Ein roter Sieg, aber viel schwarze Genugtuung
Dem gemeinsamen Pressefoyer zum Koalitionspakt gingen bange Minuten voraus: Im letzten Moment setzte der Innenminister seinen Namen unter das Konvolut – und erhob neue Bedingungen.
Von der Anzugfarbe bis zum Zunicken scheint am Montag um Punkt 14 Uhr endlich wieder alles aufeinander abgestimmt: Zu diesem Zeitpunkt treten Kanzler Christian Kern und sein Vize Reinhold Mitterlehner am Ballhausplatz, beide in Dunkelblau und mit betont zuvorkommenden Gesten, vor die Medien, um ihr runderneuertes Regierungsprogramm zu präsentieren.
„Es ging darum, hier klar Schiff zu machen“, sagt der SPÖ-Chef – und das sei in fünf Tagen gelungen. Der ÖVP-Obmann, beim Pressefoyer im Kanzleramt an Kerns Seite in den letzten Monaten sehr selten zugelassen, versicherte, dass die Koalition von nun an angesichts der vielen gemeinsamen Ergebnisse „nicht mehr gleichzeitig Opposition spielen“werde.
Auf drei Dutzend Seiten haben Rot und Schwarz ihre Vorhaben – für den Arbeitsmarkt bis zur Zuwanderung – festgeschrieben. Im Kanzleramt reden Kern und Mitterlehner eine halbe Stunde lang davon, wo sie sich überall „commited“haben und was künftig regelmäßig zwischen den beiden Regierungshälften „reportet“werden soll, damit man sich gegenseitig weniger in die Quere kommt.
Konsensualer Auftritt
Kein Wort mehr davon, was SPÖ und ÖVP einander in den letzten fünf Tagen und Nächten davor alles angetan haben: Der Kanzler stellte Ultimaten. Mitterlehners Innenminister drohte, seine Unterschrift unter dem neuen Pakt zu verweigern. Und nicht nur in Hintergrundgesprächen unterstellten einander beide Seiten immer wieder Obstruktion.
Deswegen gingen am Montag dem fast synchron anmutenden Auftritt von Kern und Mitterlehner noch sehr lange bange Minuten voraus. Erst zu Mittag, vor dem eilig einberufenen Sonderministerrrat, hatte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) erklärt, doch seinen Namen unter das gesamte 36-seitige Konvolut zu setzen – und nicht, wie angedroht, nur unter den von ihm paktierten Teil zum Komplex Sicherheit. Das Begehren von Kern hatte Sobokta zuletzt gar als „Popanz“bezeichnet. Zum Beweis wurde vom Kanzleramt nur wenig später die gesamte Unterschriftenliste der rotschwarzen Ministerriege online gestellt. Doch Sobotkas Begründung für sein Einschwenken in letzter Minute hörte sich nicht gerade konsensual an: Das Papier, so argumentierte er, trage ohnedies die Handschrift der ÖVP.
Der Druck aus der Partei auf ihren Innenminister war Montagvormittag stark gestiegen. Denn an einer fehlenden Unterschrift (siehe Wissen) sollte das mühsam errungene Verhandlungsergebnis nicht scheitern. ÖVP-Chef Mitterlehner hatte sich dazu verpflichtet, Sobotka zur Unterschriftsleistung zu bewegen.
Doch angesichts der vielen neuen und ebenso umstrittenen Über- wachungsmaßnahmen nicht nur für Gefährder, sondern auch für Einreisende – Stichwort Autokennzeichenerfassung und ÖBBKontrollen – stellte Sobotka schon die nächste Bedingung an den Koalitionspartner. Er forderte, dass beide Parlamentsklubs, also von SPÖ und ÖVP, dem Papier zustimmen müssten – und zwar „in namentlicher Abstimmung im Nationalrat“. Er habe nämlich vernommen, dass es innerhalb der SPÖ kritische Stimmen zu den neuen Maßnahmen für bessere Sicherheit und Integration gebe.
Keine SPÖ-Abstimmung
Tatsächlich hat das rote Präsidium am Vormittag in der Löwelstraße mit Zähneknirschen auch das von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) lang geforderte „Burkaverbot“, das ein Vollverschleierungsverbot in der Öffentlichkeit vorsieht, abgesegnet. Anders als im ÖVP-Vorstand gab es im SPÖ-Präsidium aber keine einstimmige Zustimmung zum neuen Pakt – weil Kern über das Paket gar nicht erst abstimmen ließ.
Ein SPÖ-Funktionär, der nicht genannt werden will und aus der Sitzung schlüpfte, zum STANDARD: „Die Stimmung war gut. Nur das Burkaverbot warf doch einige Fragen auf.“Wiens Bürgermeister Michael Häupl erklärte, mit Ausnahme „einer Jugendvorsitzenden“habe sich niemand gegen das Programm ausgesprochen.
Wie Kern später im Kanzleramt betonte auch Häupl lieber jene Seiten des Papiers, die eine rote Handschrift tragen – also das Vorhaben, Arbeitsplätze zu schaffen und für Asylwerber mit hoher Bleibeaussicht ein Integrationsjahr zu schaffen. Zu den neuen Überwachungsmaßnahmen er- klärte der Kanzler ausdrücklich: „Wir haben die Verpflichtung, die Bevölkerung zu schützen.“Und er versprach, dass alles „auf Basis des Rechtsstaates“geschehen werde – und „natürlich auf richterliche Anordnung“.
Nur wenige Meter weiter, in der ÖVP-Zentrale in der Lichtenfelsgasse, hatte Integrationsminister Kurz mit Genugtuung zu Vollverschleierungsverbot sowie dem Quasi-Kopftuchverbot für die Exekutive und Legislative zu Protokoll gegeben: „Das hätte man einfacher auch haben können.“Einen entsprechenden Entwurf des Integrationsgesetzes habe es näm- lich von ihm bereits seit August des Vorjahres gegeben. Nachsatz: „Ich bin froh, dass es nach einem halben Jahr Widerstand fertig ist.“
In der ÖVP war man sichtlich darum bemüht, das neue Arbeitsprogramm als großen Verhandlungserfolg zu verkaufen. Eindeutig eine schwarze Handschrift, betonte man auch, trage neben dem Sicherheitspaket die Einigung rund um die Senkung der Lohnnebenkosten für Arbeitgeber, die neue Leute einstellen, sowie das Abfedern der kalten Progression.
Anders als erwartet tat sich die ÖVP also nicht schwer, in ihrem Vorstand die volle Zustimmung zu dem Programm einzuholen – und sie fiel einstimmig aus. Selbst Tirols Landeshauptmann Günther Platter, der die Regierung am Vortag noch dazu aufgerufen hat, endlich „ihr Theater“zu beenden, war zufrieden. (nw, pm, völ)