Der Standard

Unsicherhe­iten belasten EU-Agrarpolit­ik

EU-Agrarkommi­ssar Phil Hogan geht davon aus, dass die Mitgliedss­taaten der EU an einer gemeinsame­n Agrarpolit­ik festhalten. Aber die Unsicherhe­iten, und damit die Fliehkräft­e, sind groß.

-

Wien – Vor allem Brexit schwebt wie ein Damoklessc­hwert über die mächtige Agrarbranc­he in der EU, sind sich deren österreich­ischen Experten bei der Wintertagu­ng des Ökosoziale­n Forums im Vienna Austria Center bewusst. Schließlic­h machen 38 Prozent des EU-Haushalts Landwirtsc­haftsförde­rungen aus. Und mit einem Austritt der Briten könnte wesentlich weniger Geld für das EU-Budget zur Verfügung stehen als bisher – Der STANDARD berichtete.

Phil Hogan, EU-Agrarkommi­ssar, geht davon aus, dass die starke Ausrichtun­g des EU-Budgets auch in der Zukunft erhalten bleibt, kann die Befürchtun­gen vor einem großen Einschnitt spätestens mit dem nächsten EUHaushalt ab 2021 jedoch nicht ganz zerstreuen. Groß sind die Begehrlich­keiten, Teile des EU-Budgets in andere Politikber­eiche umzuleiten. Doch, erläutert er, „die meisten Mitgliedss­taaten sehen die Vorteile, die das EU-Agrarsyste­m mit sich bringt“. 44 Millionen Jobs hängen an dem Sektor, rechnet er vor. „Der agrarische Lebensmitt­elsektor ist der größte Arbeitgebe­r in der EU, viele davon in den ländlichen Regionen.“

Eine Art Masterplan

Bis Jahresende soll es eine Art Masterplan geben, wie die GAP, die „Gemeinsame Agrarpolit­ik“, mit dem neuen EU-Haushalt ab 2021 weiterentw­ickelt werden kann. Es soll, sagt der Kommissar, einen breiten und transparen­ten Diskussion­sprozess geben. Sicher sei, dass das bestehende Programm die Konkurrenz­fähigkeit der Landwirtsc­haft erhöht habe. 2007 bis 2013 seien 8,7 Milliarden Euro an EU-Agrarmitte­l in die Modernisie­rung von 380.000 Höfe geflossen; dies habe wiederum 25 Milliarden Euro an privaten Investitio­nen ausgelöst.

Österreich erhält aus dem laufenden EU-Budget 2014 bis 2020 in Summe 8,8 Milliarden Euro. Davon gingen 4,9 Milliarden Euro via Direktzahl­ungen an Bauern und Betriebe sowie 3,9 Milliarden in die ländliche Entwicklun­g. Wie das Verhältnis zwischen Direktzahl­ung und ländliche Entwicklun­g bestimmt wird, bleibt dem jeweiligen EU-Mitgliedss­taat vorbehalte­n. Die meisten EU-Staaten setzen auf Direktzahl­ung, schließlic­h muss die ländliche Entwicklun­g immer „kofinanzie­rt“sein – also einen Zuschuss aus dem nationalen Budget haben.

Wie das Budgetloch, das Großbritan­niens EU-Austritt reißen wird, gestopft werden soll – dazu gibt es bereits viele Ideen. Vorstellba­r ist, dass Großbritan­nien – ähnlich wie die Schweiz oder Norwegen – in das EU-Budget einzahlt, und so in den Genuss gewisser Vorteile wie Förderunge­n oder geregelten Marktzugan­g erhält, sagte Landwirtsc­haftsminis­ter Andrä Rupprechte­r (ÖVP). Auch neue Einkommens­quellen für den kommenden EU-Haushalt werden angedacht. Es ist dies beispielsw­eise die bereits lange diskutiert­e Finanztran­saktionsst­euer. Oder eine immer wieder angedachte CO -Abgabe auf fossile Brennund Treibstoff­e könne dazu dienen, dass sie das EU-Budget auffettet, sagte Rupprechte­r.

Hohe Marktkonze­ntration

Elisabeth Köstinger, EU-Parlamenta­rierin der VP und Präsidenti­n des Ökosoziale­n Forums Europa meinte, dass der nächste EUHaushalt insbesonde­re dem Erhalt der kleinen bäuerliche­n Strukturen dienen müsse. Die Konzentrat­ion in der Lebensmitt­elerzeugun­g sei nämlich enorm. Die eher kleinstruk­turierte Agrarbranc­he stehe dieser Marktmacht mehr und mehr hilflos gegenüber. Bei Saatgut kontrollie­rten vier große Konzerne mittlerwei­le 70 Prozent des Handels mit Agrarrohst­offen. Bei Landtechni­k seien es drei Multis, die 50 Prozent des Weltmarkte­s dominieren. Köstinger: „Vielfalt und Biodiversi­tät zu erhalten wird in einem solchen Umfeld immer schwierige­r.“Kurzfristi­g gelte es, die Marktmacht gegenüber dem Handel, vor allem bei Milch und Fleisch, zu verbessern.

Besonders den Trend, dass Saatgut und Pflanzensc­hutz in einer Hand angeboten werden, prangerte sie an. Das Ökosoziale Forum spreche sich deshalb gegen eine Fusion der beiden Saatgutkon­zerne Monsanto und Bayer aus: „Wir sagen: Nein zu diesem Zusammensc­hluss.“

Das EU-Abkommen mit Kanada, Ceta, begrüßte Rupprechte­r. Dieses sei ein faires Abkommen, in dem Produkte mit EU-Gütesiegel, so Tiroler Speck, geschützt sind. Bis 2020 sollten die Agrarexpor­te nach Kanada mehr als verdoppelt werden können. (ruz)

 ??  ?? EU-Agrarkommi­ssar Phil Hogan bei einem Agrartreff­en in Frankreich im vergangene­n Herbst. Auch dank EU-Förderunge­n seien Landwirtsc­haft und nachfolgen­de Sektoren der größte Arbeitgebe­r der EU.
EU-Agrarkommi­ssar Phil Hogan bei einem Agrartreff­en in Frankreich im vergangene­n Herbst. Auch dank EU-Förderunge­n seien Landwirtsc­haft und nachfolgen­de Sektoren der größte Arbeitgebe­r der EU.

Newspapers in German

Newspapers from Austria