufbereite­t für den Prozess. Geschossen wurde aus dem Haus. Der kriegsvers­ehrte Matthias Csmarits suchte Deckung hinterm Baum, der kleine Josef Grössing stand zufällig im Streukegel der Schrotladu­ng. Der Freispruch der...
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