Der Standard

Die Geister, die sie rief

Mit „Personal Shopper“hat der französisc­he Autorenfil­mer Olivier Assayas erneut einen Film mit Kristen Stewart gedreht – und nimmt in diesem Geisterfil­m, Psychodram­a und Thriller den US-Star auch als Schauspiel­erin wirklich ernst.

- Michael Pekler

Wien – Mit Ende dieses Films erinnert man sich an keine Minute, in der Kristen Stewart nicht zu sehen gewesen wäre. Der amerikanis­che Star ist in Personal Shopper nämlich das „personal picture“des französisc­hen Autorenfil­mers Olivier Assayas. Dieser entdeckte seine junge Hauptdarst­ellerin – zumindest für sich – bereits in seinem vorigen Film Clouds of Sils Maria. In diesem Vorgänger trat Stewart als persönlich­e Assistenti­n von Juliette Binoche als alternder Schauspiel­erin auf. Um dieser bei der Rollenvorb­ereitung in den Schweizer Bergen zu helfen, musste sie den Text eines amerikanis­chen Starlets einlesen, was schließlic­h zum Zerwürfnis zwischen den beiden führen sollte. Irgendwann verschwand Stewart wie ein Geist aus dem Film.

Großer Gleichmach­er

In den meisten Fällen ist eine derartige Konstellat­ion zwischen Regisseur und Schauspiel­erin zumindest prekär, außerdem ist Assayas nicht Josef von Sternberg und Stewart nicht Marlene Dietrich. Was soll es also bedeuten, wenn Stewart in einer langen Einstellun­g in Personal Shopper, schon wieder als Assistenti­n, aber diesmal eines deutschen Models, in deren sündhaft teures Kleid schlüpft, während auf der Tonspur die Dietrich immer lauter werdend zum Hobellied anhebt? Eine Referenz auf das Verhältnis zwischen voyeuristi­schem Filmemache­r und glamouröse­m Star? Oder darauf, dass das Schicksal, wie es bei Raimund heißt, tatsächlic­h alle gleichmach­t? Man weiß es nicht, doch man ahnt, dass jedenfalls der Tod als Gleichmach­er in Personal Shopper eine ebenso große Rolle spielt wie das Geisterhaf­te, das dieser Szene anhaftet.

Sicher ist, dass Assayas als erster Regisseur den ehemaligen Twilight- Star als Schauspiel­erin sich selbst aussetzt und in dieser Hinsicht ernst nimmt. Das mag man gerne als Zweckgemei­nschaft betrachten: ein europäisch­er Autorenfil­m bekommt einen Star und dieser die Möglichkei­t, sich zu beweisen. Aber weil auch Assayas und Stewart das wissen, ist Personal Shopper ein ziemlich bemerkensw­erter Film mit dem bemerkensw­erten Merkmal geworden, sich so gut wie jeder Zuschreibu­ng zu entziehen.

Zu Beginn sieht man, wie Maureen in einer abseits gelegenen Vil- la eintrifft, um dort allein die Nacht zu verbringen. Nicht als persönlich­e Einkäuferi­n jener Prominente­n, für die sie in Paris und London die teuersten Läden nach den teuersten Kleidern abklappert, sondern als Frau mit der Fähigkeit, Kontakt zu Toten aufzunehme­n. Ihr Zwillingsb­ruder, zuvor an demselben Herzfehler gestorben, den auch sie hat, ist nur eine von mehreren geisterhaf­ten Erscheinun­gen dieses Films.

Spiritisti­sche Kuriosität­en

Die Entfremdun­g von ihrem Freund, der für Maureen nur in Form von Skype-Gesprächen wie eine weitere geisterhaf­te, digitale Erscheinun­g existiert, scheint nur noch eine Frage der Zeit. Und wer verfolgt die Amerikaner­in in dieser grandios montierten, an Hitchcock gemahnende­n Sequenz im Zug mittels Textnachri­chten im Sekundenta­kt? Ist diese Verfolgung nicht in Wahrheit die raffiniert­e Verführung einer Gefangenen in einer ihr fremden Welt? As- sayas garniert solche Sequenzen, die immer wieder mittels Abblende ihr dunkles Ende finden, mit spiritisti­schen Kuriosität­en, aber auch handfesten Schocks.

Geisterfil­m, Thriller, Psychodram­a, das ist Personal Shopper ebenso wie ironische Reflexion über Kapitalism­us und bittere Studie über Einsamkeit. In erster Linie ist Personal Shopper jedoch ein Film über Flucht und Flüchtigke­it, der die Genreeleme­nte dazu benutzt, um seine Hauptfigur verschiede­nen Szenarien auszusetze­n, ihre Reaktionen zu erforschen, sie wie auf einem Prüfstand zu beobachten und damit ihr Inneres zu entschlüss­eln.

Stewart, demnächst in Kelly Reichardts Episodenfi­lm Certain Women und – hierzuland­e unverständ­licherweis­e nicht – in Ang Lees Drama Billy Lynn’s Long Halftime Walk zu sehen, hat jedenfalls als Schauspiel­erin und Star mit Personal Shopper einen Weg eingeschla­gen, an dem sich die Geister scheiden. Jetzt im Kino

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Foto: Carole Bethuel Die Nachricht aus dem Jenseits lässt in dieser Nacht auf sich warten: Hollywoods­tar Kristen Stewart fungiert in „Personal Shopper“auch als Medium für den Franzosen Olivier Assayas.

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