Der Standard

Licht im Dunkel des Gazastreif­ens gesucht

Im Palästinen­sergebiet mangelt es seit Wochen an Strom. Die Bevölkerun­g ist erzürnt und demonstrie­rt auf den Straßen gegen den Notstand, der durch einen Streit zwischen Hamas und Fatah ausgelöst wurde. Eine neue Intifada sei möglich, warnt ein Psychologe.

- Kim Son Hoang

– Die Verbindung bricht ab, immer und immer wieder. „Mein Handyakku ist fast leer“, entschuldi­gt sich Ahmed Tawahina. Ihn aufzuladen, dafür fehlt dort, wo er wohnt, gerade der Strom. Seit Wochen hat die ohnehin schon unter widrigsten Bedingunge­n lebende Bevölkerun­g im Gazastreif­en unter einer Stromkrise zu leiden. Das ging so weit, dass die Menschen auf den Straßen protestier­ten und so Zusammenst­öße mit der Polizei inklusive zahlreiche­r Festnahmen auslösten. „Der Frust ist groß“, sagt Tawahina dem STANDARD: „Eine neue Intifada ist jederzeit möglich.“

Tawahina, vor 56 Jahren im Gazastreif­en zur Welt gekommen, behandelt als klinischer Psychologe traumatisi­erte Menschen. Und davon gibt es dort – durch die drei Kriege mit Israel seit 2008, durch das Regime der Hamas – zahllose, vor allem Kinder. Verschärft wird die Situation nun durch den akuten Strommange­l. Gab es für die rund zwei Millionen Einwohner bislang etwa zwölf Stunden Elektrizit­ät am Tag, so waren es die vergangene­n Wochen nur noch vier Stunden.

„Manchmal ist der Strom um Mitternach­t da, wenn ihn keiner braucht“, sagt Tawahina. Das mache es schwierig, den Menschen zu helfen: „Die Menschen können im Dunkeln vieles – etwa die Kinder ihre Hausaufgab­en – nicht machen. Sie werden unruhig, frustriert, wütend – alle Therapiefo­rtschritte werden dadurch zerstört.“

Die Stromverso­rgung ist neben der prekären Wasser- und Lebensmitt­elversorgu­ng eine der Hauptsorge­n im Gazastreif­en. Das einzige eigene Kraftwerk, 2014 während des Gazakriegs massiv beschädigt, produziert täglich derzeit etwa 30 Megawatt, während Israel 120 und Ägypten weitere 30 Megawatt liefern. Insgesamt stehen also 180 Megawatt zur Verfügung – der tägliche Bedarf liegt aber bei 450 bis 500 Megawatt.

Die radikalisl­amische Hamas und die im Westjordan­land bestimmend­e gemäßigte Fatah-Partei von Palästinen­serpräside­nt Mahmoud Abbas sind seit 2007 tief zerstritte­n. Diesem wirft die Hamas vor, nicht mehr genügend Treibstoff für das Kraftwerk liefern zu lassen. Auch soll die Fatah zusätzlich­e Zahlungen an Ägypten und Israel, damit diese mehr Strom liefern, verweigern. Auf der anderen Seite heißt es, dass die Fatah bei den Diesellief­erungen immer die Steuern abgezogen habe. Als sie aber erfuhr, dass die Hamas diese Ermäßigung nicht an die Verbrauche­r weitergebe, hätte sie die Lieferunge­n reduziert.

So oder so, die Lage spitzt sich zu, vor allem in einem besonders harten Winter, in dem die Temperatur­en nachts auf für mediterran­e Gebiete unübliche sieben Grad sinken. Die, die es sich leisten können, nutzen private Generatore­n, doch auch hier sind die Kosten explodiert. Das hat vor allem für Spitäler verheerend­e Konsequenz­en, wenn für lebensrett­ende oder lebenserha­ltende Geräte einfach die Elektrizit­ät fehlt.

Millionens­pende von Katar

Mitte Jänner hat das mit der Hamas befreundet­e Emirat Katar für leichte Entspannun­g gesorgt, indem es zwölf Millionen US-Dollar für Treibstoff gespendet hat. „Die Krise ist damit für die nächsten drei Monate gelöst“, teilt UN-Nahostgesa­ndter Nikolai Mladenow auf STANDARD- Anfrage mit. Die Uno arbeite daran, langfristi­g eine bessere Stromverso­rgung zu ermögliche­n, so der Bulgare.

Für Ahmed Tawahina ist die Stromkrise damit keineswegs gelöst. „Durch Katar haben wir jetzt einmal sechs Stunden Elektrizit­ät am Tag, aber das reicht nicht“, sagt er. Die Menschen werden weiter protestier­en, „gegen alle, die dafür verantwort­lich sind: Hamas, Fatah, Ägypten, Israel“. Sie fordern, so der Psychologe, dass die Stromverso­rgung vom politische­n Streit getrennt wird: „Nur weil die Hamas so schlechte Beziehunge­n zu anderen hat, muss die gesamte Bevölkerun­g dafür bezahlen.“

 ??  ?? Teilweise protestier­ten tausende Palästinen­ser im Gazastreif­en gegen den andauernde­n Engpass in der Stromverso­rgung. Gaza/Wien
Teilweise protestier­ten tausende Palästinen­ser im Gazastreif­en gegen den andauernde­n Engpass in der Stromverso­rgung. Gaza/Wien

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