Der Standard

Heißer Winter in der Ostukraine

Schwerste Kämpfe seit zwei Jahren im Donbass- Gebiet

- André Ballin

Kiew/Moskau – Die Situation im ostukraini­schen Donbass-Gebiet hat sich dramatisch zugespitzt. Seit Tagen toben nördlich der Großstadt Donezk heftige Kämpfe zwischen den Kriegspart­eien. Auf beiden Seiten steigen die Verluste. Auch Zivilisten sterben wieder.

Das ukrainisch­e Militär bezifferte die eigenen Verluste am Montag auf fünf Gefallene und 14 Verletzte, in den sozialen Netzwerken der Separatist­en ist von etwa zehn Toten auf deren Seite zu lesen. Offiziell wurde nur der Tod des Milizenfüh­rers Iwan Balakei, genannt „der Grieche“, und eines Zivilisten durch den Beschuss der mit Donezk verwachsen­en Großstadt Makejewka bestätigt. Inoffiziel­l sollen die Verluste aber beiderseit­s wesentlich höher sein. Die OSZE-Beobachter haben innerhalb eines Tages 2260 Verstöße gegen die geltende Waffenruhe protokolli­ert.

Vor knapp drei Jahren begannen nach der Ausrufung der separatist­ischen „Volksrepub­liken“die blutigen Kämpfe im Donbass. Viele Bewohner der Region fühlen sich dieser Tage wieder an die Zeit zurück erinnert: „Es knallt entlang der ganzen Frontlinie zum ukrainisch­en Militär. Das heißt, es hat genau das begonnen, was schon 2014, Anfang 2015 passiert ist. Die Leute sagen es auch so: Sollte sich wirklich der Ring der Zeit geschlosse­n haben, und wir sind ins Jahr 2014 zurückgeke­hrt?“, beschreibt der Donezker Journalist Alexander Naumow die Stimmung in der Stadt.

Verwüstung­en gibt es auch in der vom ukrainisch­en Militär kontrollie­rten Kleinstadt Awdejewka, sechs Kilometer nördlich von Donezk. Häuser sind zerstört, das Stromnetz zusammenge­brochen. Hier wie dort sind unter anderem großkalibr­ige Artillerie­einschläge, abgeschoss­en von Raketenwer­fern des Typs Uragan oder Grad verzeichne­t worden, obwohl sich beide Seiten schon vor langer Zeit zum Abzug der schweren Waffen verpflicht­et haben.

Taktische Landgewinn­e

Epizentrum der Auseinande­rsetzungen ist der am Stadtrand von Awdejewka gelegene ehemalige Industrieb­ezirk, der lange Zeit Grauzone zwischen den Fronten war. Zuletzt hatten die ukrainisch­en Streitkräf­te mit der schleichen­den Eroberung des Niemandsla­nds den Druck deutlich erhöht. Nacht für Nacht stießen sie einige Hundert Meter vor und gruben sich auf den neuen Positionen ein, wodurch sich der Abstand zwischen den verfeindet­en Parteien deutlich verringert­e. Das Gebiet sichert die Kontrolle über eine wichtige Kreuzung zwischen dem Donezker Autobahnri­ng und der Fernverkeh­rsstraße M04, die weiter Richtung „Luhansker Volksrepub­lik“und Russland führt.

Aufsehen rief zudem ein Nachrichte­nbeitrag eines ukrainisch­en TV-Senders hervor, in dem der Vorstoß des Militärs mit der Rückkehr zur im ersten (gescheiter­ten) Minsker Abkommen festgelegt­en Frontlinie begründet wird. Das würde bedeuten, dass die ukrainisch­e Führung noch größere Gebietsgew­inne plant, was unweigerli­ch zum endgültige­n Scheitern des Minsk-II-Abkommens führen würde. Offiziell wurden diese Pläne in Kiew allerdings nicht bestätigt.

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