Der Standard

Der Staatsverw­eigerer aus Fleisch und Blut

Ein 46-Jähriger ist wegen versuchter Erpressung vor Gericht. Er hat ab 2015 keine Gemeindege­bühren und Beiträge an die Sozialvers­icherung gezahlt und im Gegenzug auf Basis eines „Wahnsystem­s“Millionen gefordert.

- Michael Möseneder

Wien – Im Jahr 2015 muss Martin B. beschlosse­n haben, sein Leben zu ändern. Und zwar ziemlich radikal. Er stellte die Zahlungen für Müllabfuhr und Wasser an seine niederöste­rreichisch­e Heimatgeme­inde ein und zahlte auch keine Sozialvers­icherungsb­eiträge mehr. Im Gegenteil – er forderte die zuständige­n Mitarbeite­r auf, ihm je zehn Millionen Euro zu zahlen, andernfall­s würde er sie pfänden lassen.

Hört sich nach einem harmlosen Sonderling an, dennoch ist der 46-Jährige mit dem Vorwurf der versuchten Erpressung vor dem Landesgeri­cht Krems. Denn er ist Anhänger des One People’s Public Trust (OPPT), einer Gruppe, die der Meinung ist, dass Staaten gar nicht existieren und sie persönlich daher das Recht in die eigene Hand nehmen können.

Dabei stützen sie sich auf ein eigenartig­es Konstrukt. Sie lassen eine Forderung gegen Privatpers­onen, Firmen und Institutio­nen in den USA in die UCC-Liste eintragen. Das ist eine Art Handelsreg­ister. Nur: Forderunge­n kann dort jeder eintragen lassen, egal ob sie berechtigt sind oder nicht. Erst im Fall einer Insolvenz würden jene, die sich zuerst gemeldet haben, auch als Erste bedient werden.

Als nächsten Schritt senden die OPPT-Anhänger Schreiben an ihre „Schuldner“mit der Forderung, das Geld zu zahlen. Reagiert der Empfänger nicht, wird das irrigerwei­se als Zustimmung gewertet. Daraufhin wird ein Inkassobür­o auf Malta beauftragt, um bei einem Gericht auf der Mittelmeer­insel einen Exekutions­titel zu beantragen.

B.s Verhältnis zur Staatsgewa­lt ist etwas ambivalent. Als der Unbescholt­ene von Justizwach­ebeamten in den Saal geführt wird, weigert er sich, auf dem Anklagestu­hl Platz zu nehmen. Er will lie- ber im Zuschauerb­ereich stehen. „Nötigen Sie mich nicht!“, schreit er einen Beamten an, der ihn zu seinem Platz bugsieren will. Anderersei­ts bittet der Angeklagte dann doch: „Bitte beschützen Sie mich.“

Wie er überhaupt einen verwirrten Eindruck macht. Seine Wollmütze behält der Mann, der seit 2015 auch keine Sozialleis­tungen mehr bezieht, auf. Seine Gespräche mit der Richterin sind recht einseitig. „Ich bin ein lebender Mann aus Fleisch und Blut!“, bescheidet er ihr bei- spielsweis­e immer wieder. „Mein Schöpfer ist mein einziger Richter. Sind Sie mein Schöpfer? Nein“, ist eine andere Feststellu­ng. Und mehrmals stellt er die Frage, ob die Richterin die Treuhänder­in seines Namens sei. Weitere Aussagen will er nicht machen.

Es ist erstaunlic­h, dass weder Staatsanwa­ltschaft noch Gericht ein psychiatri­sches Gutachten über ihn einholen ließen. Umso mehr, als der Ankläger in seinem Plädoyer selbst davon spricht, der 46-Jährige sei „einem Wahn- system beigetrete­n“. Offenbar schließt man aus der Tatsache, dass er im Allgemeine­n „normal“auftritt, dass er keine vermindert­e Schuldfähi­gkeit aufweist.

Dafür wurde bei den Schuldnern gründlich ermittelt. Von einem Mitarbeite­r des Gemeindeab­fall wirtschaft­sverband s Horn über Bürgermeis­ter und Vize bürgermeis­terin vonB.s Heimatort bis zu mehreren Angestellt­en und Funktionär­en der Sozialvers­icherung san st alt der Bauern treten alle als Zeugen auf.

Ihre Aussagen sind auffällig gleichlaut­end. Ja, sie hätten sich durch die enorme Geldforder­ung vordem finanziell­en Ruin gefürchtet. Und ja, siehätt engeda cht,fü rein etwaiges Gerichtsv erfahren in Malta Anwaltskos­ten übernehmen zu müssen. Damit ist der Tatbestand der versuchten Erpressung gegeben, findet schließlic­h auch das Gericht.

Forderung nach Exekution

B.s Schlusswor­t besteht aus der neuerliche­n Feststellu­ng, dass er ein lebender Mann aus Fleisch und Blut ist. Er fällt aber auch eine Entscheidu­ng: „Ich ordne die sofortige Exekution an!“, verlangt er von der Richterin einen Rechtstite­l für seine vermeintli­chen Ansprüche. Das nicht rechtskräf­tige Urteil: 18 Monate Haft, sechs davon sind unbedingt.

„Das darf nicht Schule machen“, begründet die Richterin. Als sie den Angeklagte­n fragt, ob er das Urteil annimmt, bekommt sie zunächst eine kryptische Antwort. „Der lebende Mann aus Fleisch und Blut verzichtet auf dieses Privileg, von Ihnen verurteilt zu werden.“Das könnte man als Berufung werten, anderersei­ts fragt ihn auch sein Verteidige­r nach seinen Wünschen. Da B. stumm bleibt, geht das Gericht davon aus, dass er keine Erklärung abgibt.

 ??  ?? Martin B. hat ein ambivalent­es Verhältnis zum Staat. Bei seinem Prozess erkennt er einerseits das Gericht nicht an, von den Justizwach­ebeamten will er aber doch beschützt werden.
Martin B. hat ein ambivalent­es Verhältnis zum Staat. Bei seinem Prozess erkennt er einerseits das Gericht nicht an, von den Justizwach­ebeamten will er aber doch beschützt werden.

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