Zombie-Phänomen eines Teenagers
Der Kanadier Nelson Sexton ist 19 Jahre alt, über 26 Millionen Menschen spielen sein Zombie-Survival-Game „Unturned“. Ein Phänomen, das nicht ohne dessen sympathischen Entwickler zu erklären ist.
Calgary – Die Grafik ist eckiger, als jene von Minecraft es je war, das Genre – Survival-MMO mit Zombies – freundlich ausgedrückt unoriginell. Das Logo besteht aus einem unbeholfenen weißen Schriftzug und der entscheidenden Unterzeile: „Free to play“. Auf den ersten Blick ist Unturned, in dem es – wieder einmal – um das Überleben in einer von Zombies überrannten Sandboxwelt geht, ein kostenloses Early-AccessSpiel auf Steam wie dutzende andere auch. Was das Spiel eines 19-jährigen Kanadiers aber auf den zweiten Blick mehr als besonders macht, ist die überraschende Tatsache, dass es bereits über 26 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Die klotzige ZombieApokalypse dürfte somit in dieser Hinsicht – soweit sich das sagen lässt – zu den Top-five-Spielen auf Steam zählen; was gleichzeitige Spieler betrifft, pendelt Unturned hinter Riesen wie Dota2 und GTA 5 irgendwo um Platz zehn der meistgespielten Titel weltweit.
Community-Projekt
Unturned ist ein Phänomen, und das hat mit seinem Schöpfer zu tun. Nelson Sexton war erst 16 Jahre alt, als er 2014 eine erste Version seines Spiels auf Steam veröffentlichte – der Quasivorgänger Deadzone, ein mit Roblox, einem Dev-Kit für Jugendliche, erstelltes Spiel, hatte Sexton sowohl eine begeisterte Community als auch eine zügige Steam-Freigabe per Greenlight eingebracht. Der in Calgary immer noch bei seinem Vater lebende Kanadier werkte seither unermüdlich an Unturned weiter.
50 bis 60 Stunden pro Woche arbeitet Sexton heute an seinem Spiel – seit er die Schule beendet hat. Zuvor habe er zusätzlich zur Schule seine gesamte Freizeit und die Wochenenden der Arbeit am Spiel geopfert, „aber das war schon eher ungesund und hat mich an den Rand des Burnouts gebracht“, wie er im Interview mit dem STANDARD bestätigt.
Im Umgang mit der riesigen begeisterten Community liegt der wohl maximale Unterschied zu jenem großer Spielentwickler und das Geheimnis seines Erfolges: Sexton kommuniziert täglich in den Foren mit den Spielerinnen und Spielern, nimmt Vorschläge und Feedback entgegen und lässt Ideen auch kurzfristig in seine Updates einfließen. Unturned, ist, so betrachtet, das Ideal einer EarlyAccess-Erfolgsgeschichte: Die Spielerinnen und Spieler sind nicht so sehr zahlende Betatester, die sich im schlimmsten Fall als Melkkühe verwaist in einer nie fertiggestellten Software-Rohbauruine wiederfinden, sondern arbeiten durch ihr Feedback, ihre Ideen und Vorschläge direkt an der Entwicklung „ihres“Spieles mit. Im Gegenteil lässt Sexton manche Beiträger aus der Community sogar finanziell am Erfolg von Unturned teilhaben.
Sowohl die Freude am Spiel als auch die Nachsichtigkeit gegenüber seinen Mängeln ist gewiss einer Tatsache geschuldet: Unturned ist kostenlos – und doch meilenweit von dem entfernt, was sonst dem Free-to-play-Genre seinen schlechten Ruf beschert hat. Es gibt keine Monetisierungsstrategie, keine Mikrotransaktionen, kein „Pay to win“. Stattdessen können Spieler ein „Permanent Gold Upgrade“um 4,99 Euro kaufen, das kosmetische Vorteile und Zugang zu schnelleren Servern bringt.
Wie viele seiner 26 Millionen Spieler bisher in die Tasche gegriffen haben, ist Nelson Sexton nicht zu entlocken; wenn die von ihm in einem frühen Post genannte Zahl von knapp zwei Prozent der Spielerschaft stimmt, ist Unturned aber durchaus ein gutes Geschäft für den Kanadier, der sich selbst „hobbyist game developer“nennt. „Spieleentwickeln war und ist mein Hobby, jetzt ist es eben auch zu meinem Job geworden“, meint Sexton. „Natürlich ist das jetzt auch eine Art Berufsweg. Allerdings kann es schon sein, dass ich irgendwann später doch noch an die Universität gehe und etwas ganz anderes studiere. Geschichte vielleicht oder Astronomie.“
Zombies und Festungen
Wenn Unturned einmal fertig ist, sollen Spielerinnen und Spieler darin „alles“tun können – und tatsächlich beschreitet das Sandbox-MMO einen recht originellen schmalen Grat zwischen den großen Vorbildern DayZ und Minecraft. Wie in der düsteren Zombieapokalypse bedrohen Untote und feindliche Mitspieler das Überleben; Statistiken über Gesundheit, Hunger und weitere Spielereigenschaften sind genauso wichtig wie das Sammeln von Essen, Rohstoffen, Waffen und Gegenständen. Im Unterschied zum Istzustand von DayZ lassen sich zahlreiche Gegenstände craften und Gebäude errichten, obwohl auch andere Modi möglich sind.
Auf manchen Servern wird mit Hingabe am besten Walking DeadSzenario mit Verteidigung gegen untote Horden gefeilt, während auf anderen die bedrohlichen Zombies ganz deaktiviert sind und der Kampf ausschließlich zwischen Spielern tobt.
Der erstaunliche Erfolg von Unturned liegt ebenso in seiner Kostenlosigkeit wie in der Tatsache, dass sich Spieler vom Enthusiasmus antreiben lassen, immer wieder etwas Neues ins Spiel zu bringen. Dass sich mit Nelson Sexton ein ebenso begeisterter und uneitler Entwickler auf Augenhöhe mit seiner Spielerschaft beschäftigt, hat sicher ebenso Gewicht. Sexton selbst ist sich unsicher, woher der Erfolg kommt. „Viele Faktoren spielen mit: Es ist kostenlos, und es hat auch viel Publikum durch populäre Youtuber erhalten. Warum genau es so erfolgreich ist, kann ich aber nicht sagen.“
Ist der logische nächste Schritt der Ausverkauf – an einen großen Investor, der wie bei Minecraft das Phänomen samt Spielerschaft monetisieren will? „Es gab schon Anfragen, aber im Moment habe ich nicht vor, Unturned zu verkaufen. Ich sehe momentan nicht, wie das Spiel davon profitieren würde“, meint der Kanadier. „Ich liebe es, an dem Spiel zu arbeiten. Ich habe keine Ahnung, was ich sonst tun würde.“